Günther Lohre - „Bin kein Medaillenzähler“
Früher Deutschlands bester Stabhochspringer, jetzt als Trainer in Eltingen selbst an der Basis verwurzelt, übernimmt der 56-jährige Günther Lohre nun Verantwortung in der Führungsetage des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Am Wochenende wurde er beim Verbandstag in Berlin zum neuen Vize-Präsidenten Leistungssport gewählt. Erfahren Sie im Interview, welchen Weg er gehen will.
Günther Lohre, für welche Philosophie stehen Sie als neuer DLV-Vize-Präsident im Bereich Leistungssport?Günther Lohre:
Ich bin kein Medaillenzähler. Wir sind aber im Leistungssport und dort gehört das Gewinnen-Wollen dazu. Darin steckt kein Widerspruch zur Position, die Prof. Dr. Eike Emrich für den DLV-Leistungssport entwickelte. Die WM-Erfolge von Berlin zeigten, dass unsere Athleten wettbewerbsfähig sind. Wenn wir uns weiter steigern wollen, müssen wir Wege finden, um die Trainingsqualität auf breiter Basis zu verbessern.
Das „Darmstädter Echo“ hatte sie schon vor dem Verbandstag als „Hoffnungsträger“ tituliert...
Günther Lohre:
Es ist vielleicht ein wenig vorschnell, aber es ist nichts Schlechtes, denn ein Hoffnungsträger kommt zunächst einmal dann, wenn es vorangehen muss. So ist es aber nicht, denn es ist ja viel erreicht. Es geht jetzt darum, darauf aufzusetzen.
Als wie groß empfinden Sie denn die Fußstapfen, die Ihr Vorgänger Prof. Dr. Eike Emrich hinterlassen hat?
Günther Lohre:
Ich empfinde, das ist keine Frage, dass seine Arbeit respektabel war. Ich bin aber ein ganz anderer Typ. Ich gehe anders an die Sachen heran. Ich glaube, dass in meiner Person etwas mehr praktische Erfahrung hineinkommt. Ich habe die Arbeit im DLV aus unterschiedlichen Perspektiven erlebt. Zuletzt erlebte ich sie vor allem als Heimtrainer, wo ich wertvolle Erfahrungen machen konnte, die in der weiteren Qualitätsverbesserung helfen.
Die Olympischen Spiele 2012 in London sind ein Ziel, für das Präsident Dr. Clemens Prokop in seinem Programm einen Platz unter den ersten vier Nationen ausgegeben hat...
Günther Lohre:
…in der Nationenwertung. Das ist ein Ansporn. Ziele müssen hoch sein, denn sonst werden wir sie nicht erreichen. Wir haben eine ganze Reihe junger Talente in unseren Kadern. Ich bin überzeugt, dass wir das schaffen können, wenn die Trainer gut arbeiten. Allerdings ist es schon noch ein wenig früh um eine Prognose abzugeben.
Zunächst einmal folgt im nächsten Sommer eine Europameisterschaft auf die WM im eigenen Land. Erleichtert es Ihnen Ihre Aufgabe, dass es nach dem Erfolg von Berlin zunächst nur eine EM ist, also ein kontinentaler Vergleich?
Günther Lohre:
Nein, das hat damit nichts zu tun. Im Sport geht es immer rauf und runter. Ich kenne es selber. Bei so einem Höhepunkt wie der WM in Berlin, wo ein totaler Hype da ist, weil man die Weltmeisterschaft im eigenen Land hat, hängen sich die Athleten voll rein, lassen Semester sausen, um sich vorzubereiten. Da wird es natürlich nun einige geben, die sagen: Ich brauche jetzt ein Jahr, in dem ich ruhiger mache, um mich zu sammeln und in meiner beruflichen Ausbildung voranzukommen. Auf der anderen Seite sehe ich die Europameisterschaft allerdings schon mit guten Chancen. Manche, wie zum Beispiel die Stabhochspringer, haben auch etwas nachzuholen.
Wie schätzen Sie für die nächsten Jahre die Chancen im internationalen Vergleich vor dem Hintergrund des weiterhin starken Anti-Doping-Kampfes des DLV ein?
Günther Lohre:
Die Erfolge bei der WM in Berlin haben gezeigt, dass man auch mit sauberen Mitteln Medaillen gewinnen kann. Das ist ein ganz wichtiges Signal. Ich glaube daran, dass es sauber geht, und das wollen wir beweisen. Für mich ist es deshalb wichtig, Mittel und Wege zu finden, intelligenter zu trainieren, sich Wissensvorteile zu verschaffen und diese konsequent anzuwenden.
Lassen sich bestehende Lücken der deutschen Leichtathletik wie etwa im Laufbereich auf dem Weg bis 2012 schließen?
