Frauen-Hindernislauf nach wie vor im Wandel
Kennen Sie Cristina Casandra? Livia Toth? Korine Hinds oder Carrie Messner? Nein? Vielleicht werden Sie diese schnellen Damen im August bei der WM in Helsinki kennenlernen, wenn zum ersten Mal über die 3.000 Meter Hindernis auch bei den Frauen Medaillen zu vergeben sind und es im erbitterten Kampf darum im Wassergraben spritzen wird.
Gulnara Samitova hält den Weltrekord (Foto: Chai)
Die Weltrangliste des Weltverbandes und die Weltjahresbestenliste weisen allen Statistikfreunden diese und noch andere Namen wie insbesondere Docus Inzikuru (Uganda) oder Wioletta Janowska (Polen) als mögliche Titelanwärterinnen aus.Und eines wird dabei deutlich. Momentan sind es vor allem die Umsteigerinnen, die in der noch jungen Frauen-Disziplin, die nach dem Millenniumswechsel in der Leichtathletik erstmals so richtig Einzug hielt, den Ton angeben und damit kurzfristig ohne langen Aufbau die Zeichen der Zeit erkannt haben.
Ausgereizt zu neuen Ufern
Die 27 Jahre alte Europacup-Siegerin Cristina Casandra (Rumänien) kam von den 5.000 Metern und bestritt bereits vor fünf Jahren ihr Hindernisdebüt mit einer Zeit klar unter zehn Minuten. Die bereits 29-jährige Jamaikanerin Korine Hinds entdeckte die neue Disziplin erst vor zwei Jahren.
Ihre Landsfrau Mardrea Hyman ist gar schon 32 Jahre alt und feierte erst in dieser Freiluftsaison ihre Premiere im Wassergraben. Ausgereizt auf den Mittelstrecken witterte sie auf ihre "alten Tage" in der neuen Disziplin ihre Chance, hat nun mit beachtlichen 9:36,14 Minuten den Landesrekord und den nationalen Titel inne und wird mit Medaillenhoffnungen nach Helsinki reisen.
Tegla Lorouple mit missglücktem Versuch
Dass man sich aber nicht einfach so hinstellen und über die Hindernisse davonfliegen kann, musste eine namhafte Athletin aus Kenia bitter erfahren. Die frühere Marathon-Weltrekordhalterin Tegla Loroupe ging bei ihrem Einstand im Rahmen des Super Grand-Prix-Meetings in Athen im Juni mit einem zwölften Platz und einer Zeit von 10:18,31 Minuten im internationalen Vergleich unter.
Zu den Pionierinnen unter den Hindernisläuferinnen gehören die Polin Justyna Bak und die australische Junioren-Weltrekordhalterin Melissa Rollison, die schon 2001 Zeiten um und unter 9:30 Minuten laufen konnten. In den letzten beiden Jahren drückte dann die Russin Gulnara Samitova, die vorher auf den 1.500 Metern zuhause war, mit einem Quantensprung den Weltrekord an die Neun-Minuten-Grenze (9:01,59 min).
Die Leistungsunterschiede sind noch recht groß, der Frauen-Hindernislauf, der nun in Helsinki salonfähig werden soll, weiterhin im Wandel begriffen.
Deutscher Rekord noch ungefährdet
Erst zwei DLV-Athletinnen sind unter zehn Minuten geblieben. Auf Platz 14 der ewigen Weltbestenliste liegt mit der Thüringerin Melanie Schulz eine Deutsche, die nach Verletzungssorgen zuletzt nur noch sporadisch in Erscheinung getreten ist. Doch ihr deutscher Rekord von 9:38,31 Minuten steht seit drei Jahren wie ein Fels in der Brandung und wäre auch jetzt noch international sehr vorzeigbar. "Es steckt bei passender Konkurrenz noch viel in dieser Strecke", sagte sie bereits damals. Ein Satz, der auch heute immer noch so fallen könnte.
Die inzwischen zurückgetretene und zum Radsport gewechselte Larissa Kleinmann hatte 2001 in 10:01,52 Minuten bei einem Rennen in den USA die Schallmauer nur knapp verpasst und ist mit dieser Zeit nach wie vor Deutschlands Nummer drei.
Vor ihr hat sich bereits im letzten Jahr Verena Dreier eingereiht. Die Siegerländerin, jetzt mit einer Bestzeit von 9:59,22 Minuten ausgestattet, ist die momentan stärkste deutsche Hindernisläuferin. Sie scheint mit erst 20 Jahren die Zukunft ebenso noch vor sich zu haben wie die B-Jugend-Meisterin Susi Lutz (LG Domspitzmilch Regensburg), die im Juli bei der U20-EM in Kaunas (Litauen) die deutschen Farben vertreten wird und sich vor einer Woche bei den Deutschen Meisterschaften in Bochum-Wattenscheid als Dritte teuer verkaufte.
Verena Dreier bereits Spezialistin
Verena Dreier sieht ihre Zukunft auf der Hindernisdistanz: "Das ist meine Spezialstrecke, auch wenn ich alles von 800 bis 10.000 Meter laufe." Die frischgebackene Deutsche Meisterin weiß auch, dass diese Disziplin nach wie vor in den Kinderschuhen steckt: "Irgendwann kommen Spezialistinnen und der Weltrekord wird unter neun Minuten gehen." Die Frage, wann, bei welcher Zeit die Strecke für Frauen ausgereizt sein könnte, bringt sie ins Grübeln. "8:50 Minuten vielleicht." Aber eine Prognose ist auch für sie nur schwer zu stellen, sie fällt vorsichtig aus.
Selbst will Verena Dreier, die zuletzt das Abitur absolviert hat und im August bei einer Physiotherapieschule eine Ausbildung beginnt, vor allem an ihrer Wassergrabentechnik feilen und so in der nächsten Zeit noch einige Sekunden gut machen. In der kommenden Woche steht für die braungebrannte Athletin die U23-EM in Erfurt an. Es soll ein Platz unter den ersten Sieben sein: "Ich will vorne mitmischen." Es könnte für die Europacup-Fünfte ein Fingerzeig in Richtung europäische Spitze werden.
Potenzial und Chancen
Das für das Rennen im Steigerwaldstadion gemeldete Feld ist genauso undurchschaubar wie die gesamte Disziplin momentan. Die WM in Helsinki wird den ersten großen Namen hervorbringen, aber er kann ebenso schnell verblassen wie der einer Emma George (Australien) im Stabhochsprung, die von 1995 bis 1999 das begann, was jetzt eine Yelena Isinbayeva (Russland) mit ihrer Jagd nach den fünf Metern fortführt.
Wer weiß also schon, wer in ein paar Jahren noch von einer Cristina Casandra, Livia Toth, Korine Hinds oder Carrie Messner sprechen wird? Noch bergen die 3.000 Meter Hindernis in der Frauen-Leichtathletik große Chancen und großes Potenzial in sich! Die Überholspur ist noch kaum befahren.