| Zukunftsthema Kinderleichtathletik

Frank Hensel: „Herausforderung, Kinder zu begeistern“

„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert“, hat Albert Einstein einmal gesagt. leichtathletik.de startet heute mit einem Interview mit DLV-Generaldirektor Frank Hensel das Zukunftsthema Kinderleichtathletik und wird in den kommenden Wochen in loser Folge weitere interessante Beispiele zu dieser Thematik veröffentlichen. „Ausnahmlos“, sagt Hensel, „stehen wir vor der Herausforderung, Kinder in und mit der Leichtathletik zu begeistern, um sie als Jugendliche, besser noch darüber hinaus, zu halten.“
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Wer sich mit dem Profil des DLV auf der verbandseigenen Homepage vertraut macht, stellt fest, dass man sich im weltgrößten Leichtathletik-Verband attraktive Angebote für Kinder auf die eigene Fahne schreibt. Warum misst man der Leichtathletik für die unter Elfjährigen eine so hervorstechende Bedeutung bei?

Frank Hensel:

Die Leichtathletik hat per se etwas für Jedermann und jede Frau zu bieten. Egal welchen Alters und unabhängig seines oder ihres Könnens. Da ist es nur folgerichtig, dass wir schon für die jüngsten Anfänger interessante Zugänge zum grundlegenden Laufen, Springen und Werfen schaffen. Die sollten allerdings für möglichst alle Kinder machbar sein. Dieses Thema ist ja auch international ein Zukunftsprojekt. In zahlreichen Verbänden und im Weltverband IAAF machen sich die Verantwortlichen Gedanken, lassen sich im Austausch inspirieren und schieben eigene Modellprojekte an, um Kinder für die olympische Kernsportart Nr. 1 zu gewinnen und sie möglichst dauerhaft an die Vereine oder Schulen, in den USA etwa, zu binden. Ausnahmslos stehen wir vor der Herausforderung, Kinder in und mit der Leichtathletik zu begeistern, um sie als Jugendliche, besser noch darüber hinaus, zu halten.

Welche Erfahrungswerte hat da der DLV mit seiner Nachwuchsleichtathletik zu bieten?

Frank Hensel:

Projekte und Veröffentlichungen zur in 2004 initiierten Kampagne „Leichtathletik in der Schule“ haben wir auf den Weg gebracht. Zudem eigens für Grundschüler geschaffene Events unter der Marke „Leichtathletik in Aktion“ sowie zahlreiche Kinderleichtathletik-Aus- und Fortbildungsveranstaltungen. Letztere im Verbund mit den Landesverbänden finden international, mindestens europaweit Beachtung - das kann ich als Mitglied der EA-Development-Kommission nur bestätigen.

Im vergangenen Jahr rief der DLV seine „Pädagogische Offensive“ aus; schon im Jahr 1996 stellte der Spitzensportverband während eines vielbeachteten Kongresses die „Kinder in der Leichtathletik“ in den Mittelpunkt des Interesses. Herr Hensel, auch Sie waren einer der Initiatoren eines Berliner Kongresses „Schülerleichtathletik“. Das war 1980. Was hat sich bis heute getan – und warum ist die Zeit nun endlich reif für ein verändertes Verständnis von der Leichtathletik mit Kindern?

Frank Hensel:

Damals, zur Zeit dieser Berliner Tagung, stand vor allem im Blickpunkt, wie das Training und der Sportunterricht auszusehen haben, möchte man als Übungsleiter oder Lehrer die Kinder erreichen. Protagonisten wie Hans Katzenbogner - gemeinsam mit Mike Medler prägte er den Begriff der "Spielleichtathletik" - stellten beim Kongress ihre wegweisende Arbeit vor. Zugegebenermaßen: An das Wettkampf-Thema haben wir uns vor fast 35 Jahren nicht herangetraut. Unstrittig und anerkannt war schon in den 80ern, dass das Wettkampf-Angebot das vorbereitende Training steuert. Doch seit der Jahrtausendwende haben wir mehr und mehr Leute, die auf die entsprechende Erfahrung zurückgreifen können und um das fachliche und organisatorische A und O wissen. Da liegt es auf der Hand, in allen Kreisen durch einen neuen Ranglisten-Wertungsmodus und durch wechselnde Mehrkampf-Disziplinen von Wettkampf zu Wettkampf ein abwechslungsreiches, vielseitiges und entwicklungsgemäßes Training zu fördern und zu fordern. Im Zwei-Jahres-Abstand warten immer wieder neue Disziplin-Varianten mit stufenweise wachsendem Schwierigkeitsgrad. Da beginnen wir neuerdings bei den Sechsjährigen. Eine solche Disziplinentwicklung in den jüngsten Altersklassen ist die besondere Stärke dieses Wettkampfsystems.

