Großes EM-Interview mit DLV-Präsident Dr. Clemens Prokop
Vom Rechtswart über den Vizepräsidenten Recht bis hin zum Präsidenten ist Dr. Clemens Prokop zum Chef des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) aufgestiegen. Der 45jährige Amtsrichter führt heute einen Verband, der mit fast 900.000 Mitgliedern zu den stärksten Sportverbänden Deutschlands zählt. Seit 16 Monaten ist er im Amt und kämpft tagtäglich für die Zukunft der deutschen Leichtathletik. In einem Interview vor dem Start der Leichtathletik-Europameisterschaften in München (6. bis 11. August) hat sich Prokop unter anderem über Erwartungen und Ziele geäußert. Dabei wurde eines klar: Trotz einiger pessimistischer Prognosen lässt er sich seinen Optimismus nicht nehmen.
DLV-Präsident Dr. Clemens Prokop setzt auf eine Signalwirkung für die Jüngeren (Foto: Kiefner)
Die Leichtathletik-Europameisterschaften im eigenen Lande sind eine große Chance. Was erwarten Sie persönlich von den Titelkämpfen im Münchner Olympiastadion?Dr. Clemens Prokop:
"Ich denke, wir werden allen Unkenrufen zum Trotz in München eine leistungsstarke Mannschaft präsentieren. Auch wenn wir einige bittere Verletzungs-Ausfälle wie Lars Riedel oder Andreas Erm haben, glaube ich, dass wir uns am Ende unter den besten drei Nationen Europas platzieren werden. Auch wenn einige glauben, ich bin ein Phantast, aber im eigenen Land müssen wir auch den Anspruch haben, um Platz eins in der Mannschaftswertung mitzukämpfen, oder kennen Sie einen Sportler, der schon vor Beginn des Wettkampfs Dritter werden will?"
Nun sind sich nahezu alle einig, die Bilanz von Budapest mit 23 Medaillen und 55 Endkampfplatzierungen ist nicht mehr zu erreichen. Was sagen Sie dazu?
Dr. Clemens Prokop:
"Mit Budapest kann man keinen Vergleich ziehen, weil dort alles, aber auch wirklich alles geklappt hat und wir am Ende ein Traumergebnis erzielt haben. Trotzdem müssen wir nicht gleich Schwarzmalen. Sicherlich wird die EM in München noch einmal einen großen Auftritt unserer etablierten Athleten erleben. Gleichzeitig erwarte ich aber auch eine Signalwirkung für die jüngere Leichtathletik-Generation, die durchaus in dem einen oder anderen Fall für Überraschungen sorgen kann, auch wenn am Ende nicht gleich immer die Goldmedaille rausspringt."
An wen denken Sie da zum Beispiel?
Dr. Clemens Prokop:
"Sina Schielke, Annika Becker, Claudia Marx oder auch Bastian Swillims sind doch Leute, die zuletzt gezeigt haben, dass mit Ihnen auf Dauer zu rechnen sein wird, wobei man bei Claudia Marx abwarten muss, wie sie ihre Verletzung (Kieferanbruch) überstanden hat. Ich denke, wir sollten auch einmal eins sehen: Im europäischen Vergleich haben auch die Engländer oder Franzosen nicht mehr das hohe Leistungsniveau wie noch vor Jahren. Derzeit wächst eine neue Generation heran, und die kann nicht von heute auf morgen arrivierte Sportler wie Heike Drechsler, Lars Riedel oder Sabine Braun ersetzen. Wir haben einen Strukturwandel mit permanenter Entwicklung."
Greift das Nachwuchsprogramm des DLV nicht etwas zu spät?
Dr. Clemens Prokop:
"Ach was. Gerade mit unseren Programmen wie Kids Athletics oder Leichtathletik in Aktion haben wir doch Erfolge bei den Jugendlichen. Im internationalen Vergleich liegen wir bei Jugend und Junioren mit unseren Leistungen mit an führender Stelle. Beim Europacup in Annecy sind Männer und Frauen am Ende auf Platz zwei gelandet unter acht europäischen Nationen. Nein, unser Problem ist, dass wir die Jugend nicht nur für die Leichtathletik begeistern müssen, sondern sie vor allem an die Leichtathletik binden müssen. Daran müssen wir hart und konsequent arbeiten."
Müsste dann nicht auch die Attraktivität der Leichtathletik auf den Prüfstand kommen, um das Interesse für die Leichtathletik zu steigern?
Dr. Clemens Prokop:
"Wir sind doch mittendrin und nicht nur dabei, die Präsentationsformen zuschauerfreundlicher zu gestalten. In München werden wir ähnlich wie in Wattenscheid oder Dortmund mit einem Sprecher-Team und einem Innenmoderator arbeiten, um den Zuschauer mehr zu leiten. Ein Problem der Leichtathletik ist doch, dass oft zu viele Dinge auf einmal im Stadion passieren und ein Laie - insbesondere bei technischen Disziplinen - schnell den Überblick verliert. Ich denke, da sind wir auf dem richtigen Weg, dieses Problem zu lösen."
Wäre denn München auf Dauer nicht auch ein idealer Standort, um dort größere Leichtathletik-Events zu veranstalten, zumal der Fußball ab 2006 nicht mehr im Olympiastadion rollt?
Dr. Clemens Prokop:
"Es ist sicher richtig, dass das Olympiastadion ein gutes Stadion für Leichtathletik-Top-Veranstaltungen ist. Das haben wir 1999 beim Grand-Prix-Finale gesehen, und wir werden es wieder bei der EM in München erleben. Ich bin überzeugt, die Athleten werden auch in München durch die Atmosphäre nach vorne getrieben und gute Leistungen zeigen. Vielleicht könnte es auch zu einer Neuauflage des früher so erfolgreichen Hans-Braun-Sportfestes als internationale Top-Veranstaltung kommen. Ich denke, München ist in jedem Fall immer eine Reise wert."
Gibt es denn eine genaue Zielvorstellung, wie viele Medaillen Sie von der Nationalmannschaft erwarten?
Dr. Clemens Prokop:
"Ich bin kein Prophet, aber zwischen 15 und 18 Medaillen könnten wir holen, wenn alles optimal läuft. Ich denke, wir sollten nicht schon jetzt Medaillen zählen. Lassen wir uns überraschen, denn das Schöne am Sport ist doch, dass man vorher nicht weiß, wie es hinterher ausgeht."
Wenn Sie eine persönliche Bilanz nach über einem Jahr als DLV-Präsident ziehen. Wie sieht die aus?
Dr. Clemens Prokop:
"Viele Dinge habe ich mir sicherlich einfacher vorgestellt, aber ich werde einen Teufel tun und deswegen resignieren. Man kann die Leichtathletik nicht an einem Wochenende und auch nicht in 16 Monaten so reformieren, dass alle nur Loblieder singen. Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass wir nicht auf dem Weg nach unten, sondern Stück für Stück auf dem Weg nach oben sind."