Gustav Disse - Asket mit langem Atem
Wenn Gustav Disse die DLV-Bestenliste des letzten Jahres durchblättert, kommt er mit seinen 76 Jahren ins Grübeln. Mit seinen Bestzeiten von 14:07,4 Minuten über 5.000 Meter, 29:24,4 Minuten über 10.000 Meter und 2:24:51 Stunden im Marathonlauf, die er Anfang der Sechziger Jahre erzielte, würde er immer noch zu den besten Langstrecklern in der Deutschland zählen.
„Einerseits freue ich mich, dass ich mit meinen Zeiten immer noch vorne mitmischen könnte. Andererseits ist es bedauerlich, dass das Leistungsniveau, abgesehen von einigen Ausnahmen, stagniert. Dabei muss man bedenken, unter welchen schlechten Bedingungen wir damals trainiert haben“, betont Gustav Disse.Der dreimalige Deutsche Marathonmeister (1956, 1957 und 1959) war früher im Bergbau tätig. Er hatte damals einen Drei-Schichten-Dienst und musste auch samstags arbeiten. Da war es für ihn oft schwierig, Arbeit und Sport miteinander zu koordinieren: „Das Schlimmste war jedoch, dass ich nie ausgeruht ins Training gegangen bin.“
Neben der körperlichen Herausforderung unter Tage absolvierte Gustav Disse damals noch ein knüppelhartes Training. 800 bis 1.000 Kilometer spulte er pro Monat herunter. Darin eingeschlossen waren solch unvorstellbare Intervall-Programme wie 100 x 200 Meter in jeweils 38 Sekunden mit recht kurzen Trabpausen. „Wir lebten damals noch in der Emil-Zatopek-Ära. Da kannten wir nichts anderes, und haben unsere Methoden auch nie in Zweifel gezogen“, erläutert Gustav Disse.
Freundschaftliche Kontakte
Für den Bochumer hatte die damalige Zeit allerdings auch ihre guten Seiten. Er bedauert nicht, dass er früher zum Nulltarif lief, während seine Nachfolger oft stattliche Siegprämien kassieren. „Früher waren die freundschaftlichen Kontakte untereinander wesentlich intensiver“, erinnert sich Gustav Disse, „auch opferte man damals den Beruf bzw. die Ausbildung nicht zugunsten des Sports. Dies war sicherlich besser.“
Der Asket mit dem langen Atem (1,76 m; 65 kg) hatte das Glück, dass er nach seiner Tätigkeit im Bergbau eine Stelle beim Tiefbauamt der Stadt Bochum erhielt. So hatte der frühere Marathonmeister auch mehr Zeit zum Training. Nach Beendigung seiner Laufbahn im Jahre 1966 studierte er an der Sporthochschule Köln und unterrichtete bis 1993 als Sportlehrer an einer Hauptschule in Bochum.
Bevor Gustav Disse bei der Stadt Bochum anfing, sah seine Lebensplanung ganz anders aus. Er besuchte Anfang der Fünfziger Jahre die Bergbauschule und wollte Steiger werden. In seiner Freizeit sammelte er erste sportliche Erfahrungen als Turner bei der Sportvereinigung Eppendorf. Bei einem schweren Arbeitsunfall im Bergbau erlitt er 1953 einen Mittelhandbruch und Kopfverletzungen. Das Kapitel „Turnen“ war damit für ihn beendet.
Zwei deutsche Rekorde in einem Rennen
Der schlanke junge Mann, bei dem man damals bei einer Untersuchung einen Puls von 40 feststellte, schloss sich 1954 den Langstrecklern des SC Dahlhausen an. Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten.
Bereits zwei Jahre später gewann er bei den Deutschen Marathon-Meisterschaften 1956 in Berlin seinen ersten von drei Marathontiteln. Als Zugabe gab es für ihn noch „Gold“ in der Mannschaftswertung.
„Für mich war das mein größtes sportliches Erlebnis, weil der Überraschungseffekt so groß war,“ bemerkt Gustav Disse, der in den Folgejahren weitere Glanzleistungen ablieferte. So errang er neben seinen drei deutschen Marathontiteln jeweils noch zweimal DM-Silber über 10.000 Meter und im Wald.
Auch als Trainer im Einsatz
1962 stellte der 15-malige Länderkampf-Teilnehmer bei einer Veranstaltung in Witten mit 19.441 Metern im Stundenlauf und 1:01:41 Stunden über 20 Kilometer zwei deutsche Rekorde in einem Rennen auf. Pech hatte Gustav Disse 1960, als er wegen einer Achillessehnen-Operation ein halbes Jahr aussetzen musste und dadurch die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Rom (Italien) verpasste.
1966 beendete der Vater einer inzwischen 46-jährigen Tochter im Alter von 33 Jahren seine Laufbahn. Beruf und Familie hatten fortan Vorrang. Trotzdem verlor Gustav Disse, der seit 1967 dem TV Wattenscheid 01 angehört, in der Folgezeit nie den Kontakt zur Leichtathletik. Er wurde Trainer und betreute unter anderen so erfolgreiche Läufer wie Manfred Lubba, Hans-Dieter Schulten, Willi Wagner, Wolf-Dieter Poschmann Winfried Hellweg, Günther Korb und Tono Kirschbaum.
Kampfrichter seit 1967
Seit 1967 engagiert sich Gustav Disse auch als Kampfrichter. Bei den Olympischen Spielen 1972 in München wurde er als Unparteiischer bei den Straßenlaufwettbewerben eingesetzt. 1998 übernahm er in Bochum den Vorsitz des Kreis-Leichtathletik-Ausschusses. Zuvor war er Sportwart und Kampfrichterobmann.
Wegen seiner lädierten Knie und rheumatischer Beschwerden kann Gustav Disse nicht mehr laufen. Trotzdem treibt er noch dreimal in der Woche Sport und arbeitet in seinem Garten. Lediglich das geliebte Bergsteigen hat der frühere Sportlehrer, der mehrere Dreitausender bezwungen hat, auf Wunsch seiner Frau Christel aufgegeben.
Ehrung in Bochum
Gustav Disse wurde am Montagabend auf dem Kreistag des Fußball- und Leichtathletik-Kreises Bochum als langjähriger Vorsitzender des Kreis-Leichtathletik-Ausschusses verabschiedet.
Gleichzeitig zeichnete Kreis-Vorsitzender Ulrich Jeromin den ehemaligen Langstreckler des SC Dahlhausen und engagierten Mulit-Funktionär mit dem Ehrenring des Westfälischen Fußball- und Leichtathletik-Verbandes, der einer der höchsten Auszeichnungen des Verbandes ist, aus. „Gustav, du wirst uns in Zukunft fehlen, denn du hattest auch von Fußball viel Ahnung“, bedauerte Ulrich Jeromin.
Der inzwischen 76-jährige Bochumer wird jedoch den Kontakt zur Leichtathletik nicht verlieren, denn er wurde zum Ehrenvorsitzenden des Kreis-Leichtathletik-Ausschusses Bochum ernannt.