Dass das Laufen, Springen und Werfen für Kinder am besten und in seinem Wortsinn „kinderleicht“ vermittelt wird, ist – was die Trainingsformen betrifft – nahezu unbestritten und nimmt allzu gerne fast ein jeder Übungsleiter und Trainer für sich in Anspruch. Aus welchen Gründen war es erforderlich, ein bundesweit einheitliches Wettkampfkonzept zu entwickeln, zu erproben und Anfang 2013 einzuführen?

Frank Hensel:

Wer - das gilt nicht nur für den Wettkampfsport mit Kindern - die fachliche, pädagogische und politische Verantwortung übernimmt für die Geschicke im gesamten Verbandsgebiet, der hat als Dachorganisation die Führungsrolle inne. Damit hat sie die Aufgabe, zukunftsfähige Inhalte und Regeln auf die Beine zu stellen sowie für passende Strategien und Nachhaltigkeit zu sorgen. Auch in der Kinderleichtathletik brauchen wir Visionen, machbare Visionen. Und dass im Rahmen der gegebenen Ordnungen und Regeln ein umfassender Selbstbestimmungs- und Gestaltungsspielraum für die Menschen vor Ort gegeben ist, sollte man dabei als Gewinn für alle verstehen.

Die Präsidentinnen und Präsidenten der 20 Landesverbände sowie die Präsidiumsmitglieder des DLV, also der DLV-Verbandsrat, sprachen sich im Sommer 2012 mehrheitlich für die Einführung des neuen Wettkampfsystems aus. Vorausgegangen waren im Jahr zuvor sogenannte 39 Leuchtturm-Wettkämpfe im Bundesgebiet. Was macht Sie so gewiss, dass Initiativen wie diese tatsächlich etablieren und darüber hinaus auch auf andere Regionen und Kreise ausstrahlen?

Frank Hensel:

Ich bin mir sicher, dass früher oder später unsere Denkanstöße in den verschiedenen DLV-Kommissionen und Landes-Gremien ankommen. Ebenso wird unsere in 2011 begonnene Überzeugungsarbeit in zahlreichen Informationsveranstaltungen und Aus- und Fortbildungsveranstaltungen, Tagungen und Kongressen fruchten. Derzeit gilt es, all die Leichtathletik-Befürworter, die die Leichtathletik einmal Leichtathletik sein lassen können und ihren Blick über den Tellerrand hinaus wagen, zu gewinnen. Wer andere gesellschaftliche Bereiche unter die Lupe nimmt, mag bestätigen, dass für Kinder konzipierte Inhalte und Angebote aussichtsreich und erfolgversprechend sind, wenn sie erst alters- und zeitgemäß sind.
 
Haben Sie ein Beispiel parat?

Frank Hensel:

Beispiele gibt es viele. Jede Zielgruppe braucht ihr eigenes Programm, angefangen beim Fernsehen. Nehmen wir etwa „Tagesschau“, „Aktuelles Sportstudio“ oder „Wer wird Millionär?“, allesamt TV-Sendungen mit starken Einschaltquoten - doch kaum bei den Kindern. Bei denen zieht die „Sendung mit der Maus“, „Pipi Langstrumpf“ oder etwa der „Tigerenten-Club“. Dort werden schon die Kleinen nachvollziehbar informiert und ansprechend unterhalten. Auch tolle unvergessene wie neue Kinder-Bücher und Kinder-Lieder gibt es. Wen wundert es da heute noch, dass die Modebranche auf Mädchen und auf Jungen zugeschnittene Klamotten auf den Markt bringt?

