Großes Interview mit Vize-Weltmeister Ingo Schultz
"Kinder sollen sehen, dass das, was man macht, Spaß macht. Wir Athleten sind dann die Heroes der Kids. Die schauen zu uns auf und wir haben Vorbildfunktion", sagt Ingo Schultz. Der Vize-Weltmeister über 400 Meter von Edmonton, der seine Teilnahme bei "Leichtathletik in Aktion" am 29. Mai 2002 in Iserlohn (leichtathletik.de berichtete) zugesagt hat, traf sich in Hamburg mit David Deister, dem DLV-Kinderleichtathletik-Referenten und Leiter des DLV-Projektes.
Ingo Schultz kommt bereits zum dritten Mal zu "Leichtathletik in Aktion" (Foto: K+C)
Lesen Sie das ausführliche und interessante Interview mit dem EM-Botschafter, der in dieser Woche ins Trainingslager nach Albufeira flog, rund um die Leichtathletik für die Kids, seine außergewöhnliche Karriere und einen Ausblick auf den Sommer mit dem Höhepunkt der europäischen Titelkämpfe im Münchner Olympiastadion:Ingo, wir freuen uns über Deine Zusage für "Leichtathletik in Aktion", unserem großen DLV-Kinderprojekt. Und dies ist ja nicht Dein erster Einsatz für die Kinder in der Leichtathletik...
Ingo Schultz:
Richtig, vor zwei Jahren war ich bereits in Bremen dabei und letztes Jahr in Lüneburg.
Da bleibt mir unvergessen, wie Du im Lüneburger Regen die Aufwärmung mit etwa 200 Kindern unter dem Tribünendach improvisiert hast. Dein Einsatz zeigt: Unabhängig von Deiner Popularität, die Du durch den Silberlauf von Edmonton gewinnen konntest, hast Du Dich schon vorher für die Kinder eingesetzt.
Ingo Schultz:
Das kann schon ganz schön anstrengend sein, wenn die Kids so rumtoben. Es ist wichtig, dass man die Kinder motivieren und bewegen kann. Das Training muss in diesem Alter nicht irgendwie speziell sein. Die Kinder sollen sehen, dass das, was man macht, Spaß macht. Wir Athleten sind dann die Heroes der Kids. Die schauen zu uns auf und wir haben einfach Vorbildfunktion. Wenn sie dann nach Hause gehen und zum Beispiel "Ingo Schultz spielen", ist eigentlich schon genug passiert. Der Kontakt, vielleicht eine Autogrammkarte, das bringt Motivation. Wenn ich mal in Dortmund in der Helmut-Körnig-Halle trainiere, merkt man richtig, dass die Kinder gucken, was die Großen machen. In Hamburg haben wir dagegen bisher in vielen kleinen Gruppen trainiert und ich glaube, die Motivation kommt wirklich erst dann, wenn viele verschiedene Gruppen auf dem Platz sind.
Deine Popularität wurde auch dadurch augenfällig, als selbst nach Ende der Veranstaltung in Lüneburg, Dir einige Kinder während Deiner Trainingsläufe zu folgen versuchten.
Ingo Schultz:
Auch bei solch einem Ausflug muss ich mein Training sicherstellen – in diesem Rahmen ließ sich das gut verbinden. Ja, das hat die Kiddis richtig angespornt. Die haben's einfach nachgemacht und waren voll auf begeistert.
"Sportliches Ereignis mit Gruppenfeeling"
Welchen Ansporn gibt es für die Kinder bei "Leichtathletik in Aktion" mitzumachen? Neben den Spitzenathleten...
Ingo Schultz:
... ist es ein sportliches Ereignis mit Gruppenfeeling. Neben mir gibt es ja noch weitere Leute, die die Stationen betreuen. Man schnuppert hier in die Disziplinen der Leichtathletik hinein. Das hat mich auch als Schüler schon interessiert. Ich war einmal in einer Stabhochsprung-AG. Dort war es mehr Stabweitsprung. Aber es war toll, das mal so kennen zu lernen. Bei "Leichtathletik in Aktion" wird das in dieser Form ja auch angeboten.
