Großes Interview mit EM-Botschafterin Heike Drechsler
Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler gilt nach wie vor als eines der ganz großen Aushängeschilder der deutschen Leichtathletik. Die 37-jährige unterstrich bei den Deutschen Meisterschaften in Bochum-Wattenscheid mit dem deutschen Meistertitel und 6,64 Metern, die ihr das EM-Ticket bescherten, einmal mehr ihre Klasse. Sie bereitet sich nun auf die Europameisterschaft in München, für die sie auch als Botschafterin fungiert, vor. leichtathletik.de hat sich mit Heike Drechsler ausführlich über ihre Ziele, Erwartungen und Pläne unterhalten...
Heike Drechsler will bei der EM in München eine Medaille (Foto: Chai)
leichtathletik.deFrau Drechsler, rund dreieinhalb Wochen sind es noch bis zur Leichtathletik-Europameisterschaft in München. Welche Beziehung haben Sie zu der EM-Stadt und welche Bedeutung hat diese Veranstaltung für Sie?
Heike Drechsler:
Ich bin mir sicher, dass sich die Beziehung zu München ganz besonders zur EM entwickeln wird. Ich kenne München von den Olympischen Spielen 1972 nur vom Erzählen. Heide Ecker-Rosendahl hat damals im Weitsprung gewonnen. Bei den Deutschen Meisterschaften konnte ich das Stadion bereits einmal kennenlernen. Schon dort herrschte eine tolle Atmosphäre. Ich weiss, dass die Bayern nicht nur den FC Bayern München lieben, sondern auch sehr leichtathletik-begeistert sein können. Ich bin davon überzeugt, dass die Europameisterschaft in München ein richtiges Highlight wird. Deutschland ist ein gutes Pflaster für solche Großveranstaltungen. Ich erinnere nur an Stuttgart und ich bin mir sicher, dass es auch in München ein tolles Leichtathletik-Fest geben wird.
leichtathletik.de
Die Unterbringung in München findet im Olympischen Dorf von 1972 statt. Was denken Sie, welche Atmosphäre die Sportler dort vorfinden werden?
Heike Drechsler:
Ich bin mir sicher, dass München top wird. Auch in Sydney war es so, dass wir auf engem Raum geschlafen haben. Es war aber trotzdem gemütlich und die Atmosphäre toll. Wir sind drei Weitspringerinnen und wir können uns gegenseitig unterstützen und so für gute Stimmung sorgen. Es hat schon was, im Olympischen Dorf von damals zu wohnen, wenn wieder die unterschiedlichsten Nationalitäten zusammen kommen. Ich finde, als Athlet sollte man das erleben und gerade die Jüngeren sollten das geniessen. Es macht einfach Spaß, mit so vielen Sportlern in einem Dorf zu sein.
leichtathletik.de
Das EM-Ticket haben Sie seit den Deutschen Meisterschaften in Bochum-Wattenscheid in der Tasche, wie sieht Ihr weiterer Fahrplan bis zur EM aus?
Heike Drechsler:
Ich werde voraussichtlich noch einen Wettkampf bestreiten. Ich bin am 27. Juli in Leverkusen mit dabei. Ich brauche noch Wettkämpfe und möchte deshalb auf dem Weg nach München diesen Start absolvieren. Wir gehen vorher in ein Trainingslager in rund 1.000 Metern Höhe in die rumänischen Berge. Wir waren in diesem Jahr schon einmal dort, weil mein Trainer Rumäne ist und wir fanden tolle Anlagen vor.
leichtathletik.de
Sie treten in München als fünffache Europameisterin an und haben die vier letzten EM-Siege im Weitsprung errungen. Mit welcher Zielsetzung werden Sie im Olympiastadion an den Start gehen?
Heike Drechsler:
Ich möchte die Konkurrenz ärgern und vielleicht eine Medaille gewinnen. Das ist mein Ziel, gerade weil ich diese vier Weitsprung-Titel schon gewonnen habe. Ich habe meinen Titel zu verteidigen. Deshalb möchte ich den anderen auch Paroli bieten, ich weiss aber auch, dass ich jetzt noch einiges arbeiten muss, um so ein Niveau zu bekommen, wie es eine Tatjana Kotova im Moment hat. Sie ist zuletzt sehr stark gesprungen und wird sicher die Haupt-Favoritin sein. Aber keine ist unschlagbar, auch bei den Olympischen Spielen in Sydney ist sie damals nur Vierte geworden. Wir werden kämpfen, ich insbesondere!
leichtathletik.de
Wie beurteilen Sie die Situation im deutschen Frauen-Weitsprung im Moment. In diesem Jahr haben mit Sofia Schulte, Bianca Kappler, Susen Tiedtke und Ihnen vier Athletinnen um drei Tickets gekämpft. Ist schon eine Nachfolgerin von Heike Drechsler in Sicht?
