| DM-Historie

„Goldene“ 1:44,9 Minuten: Franz-Josef Kempers DM-Rekord wird 50

7. August 1966: Ein 20-Jähriger läuft auf der Aschenbahn des Niedersachsenstadions von Hannover in 1:44,9 Minuten zum DM-Titel über 800 Meter. Die Meisterschafts-Bestmarke von Franz-Josef Kemper (SC Preußen Münster) ist seit 50 Jahren ungebrochen. Zur DM in Kassel, die auch der Rekordler im Stadion verfolgen wird, erinnern wir an das Jubiläum.
Martin Neumann

Rekorde sind vergänglich, Medaillen für die Ewigkeit. So sagt man gemeinhin im Sport. Anders bei Franz-Josef Kemper. Sein Meisterschaftsrekord über 800 Meter wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Am 7. August 1966 lief er als 20-Jähriger bei den Deutschen Meisterschaften in Hannover 1:44,9 Minuten – damals Europarekord und nur sechs Zehntelsekunden langsamer als der Weltrekord des Neuseeländers Peter Snell.

Seit einem halben Jahrhundert ist kein Läufer bei DLV-Meisterschaften besser gewesen. Bei den DVfL-Meisterschaften der DDR waren lediglich 1981 in Jena der damals amtierende Europameister Olaf Beyer (ASK Vorwärts Potsdam; 1:44,31 min) und Detlef Wagenknecht (SC Dynamo Berlin; 1:44,81 min) schneller. Als Meisterschaftsrekord zählen aber die 1:44,9 Minuten von 1966.

Franz-Josef Kemper, im vergangenen September 70 Jahre alt geworden, erinnert sich noch ganz genau ans Rekordrennen: „Die Aschenbahn in Hannover war nach drei DM-Tagen und einigen Regenschauern ziemlich aufgeweicht. Trotzdem wollten wir im Finale schnell laufen. Es ging ja schließlich um die Startplätze für Europameisterschaften in Budapest.“

Zweite Runde in 51,7 Sekunden

Wie abgesprochen ging der Münchner Volker Panzer im Finale nach vorn und sorgte für ein flottes Tempo. Nach 350 Metern übernahm Franz-Josef Kemper im Trikot von Preußen Münster die Führung. 53,2 Sekunden zeigten die Uhren nach 400 Metern. Eine gute Durchgangszeit, um noch wie angepeilt unter 1:47 Minuten zu bleiben. Doch der Münsteraner wollte mehr. Er zog das Tempo unwiderstehlich an, hängte die Konkurrenz Meter um Meter ab und lief die Hände jubelnd in Schulterhöhe durchs Zielband. Die zweiten 400 Meter hatte Franz-Josef Kemper in 51,7 Sekunden absolviert.

„Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell werden würde. Aber das Rennen hat meinen Fähigkeiten entsprochen. Ich war kein grandioser Spurter, wie viele gedacht haben. Ich war nur äußerst widerstandsfähig gegen Ermüdung und bin langsam langsamer geworden als die anderen“, erinnert sich der Mittelstreckler an seine Stärken. Die wollte er auch wenige Wochen später im EM-Finale von Budapest ausspielen. Doch einer war besser auf den letzten Metern: der neunmalige DDR-Meister Manfred Matuschewski (SC Turbine Erfurt), der sich mit 1:45,9 Minuten und einer Zehntelsekunde Vorsprung durchsetzte. „Ich hatte eingangs der Zielgeraden schon alle Körner investiert. Ich hätte noch nicht Vollgas geben sollen. Aber es war ja keine Schande, gegen Manfred Matuschewski zu verlieren“, ist der 70-Jährige mit seiner Karriere im Reinen.