Günther Lohre:
Guter Hoffnung bin ich immer. Die Leichtathletik ist aber in einem ganz, ganz harten internationalen Wettbewerb, der noch härter wird. Je mehr Länder in den Wettbewerb eintreten und je mehr sich das Wissen verbreitet, desto schwieriger wird es für uns. Deshalb sollten wir den Wettbewerb um saubere Trainingsmethoden annehmen. Wir haben 47 Disziplinen, in denen es um Medaillen geht, über 200 Länder entsenden ihre besten Talente. Die Leichtathletik muss anders bewertet werden als beispielsweise das Rodeln. Natürlich wollen wir konkurrenzfähig sein, Medaillen gewinnen und möglichst viele Endkampfplätze erreichen, ob wir aber die Lücken schließen können, kann ich heute noch nicht sagen. Die Verantwortlichen beim DLV-Leistungssport werden jedenfalls ihr Bestes geben.
Dort sind künftig mit Ihnen, Sportdirektor Thomas Kurschilgen und Cheftrainer Herbert Czingon gleich drei Stabhochspringer zu finden. Was bedeutet das für den deutschen Stabhochsprung?
Günther Lohre:
Der deutsche Stabhochsprung steht jetzt noch ein bisschen mehr unter Beobachtung. Ich wünsche mir natürlich, dass die Jungs Medaillen gewinnen. Es ist ein bisschen mehr Druck da als vorher. Aber das liegt in der Natur der Sache, denn Stabhochspringer ist man ein ganzes Leben lang.
Der Wunsch oder die Forderung, dass mehr ehemalige Top-Athleten in der DLV-Spitze eingebunden werden sollen, ist nicht neu. Sie sind jetzt eben ein solcher. Was glauben Sie, dass Sie den Aktiven von heute besonders vermitteln können?
Günther Lohre:
Mit den vielen Jahren Abstand, die ich mittlerweile habe, bekommt man zunächst einmal einen anderen Blick auf die sportliche Karriere. Mir fällt als Erstes ein, dass man sich glücklich schätzen kann, wenn man saubere Leistungen erbracht hat, wenn man auf eine ehrliche, faire Karriere zurückblicken kann. Das Zweite ist, dass man weiß, dass es sich lohnt, sich für sein Ziel stark zu engagieren, dass man aber relativ wenig Zeit hat. Das betrifft vor allem junge Athleten, die sagen: Naja, ich habe noch Zeit, ich kann in vier Jahren noch zu Olympischen Spielen. Ich habe wegen Boykott und anderem erleben müssen, dass das nicht der Fall ist. Deshalb ist es wichtig, dass man sich auf das nächste große Ziel fokussiert und keine langfristige Perspektive ins Visier nimmt.
Wie hat sich denn dieser andere Blick, den Sie angesprochen haben, im Laufe der Jahre, die zwischen Ihrer aktiven Laufbahn und Ihrer Wahl zum Vize-Präsidenten liegen, verändert?
Günther Lohre:
Der Blick ist realistischer geworden. Als Athlet hat man eine Tendenz zu denken: Der DLV muss alles, was nicht läuft, richten, das ist seine Aufgabe. Wenn man den DLV dann kennen lernt und weiß, wie eine Monopolgesellschaft wie es ein solcher Verband nun einmal ist, arbeitet, dann sieht man manches anders. Ein Verband ist nicht vergleichbar mit einem Unternehmen. Der Leichtathletik-Verband ist auch nicht vergleichbar mit dem Deutschen Fußball-Bund. Man muss den Athleten deutlicher machen, was der Verband kann und vor allem auch, was er nicht kann, so dass dann ein realistisches Bild entsteht. Wenn man weiß, was möglich ist und was nicht, wird die Zusammenarbeit wesentlich leichter.
Sie waren früher auch Aktivensprecher im Verband. Wie sollte die Rolle der Athleten aussehen?
Günther Lohre:
Die Leichtathletik ist so komplex, dass es gar nicht anders geht, als eine Lösung zu finden, bei der alle Beteiligten auch Führungsaufgaben übernehmen. Im Prinzip muss der Athlet auch eine Führungsaufgabe übernehmen, nämlich für sich selbst und mit für das Team. Die Athleten sind gefordert. Sie müssen darüber nachdenken, wofür sie eigentlich stehen. Sie müssen für sich sehen, dass sie eine Nationalmannschaft vertreten, dass sie unsere Leistungselite sind, die sich in diesem Land in der Leichtathletik bewegt.
Mit welchen primären Aufgaben starten Sie jetzt in Ihre Amtszeit?
Günther Lohre:
Zunächst einmal geht es um eine Analyse dessen, was da ist. Danach überlegen wir uns, wo wir die Prozesse noch schlanker machen können, wo wir besser und schneller werden können, wie wir im Bereich der Unterstützung der Athleten differenzierter arbeiten können und vor allem auch, wie wir den Wissenstransfer organisieren. Bevor wir darüber aber nicht mit den Bundestrainern gesprochen haben, kann ich noch kein Konzept dafür ausbreiten.