Gehen schlechte Versuche gegen die Ehre?
Die X in den Ergebnislisten der Wurfdisziplinen häufen sich. Haben die Athleten sich denn nicht genügend mit dem Anlauf bzw. Abwurf beschäftigt und an ihrer Technik gefeilt? Mangelt es ihnen an Konzentration? Wohl kaum. Die Sportler haben ihren gültigen Versuch absichtlich übertreten. Was sind die Hintergründe dieser Mode und wie stehen Athleten, Zuschauer, die Medien, Meetingveranstalter und der DLV dazu? Ulrike Philipp hat sich für leichtathletik.de umgehört.
Christian Nicolay sagt es frei heraus: Es geht um die Ehre. (Foto: Chai)
Die Werfer verteidigen ihre Praxis vehement. Da die schlechten Versuche die Zuschauer nicht interessierten, möchte man den Kampfrichtern die Arbeit sparen. "Der Wettkampf dauert sonst viel zu lang", argumentiert Speerwerfer Peter Blank. Für Diskus-Lady Franka Dietzsch gibt es "keinen Grund, einen solchen [schlechten] Versuch zu messen. Die halten doch nur auf und der Wettkampf zieht sich unnötig in die Länge." Ein überaus altruistischer Charakterzug der Athleten also? Christian Nicolay redet da eher Tacheles: "Ein schlechtes Ergebnis geht gegen die Ehre." Die kugelstoßenden Sack-Brüder stimmen ihm zu: "Schlechte Weiten stimmen missmutig." Eine ganze Menge Eitelkeit ist folglich doch im Spiel, denn wer zerstört schon gerne eine gute Serie oder die persönliche Wettkampfstatistik?Im Sinne der Zuschauer
Die Zuschauer des Köstrizer Werfertags Anfang September störten sich nicht an dieser Ehrenrettung. "Das müssen die Athleten selbst wissen." Wenn sich der Werfer nicht verbessert habe, könne man das selber sehen, da brauche dann nicht gemessen zu werden. Die Wettkampfstraffung ist also im Sinne der Zuschauer: "Der Wettbewerb dauert nicht so lang und ist dadurch spannender."
Zeitersparnis ist auch der entscheidende Faktor für die Medien. "Nichts ist für uns vom Fernsehen schlechter, als ein Wettbewerb, der nicht während der Sendezeit zum Ende kommt", bringt es Peter Leissl vom ZDF auf den Punkt. Das Übertreten kann er allerdings nur bei einem total verunglückten Versuch verstehen – wenn der Wurf in den Bereich der besten Tagesweite komme, sei das ungültig Machen unangebracht.
Verkürzung von langatmigen Veranstaltungen
Ralf Scholt von der ARD entkräftet das Athleten-Argument der Zeitersparnis: "Bei kleinen Veranstaltungen, wo noch von Hand gemessen wird, zieht diese Begründung. Aber bei den größeren Meetings wird doch elektronisch gemessen, da verursacht das Messen eines Versuchs keinen bedeutenden Zeitaufwand mehr." Einzig bei Live-Übertragungen befürwortet Scholt diese "Unsitte", da Zuschauer und Berichterstatter auch exzellente virtuelle Möglichkeiten besitzen, um Weiten abzuschätzen.
Ulrich Hobeck, Präsident der German Meetings findet, dass das bewusste Übertreten von Wurf- und Stossversuchen der Leichtathletik insgesamt nicht gut zu Gesicht steht. Seiner Meinung nach möchte der Zuschauer sehr gut informiert werden – eben nicht nur über die Siegesweite oder eine neue persönliche Bestleistung. Eine Ausnahme stellen für ihn – ähnlich wie für Peter Leissl – völlig misslungene Versuche dar. Vizepräsident Ludwin Klein möchte die Entscheidung weiterhin dem Athleten überlassen. Ihm ist in erster Linie wichtig, dass "unsere langatmigen Veranstaltungen" verkürzt werden.
Ein Privileg der Werfer
Für Siegfried Schonert vom DLV gehört auch der schlechte Versuch zum Wettkampf. "Der interessierte Zuschauer hat ein Recht darauf, alle Ergebnisse zu erfahren." Die Grenze zieht der Veranstaltungsmanager ebenso wie Leissl und Hobeck bei total verunglückten Abwürfen bzw. Drehungen. Für viele Leichtathletik-Zuschauer bleibe es unverständlich, weshalb ein gültiger Versuch absichtlich übertreten werde und die Athleten könnten keine vernünftige Begründung liefern. Schonert glaubt nicht, dass diese in erster Linie an die Kampfrichter denken.
Warum stehen die Werfer nicht zu ihren weniger guten Versuchen? In den Lauf- und Sprungdisziplinen ist diese nachträgliche Ehrenrettung doch auch kaum möglich! Nicht vergessen werden sollte auch die Tatsache, dass im weiteren Wettkampfverlauf oft der zweitbeste, manchmal sogar der drittbeste Versuch über Platzierungen entscheidet. Darüber hinaus wäre es im Extremfall überaus schade, wenn mehr Ergebnislisten zukünftig Athleten führen, bei denen nur ungültige Versuche vermerkt sind. Denn dies gäbe den wirklichen Wettkampf wahrlich nicht wider.