Die sollte ihn drei Wochen nach dem EM-Finale zu einem Weltrekord führen. Am 21. September – erneut in Hannover – egalisierte Franz-Josef Kemper mit 2:16,2 Minuten den 1.000-Meter-Weltrekord des Erfurters Jürgen May. Die globale Bestmarke sollte sieben Jahre lang Bestand haben. Am 17. Juli 1966 hatte Franz-Josef Kemper bereits in Hamm zusammen mit Wolf-Jochen Schulte-Hillen und Harald Norpoth den deutschen Rekord über 3x1.000 Meter auf 7:01,2 Minuten verbessert. Die Marke besteht heute noch. „Wir haben uns schon verabredet, um das 50-jährige Jubiläum des Rekords zu feiern“, verrät Franz-Josef Kemper.

Vom Ballsportler zum Leichtathleten

Seit fünf Jahren ist der ehemalige Abteilungsleiter im Innenministerium von Rheinland-Pfalz in Pension. Sein Wissen gibt er aber immer noch als Honorarprofessor an der Accadis Hochschule Bad Homburg im Studiengang International Sports Management weiter. Verheiratet ist er mit der Juristin und Olympia-Starterin von 1972 (ebenfalls 800 m) Sylvia Schenk, die von 2001 bis 2004 Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer war. Zweimal pro Woche schnürt Franz-Josef Kemper noch die Laufschuhe. „Aber nur für eine halbe Stunde, wenn es länger werden soll, nehme ich lieber das Rennrad“, erzählt der ehemalige Europarekordler, dessen Bestmarke erst 1972 vom 1.500-Meter-Olympiasieger Pekka Vasala (Finnland; 1:44,5 min) gesteigert wurde.

Zu Leichtathletik kam der seit vielen Jahren in Frankfurt lebende Läufer über Umwege. In der Schule spielte Franz-Josef Kemper lieber Basketball und Fußball, lief aber ohne Training schon 49,5 Sekunden über 400 Meter. Dass er Talent hatte, erkannte er schnell. „Da habe ich mir Lehrbücher von Toni Nett gekauft und danach trainiert“, erzählt der 70-Jährige über den Beginn seiner Karriere. Schnell wurde er besser. Von 1963 auf 1964 steigerte er sich über 800 Meter um rund acht Sekunden auf 1:48,9 Minuten.

Bei den Deutschen Meisterschaften 1964 kannte ihn allerdings noch niemand. Der  „Spiegel“ schrieb nach seinem Europarekord: „Kemper trampte in der Olympiasaison 1964 nach erst einem Trainingsjahr auf eigene Kosten zu den Deutschen Meisterschaften nach Berlin und übernachtete in einem Auto. Der 18 Jahre alte Oberprimaner wurde im Finale von Manfred Kinder nur um eine Zehntelsekunde besiegt. Auf der Tribüne rätselten die Experten: Wer ist das?“ In den Folgejahren sollten sie es erfahren.

Vom Körper ausgebremst

Der Karriere-Höhepunkt sollten für den Germanistik- und Sportstudenten die olympischen „Heimspiele“ 1972 in München werden. „Im Mai vor Olympia war ich in der Form meines Lebens“, blickt Franz-Josef Kemper zurück. Doch dann bremste ihn eine schwere Nierenentzündung aus. Zwar wurde er bis München – mit einer Niere, die nur noch zu 10 Prozent arbeitete – fit, aber zu seinen Trainingszeiten vom Mai fehlte ein gutes Stück. „Darum war für mich der vierte Platz im Olympia-Finale ein großer Erfolg, keine Niederlage“, sagt Franz-Josef Kemper. Nach den Spielen wurde ihm eine Niere entfernt. Ein Jahr später beendete er mit 26 Jahren seine Karriere.

Der Leichtathletik ist der Frankfurter treu geblieben. Auch bei den Deutschen Meisterschaften an diesem Wochenende in Kassel wird Franz-Josef Kemper dabei sein und vielleicht die eine oder andere Siegerehrung übernehmen. Passend wären natürlich die 800 Meter. „Gern können die Jungs meinen Meisterschaftsrekord brechen. Aber momentan sieht es nicht so aus, als würde es dieses Jahr passieren“, glaubt der ehemalige Mittelstreckler. Sein Rekord könnte wirklich für die Ewigkeit gemacht sein.

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