In der Schule hast Du den ersten Zugang zur Leichtathletik gefunden?
Ingo Schultz:
In der Schule macht das eigentlich jeder und so war es bei mir auch. Bundesjugendspiele und "JUGEND TRAINIERT FÜR OLYMPIA" hab ich mal mitgemacht, aber nie groß dafür trainiert. In meinem ersten Verein war ich dann ab 1.1.1998, da ging es richtig los.
Und in welcher Disziplin?
Ingo Schultz:
Ich kam zur TSG Bergedorf, als Jürgen Krempin Trainer einer Bundeswehr-AG war. Wir haben dann so ein bisschen ausprobiert: Hochsprung und Kugelstoß. Im Januar 1998 hatte ich im Kugelstoß meine erste Meisterschaft. Da wurde ich Dritter. Mit 11,08 Meter oder so. Also nichts Berauschendes. Und dann bin ich noch in der 4x2 Runden-Staffel mitgelaufen, also 300 Meter ungefähr. Da haben wir gewonnen. Von da an hat sich eine Tendenz zum Laufen abgezeichnet.
"Spät angefangen und dann hart trainiert"
Stell Dir vor, ein 9jähriges Kind kommt zu Dir zu "Leichtathletik in Aktion". Was sollte man denen mit auf den Weg geben, um ihnen vielleicht so eine Karriere zu ermöglichen, wie Du sie hattest?
Ingo Schultz:
Das ist natürlich schwierig. Also die Karriere, die ich hatte, ist im Prinzip einmalig. Man kann nicht erwarten, dass das jemand nachmacht. Ich hatte sehr spät angefangen und dann hart trainiert. Mein Körper steckt das irgendwie weg, das ist auch eine besondere Sache. Ich denke, dieses späte Einsteigen hat schon ein paar Vorteile. Wenn man sich sehr früh dem Leistungssport verschreibt, muss man später noch eine ganze Menge lernen. Wenn mit 14 die Schulkameraden gerade erwachsen werden, gehört es für mich einfach dazu, dass man einfach mal weggeht und Spaß hat. Bei einem Leistungstraining in dieser Altersklasse ist das alles schon eingeschränkt. Das ist eigentlich schon schade, wenn man das verpasst. Ich habe es halt nicht verpasst und bin auch ganz froh darüber. Von daher ist so ein später Einstieg natürlich auch eine gute Sache. Aber andererseits muss man auch eine Grundlage schaffen.
Und wo hast Du diese Grundlage erhalten?
Ingo Schultz:
Bei mir war das einfach. Ich habe mich viel bewegt. Hierbei habe ich viel vom Elternhaus mitbekommen. Es war schon eine richtige Grundlage da. Mein Appell an die Eltern: Schickt die Kinder mal zum Spielen weg vom Fernsehen, einfach Bewegung. Das war bei uns zu Hause sehr wichtig und wenn die Möglichkeiten da sind und man entsprechend wohnt, dann sollte man das hin und wieder seinen Kindern ermöglichen.
Hast Du Geschwister?
Ingo Schultz:
Ich habe noch vier Geschwister. Wir haben viel zusammen gemacht. Oft Verstecken gespielt und dieses Idiotenschießen – im Wald irgendwo. Alle möglichen Spiele, die man in der Nachbarschaft so macht. Ich war der Älteste.
Also warst Du auch in der Familie schon ein Vorbild für die Jüngeren?
Ingo Schultz:
Ja, auf jeden Fall.
Und derjenige, der Verantwortung übernehmen musste...?
Ingo Schultz:
Ja, das ist so eine Rolle, in die man auch irgendwo hineingedrängt wird, aber ich habe das irgendwie nie als Nachteil gesehen. Wir vier Jungs, neben der jüngsten Schwester, haben uns untereinander immer gut verstanden.
Fast eine halbe Fußballmannschaft...
Ingo Schultz:
Ja, oder eine Staffel...
Du hast Dir leistungsbestimmende Fähigkeiten als Leistungssportler erarbeitet. In welchem Zusammenhang siehst Du Deine Persönlichkeit, den Sport und den Beruf?
