Gerard Hartmann lockt die Stars auf die Insel
Was könnte Usain Bolt in Irland wollen? Oder der Äthiopier Kenenisa Bekele? Die Jamaikanerin Shelly-Ann Fraser? Zugegeben, die Insel ist landschaftlich reizvoll – wenn nur der Regen nicht wäre. Wer die Wärme gewohnt ist, dem kann selbst der Sommer dort trostlos erscheinen. Dennoch haben insgesamt 31 internationale Top-Athleten und Trainer gleich ein Vier-Jahres-Visum für Irland beantragt. Und das liegt nur an einem Mann: Gerard Hartmann.
Gerard Hartmann ist der wohl am häufigsten von Leichtathleten aufgesuchte Physiotherapeut weltweit. Als „Guru“ wird er bezeichnet, als „Mann mit den magischen Händen“. Die Liste seiner Patienten ähnelt einer Hall of Fame der jüngeren Sportgeschichte. Rund 50 olympische Medaillengewinner sowie 30 Weltmeister soll er bereits behandelt haben (die Angaben schwanken), dazu Sieger der ganz großen Städte-Marathons der Welt.Kein Wunder also, dass auch die Hoffnungsträger für die Olympischen Spiele 2012 in London (Großbritannien) für den Verletzungsfall gerüstet und besonders während ihrer Aufenthalte in Europa immer in Reichweite des Iren sein wollen. Da Irland jedoch kein Mitglied der Schengen-Staaten ist, stellt es sich für Nicht-Europäer als schwierig dar, kurzfristig eine Einreisegenehmigung zu erhalten. Um dem vorzubeugen, bewilligte das irische Justizministerium in diesem Frühjahr zahlreichen Spitzenathleten ein Vier-Jahres-Visum, das ihnen Kurzaufenthalte von bis zu 90 Tagen auf der Insel ermöglicht.
Athletenmanagement federführend
Initiiert wurde die Aktion von Usain Bolts Manager Ricky Simms, Geschäftsführer der Sportmanagement-Agentur PACE mit Sitz in Teddington (Großbritannien), der ebenso wie Gerard Hartmann Ire ist und in Zusammenarbeit mit diesem die Visa beantragt hat.
Den Traum seiner Landsleute, dem 100-Meter-Weltrekordhalter demnächst auf heimischen Sportplätzen zu begegnen, muss Ricky Simms allerdings zunichte machen: „Usain ist ein Sprinter aus Jamaika, der dort in der Sonne trainiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ihn irgendwo anders hin zieht, besonders wenn man bedenkt, dass selbst irische Sprinter im Ausland trainieren.“
Nur im Notfall werden die Athleten, die ein Visum erhalten haben, unter ihnen übrigens auch Haile Gebrselassie (Äthiopien), Asafa Powell (Jamaika) und Usain Bolts Trainer Glen Mills, also nach Irland reisen. Genauer gesagt nach Limerick, denn auf dem Campus der Universität von Limerick (UL) hat Gerard Hartmann seine Sportklinik errichtet. Hier können während der Rehabilitationsphase auch die brandneuen und hochmodernen Einrichtungen der Sportfakultät genutzt werden.
Sportliche Wurzeln im Triathlon
Gerard Hartmanns eigene sportliche Wurzeln liegen beim Triathlon. Insgesamt sieben Mal gewann er in dieser Sportart den nationalen Titel, vertrat sein Land zwischen 1984 und 1991 bei Europa- und Weltmeisterschaften und beim Ironman-Triathlon auf Hawaii (USA). Als College-Stipendiat hatte er zuvor in den USA auch an Mittelstrecken-Wettbewerben der Leichtathletik teilgenommen. Ein Fahrradunfall beendete schließlich seine aktive Laufbahn.
Das Studium der Physiotherapie absolvierte der heute 49-Jährige in Florida (USA), wo er anschließend seine erste Praxis eröffnete. 1997 ging er nach Irland zurück, baute dort zunächst in Limericks Innenstadt die International Sports Injury Clinic auf und zog dann mit Eröffnung der UL Sportfakultät auf den Universitätscampus am Stadtrand um.
Ist er nicht in seiner Praxis anzutreffen, befindet sich der Ire mit hoher Wahrscheinlichkeit bei internationalen Sportveranstaltungen. 1996 begleitete er die irische Delegation zu den Olympischen Spielen in Atlanta (USA), vier Jahre später war er mit der britischen Nationalmannschaft in Sydney (Australien) vor Ort. Auch bei Leichtathletik-Weltmeisterschaften und Grand-Slam-Tennisturnieren wurden seine Dienste in Anspruch genommen.
Mentor von Paula Radcliffe
Am häufigsten hörte man den Namen Gerard Hartmann in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit der britischen Ausnahmeläuferin Paula Radcliffe. Die Marathon-Weltrekordhalterin ist bereits seit 1997 ständiger Gast in seiner Klinik und voll des Lobes für ihren persönlichen Physiotherapeuten: „Gerard versteht die Athleten. Er arbeitet nicht nur an der Verletzung, sondern auch im mentalen Bereich, und ist so positiv, dass man sich in seiner Gegenwart total entspannen kann. Ich glaube, dass er eine Gabe hat, die andere in diesem Beruf nicht besitzen.“
Mehrere Wochen verbrachte die Britin im Vorfeld großer Wettbewerbe bisher regelmäßig in Limerick, ließ sich zweimal am Tag bis zu zwei Stunden lang massieren. „Paula ist mit Abstand die professionellste Athletin, mit der ich je gearbeitet habe“, sagt Gerard Hartmann über die Ex-Weltmeisterin im Marathon.
Zu den weiteren Athleten, die mit der Hilfe des Physiotherapeuten auf den Punkt topfit wurden, gehören auch Kelly Holmes, Doppel-Olympiasiegerin über 800 und 1.500 Meter, Colin Jackson, zweifacher Hürden-Weltmeister (beide Großbritannien) und Moses Kiptanui (Kenia), dreimaliger Weltmeister über 3.000 Meter Hindernis.
Geheimwaffe aktives isoliertes Stretching
Sowohl für die Phase der Rehabilitation als auch zur Prävention schwört Gerard Hartmann auf eine besondere Form des Stretching: Das sogenannte aktive isolierte Stretching, bei dem eine Dehnübung nur wenige Sekunden gehalten, dafür aber häufig wiederholt wird. Außerdem warnt er vor zu langen, kraftraubenden Trainingsphasen, die schnell zu Übertraining führen können: „Verletzungen sind oft unvermeidbar, weil die Athleten zu große Anstrengungen zu bewältigen haben.“
Die Expertise des Iren machte sich auch der Sportartikel-Hersteller Nike zunutze, der ihn für die Entwicklung des Nike Free Laufschuhs zu Rate zog. Das ultraleichte und extrem flexible Modell soll das Barfußlaufen simulieren, Muskeln stärken und die Dehnbarkeit verbessern. „Die Verformung der Fußmuskulatur ist eines der Probleme, die am häufigsten Verletzungen hervorrufen“, erklärt Gerard Hartmann.
Paula Radcliffe trug das Sportgerät als eine der ersten Athletinnen schon als Prototyp im Training. Rund ein Drittel ihrer wöchentlichen Laufeinheiten absolvierte sie im Nike Free. Ob auch Usain Bolt ein Paar dieser Schuhe besitzt, ist nicht bekannt.