Was heißt das für die Leichtathletik?

Frank Hensel:

In punkto des vieldiskutierten Kinderleichtathletik-Wettkampfsystems können wir mit unserem noch jungen Modell „Made in Germany“ ganz selbstbewusst auftreten. Für diejenigen, die sich mit dem bis 2013 Bestehenden nicht zufrieden geben wollen und die sich in der Tat mit den Neuerungen auseinandersetzen meine Gegenfrage: Wer vermag für die Gegebenheiten in Deutschland ein überzeugenderes Lauf-, Sprung- und Wurf-Konzept im Kinderbereich vorzuweisen?

Ab 1. Januar 2015 wird das bisherige Disziplin-Angebot bei den Zehn- und Elfjährigen um den 800-Meter-Lauf und um die 4x50-Meter-Staffel ergänzt. Zudem sind in dieser Altersklasse auch die in der U14 geltenden Punktetabellen zulässig. Warum war diese Nachbesserung notwendig?

Frank Hensel:

Diese sogenannte Nachbesserung sorgte sowohl intern wie auch in den Landesverbänden und Vorreiter-Vereinen für viel Zündstoff. So war sie denn auch in den Augen der zuständigen Mitglieder der Arbeitsgruppe fachlich nicht erforderlich, sondern kontraproduktiv. Die U12-betreffende Ergänzung von 800-Meter-Wettbewerben, Kurzstaffeln in der bisherigen 4x50-Meter-Form wie auch die Möglichkeit, mit einer Mehrkampf-Punktewertung, wie sie seither auch für die U14 gebräuchlich war, zu werten, ist vielmehr ein politisches Zugeständnis.

Längst nicht jeder Leichtathletik-Kreis hat bisher Erfahrungen und Erkenntnisse mit der Durchführung der neuen Wettkämpfe sammeln können. Ein Zugeständnis, ein Rückfall in alte Zeiten, mögen manche meinen, das bereits in Jahr zwei seiner Gültigkeit fällig wurde.

Frank Hensel:

Wir wollen nicht verhindern und blockieren, sondern Entwicklungen anschieben und möglich machen. Mithilfe dieses Zugeständnisses machen die Entwickler und politisch Verantwortlichen einen großen Schritt auf Kritiker, Skeptiker und Bremser der neuen Wettkampf-Leichtathletik zu. Ich wünsche mir, dass dies von all den wichtigen Machern vor Ort nachvollzogen und anerkannt wird. Schön wäre es, wenn sich die Verantwortlichen öffnen würden und sich tatsächlich mit dem weiterentwickelten System sowie seinen Regeln beschäftigen würden. Viele Vorbehalte würden sich dann in Luft auflösen.
 
Wen brauchen Sie dazu?

Frank Hensel:

Am besten wagen sich die Erfahrenen unter den Organisatoren, mehr und mehr regelgerechte Wettkämpfe nach neuem Format zu organisieren. Oder aber sie besuchen zunächst einmal als Betreuer mit eigenen Teams die Sportfeste. Unter normalen Bedingungen wird das besondere Flair, die Begeisterung dort, die Leidenschaft der Mädchen und Jungen bestimmt auf die Betreuer und Eltern ausstrahlen - das sind unsere Erfahrungswerte; wohlgemerkt auch wissenschaftlich belegt. Oder aber man agiert etwas zurückgenommen und setzt das Vertrauen in andere Nachwuchs-Übungsleiter, nachkommende Ex-Athleten oder Quereinsteiger: Mein Rat an die Traditionalisten und älteren Kolleginnen und Kollegen: Bitte legen Sie anderen keine Steine in den Weg, sondern unterstützen Sie nach Möglichkeit bei sich abzeichnenden Hindernissen und Herausforderungen! Schließlich wollen sich die „neuen Besen“ persönlich in ihrem Wirkungsbereich und im Rahmen gültiger DLV-Regeln einbringen.

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