"Offizierslaufbahn hat mich stark geprägt"
Ingo Schultz:
Nach dem Abitur 1994 kam ich zur Bundeswehr, durchlief 1997 die Offizierslaufbahn und bin dann an die Uni nach Hamburg. Stark geprägt hat mich die Offizierslaufbahn. Dort wurden mir Kameradschaft und Teamfähigkeit vermittelt. Wir mussten viel entbehren und wurden auch körperlich hart gefordert. Das ist für jeden hart und jeder kommt an seine Grenzen. Aber genau dadurch lernt man sie ja kennen und weiß, dass man auch mal die Zähne zusammenbeißen muss. Das sind schon Eigenschaften, die man in den meisten Sportarten gebrauchen kann. Gerade weil man hier in Hamburg auch oft bei schlechtem Wetter trainieren muss. Da gehört schon eine Menge Disziplin dazu. Die habe ich sicher durch meinen Beruf mitgebracht. Durch die Leichtathletik hat sich das noch eher verstärkt und gefestigt. Und jetzt hat der Sport Auswirkungen auf meine berufliche Situation. In dem Sinne, dass ich weniger Zeit habe für den Beruf.
Also noch mehr Stress?
Ingo Schultz:
Ja, zumeist komme ich abends um neun Uhr nach Hause und habe dann noch "scharfe Sachen" zu tun. Gegen halb elf lege ich mich dann ins Bett. Diesen gemütlichen Fernsehabend gibt es bei mir gar nicht mehr.
Wie lange möchtest Du das so noch machen?
"Möchte bis 2005 dabei bleiben"
Ingo Schultz:
Ich möchte zumindest bis 2005 dabei bleiben. Aber das hängt natürlich auch vom Erfolg ab. Da bin ich recht flexibel. Wichtig, dass ich Spaß daran habe. Ich bin ein Typ, der Action braucht. Nur Sport zu machen, wäre nicht das Richtige für mich. Ich brauche die Arbeit als Ausgleich zum Sport.
Und was machst Du derzeit?
Ingo Schultz:
Ich bin als Soldat am Institut für Elektrotechnik. Noch bin ich mit meiner Doktorarbeit über "Organische Transistoren auf polymerer Basis" nicht sehr weit gekommen. Es ist ein schwieriges Thema und der Sport nimmt mich sehr stark in Anspruch. Neben dem Laufen möchte ich Gelegenheit haben, auch mal meine Gehirnzellen zu aktivieren. Mein Tagesablauf ist zwar stressig, aber so kommt auch nie Langeweile auf.
Du hast es anfangs angesprochen, dass es auch anstrengend sein könne, Kinder zu betreuen. Könntest Du Dir dennoch vorstellen, einmal als Trainer Kinder im Verein zu betreuen? Später vielleicht mal?
Ingo Schultz:
Nein, das ist noch zu weit weg, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich bin jemand, der eher zur Erwachsenenbildung hin tendiert. Auch als Soldat, als Offizier, hat man ja auch Erwachsene, die man ausbildet. Das macht mir sehr viel Spaß; Menschenführung allgemein.
Was sind Deine Ziele in 2002?
Ingo Schultz:
Die EM in München ist ja der große Höhepunkt in diesem Jahr. Ich bin EM-Botschafter und die Ziele sind hoch gesteckt. Zum einen von mir, zum anderen von der Öffentlichkeit. Ganz klar: ich möchte eine Medaille!
"Will in München gewinnen"
Aber Du möchtest nicht in die Offensive gehen und sagen: "I go for gold"?
Ingo Schultz:
Ich will natürlich gewinnen. Das ist keine Frage. Das wollen ja alle, die teilnehmen. Und ich weiß auch, dass es schwierig ist. Es kann nur einen geben, der gewinnt. Es kann immer einen geben, so wie ich letztes Jahr, der wie ein Phoenix aus der Asche kommt. Vieles ist da möglich. Es kommt auf die Umstände an. Mit einer Medaille wäre ich sehr zufrieden. Es muss nicht unbedingt Gold sein, aber schön wär's natürlich.
Ingo, wir danken Dir für dieses Gespräch und wünschen Dir viel Erfolg auf Deinen Weg zur EM 2002!