Heike Drechsler:
Ich hoffe viele. Es ist ganz gut, dass jetzt die Jüngeren schon beständig 6,60 Meter gesprungen sind. Darauf können sie aufbauen. Gerade auf Bianca Kappler setze ich sehr viel. Beim Europacup in Annecy hat sie schon einige Gegnerinnen hinter sich gelassen und ist Dritte geworden. Sie behauptete sich dort erstmals in einem so großen Feld. Ich sehe auch eine Chance darin, dass jüngere Athleten immer mehr die Möglichkeit bekommen, bei großen internationalen Ereignissen dabei zu sein, um sich zu testen und einfach Erfahrungen zu sammeln. Das ist ganz wichtig für die Olympischen Spiele 2004 in Athen!
leichtathletik.de
Viele sagen, Heike Drechsler ist im Vergleich zu früheren Jahren ruhiger und gelassener geworden. Wie begründen Sie das selber, wie stehen Sie jetzt dem sportlichen Alltag gegenüber?
Heike Drechsler:
Ich muss mir nichts mehr beweisen. Ich möchte den Kitzel für mich noch austesten, um zu sehen, inwieweit ich noch Leistung bringen und mich motivieren kann. So lange der Erfolg stimmt und ich noch Spaß bei der Sache habe, werde ich auch noch dabei sein. Es hat einen gewissen Reiz, auch mit Situationen klar zu kommen, mit denen ich in den ersten fünfzehn Jahren keine Probleme hatte, wie mit Verletzungen zum Beispiel. Mit seinem Körper diszipliniert umzugehen, lernt man natürlich nicht mit Zwanzig. Die Erfahrung spielt eine große Rolle. Dreiundzwanzig Jahre Leistungssport sind schon eine ganze Menge. Dadurch hat man sicherlich auch einen Vorteil.
leichtathletik.de
Kugelstoßerin Astrid Kumbernuss hat kürzlich gemeint, dass durch die Geburt ihres Sohnes etwas an Motivation und Ehrgeiz verloren ging. Bei Ihnen hat man einen anderen Eindruck. Nachdem Sie Mutter geworden sind, haben Sie noch einmal angegriffen...
Heike Drechsler:
Jeder verkraftet eine Schwangerschaft anders. Für mich war nach der Wende auch die Situation entstanden, mit der Familie reisen und sie auch mit ins Trainingslager nehmen zu können. Wenn das nicht wäre, hätte ich wahrscheinlich schon mit dem Leistungssport aufgehört. 1988 wollte ich einfach nicht mehr und habe deshalb 1989 meinen Sohn zur Welt gebracht. Nach der Wende taten sich für mich neue Möglichkeiten auf. Damals sagte ich mir: fang noch einmal an und mach das, was du am besten kannst. Es hat geklappt!
leichtathletik.de
Es gab ja bereits einige Spekulationen darüber, dass Heike Drechsler im nächsten Jahr im Dreisprung antritt. Ist das für Sie tatsächlich ein Thema? Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?
Heike Drechsler:
Der Dreisprung ist das Lieblingsthema meines Trainers, aber ich weiss nicht, ob ich mir das antun sollte. Deshalb kann ich das im Moment nicht beantworten. Ich merke allerdings, dass ich den Weitsprung lieber mag als den Dreisprung. Das ist schon eine harte Disziplin. Ansonsten habe ich keine Grenzen im Kopf, wie und wie lange es für mich im Sport noch weitergeht. Mein nächstes Ziel ist die Europameisterschaft in München. Danach werde ich sehen, wie die Motivation für das kommende Jahr ist. Ich glaube aber schon, dass man mich noch bei der Weltmeisterschaft 2003 in Paris sieht.
Heike Drechsler im Internet:
www.heike-drechsler.com