Berhane Adere startet beim London-Marathon
Jahrelang waren sie Rivalen auf der Laufbahn. Berhane Adere und Paula Radcliffe lieferten sich in den Stadien dieser Welt heiße Duelle. Immer wieder kreuzten sich ihre Wege, zuletzt bei der WM in Helsinki, wo die Äthiopierin Silber über 10.000 Meter holte und die Engländerin leer ausging. Auch in London, Schauplatz eines der prestigeträchtigsten Marathonrennen der Neuzeit, prallen die beiden erneut aufeinander.
Berhane Adere wagt einen neuen Marathon-Versuch (Foto: Chai)
Paula Radcliffe, die anno 2003 in der britischen Metropole mit 2:15:25 Stunden so schnell unterwegs war wie keine vor ihr, wird in Expertenkreisen als Topfavoritin gehandelt. Berhane Adere, ihre Herausforderin, ist nur krasse Außenseiterin, da ihr auf der klassischen Distanz die nötige Erfahrung fehlt.Die hoch aufgeschossene Dame ist schon 32 Jahre alt und eine große Nummer in der Laufszene. Sie trainierte hart und kämpfte schwer um Anerkennung im Zirkus der Sensationen. Volker Wagner, ihr Mentor, der in Diestelbruch, einem kleinen Nest nahe bei Detmold, eine Läufer-WG mit erfolgshungrigen Athleten aus dem fernen Afrika betreut, hat sie Schritt für Schritt in die Weltspitze geführt.
Alleskönnerin Berhane Adere
Berhane Adere, die einst als Polizistin ihre Brötchen verdiente, kann alles. "Ihr Plus ist die Vielseitigkeit", lobt Volker Wagner die grazile Person, die gerade mal 48 Kilo wiegt, die sich auf 1,70 Meter Körpergröße verteilen, "Berhane kann überall laufen: sei es in der Halle, auf der Bahn oder halt auf der Straße." Auf der Halbmarathon-Distanz hat sie bei der WM bereits Gold (2002), Silber (2003) und Bronze (2001) gewonnen.
Wenn sie nicht gerade im Flieger, natürlich Business Class, durch die Weltgeschichte tingelt und von Wettkampf zu Wettkampf düst, ist Berhane Adere am liebsten daheim in Addias Abeba, wo ihr Sohn eine Privatschule besucht. Erpasse Lami, ihr Ehemann, ist ebenfalls heimatverbunden. Wie seine bessere Hälfte ist auch er als Marathonläufer recht ausdauernd. Alle, die zwei Beine haben und schnell rennen können, eifern in Äthiopien ohnehin berühmten Vorbildern nach. Von Abebe Bikila und Mamo Wolde ist die Rede, zwei Heroen der Vergangenheit, die bei Olympischen Spielen drei Goldmedaillen gesammelt haben.
Debüt ging schief
Marathon. 42,195 Kilometer am Stück. Berhane Adere hat an diese wagemutige Herausforderung keine guten Erinnerungen. Ihr Debüt im April 2001 in Rotterdam ist gründlich schief gegangen. "Damals fehlte ihr die richtige Basis", berichtete Volker Wagner, "der Körper hat nicht so reagiert, wie wir gedacht hatten." Saft- und kraftlos trabte sie in 2:41:50 Stunden durchs Ziel und landete abgeschlagen auf Platz fünfzehn.
Einen weiteren Versuch hatte sie lange Zeit ad acta gelegt. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Berhane Adere, die Nummer 3 in der ewigen Weltbestenliste über 10.000 Meter (30:04,18 min bei ihrem WM-Triumph in Paris 2003), sucht am 23. April auf Londons Straßen erneut ihr Glück. Seite an Seite mit Paula Radcliffe, Margaret Okayo (Kenia), 2004 Siegerin auf dem flotten Kurs, Deena Kastor (USA), 2004 Olympia-Dritte in Athen, Susan Chepkemei (Kenia), Constantina Tomescu-Dita (Rumänien) und Ludmila Petrova (Russland), allesamt gestandene Marathonläuferinnen, ist sie ein "dark horse", eine Außenseiterin – aber eine, die man nicht unterschätzen sollte.