Gustav Schröder wandert zwischen zwei Welten
Wer über den Leichtathletikfotografen Gustav Schröder ein Buch schreiben wollte, könnte dies auch tun, ohne den Sport und die Fotografie zu erwähnen. Der "Mann mit der Mütze" und dem DLV-Dauerlatz 13, der am gestrigen Montag sein 75. Lebensjahr vollendete, ist vor allem ein "homo politicus" und ein Liebhaber kritischer Literatur.
Gustav Schröder wurde am Montag 75
Von dieser Seite kennen ihn nur wenige seiner vielen Freunde. "Mein Leben ist ein typisches Nachkriegsschicksal," sagt der gebürtige Düsseldorfer vom Jahrgang 1929, den Konrad Adenauer einst als die Generation der Kinderlandverschickten und Flakhelfer bezeichnete. Von der Nazi-Ideologie geheilt wurde der "Hitlerjunge", der in den KLV-Lagern nach der Devise "zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl, schnell wie Windhunde" gedrillt wurde, spätestens am 5. März 1945, als sein Jahrgang der 16jährigen als "Kanonenfutter" zur Wehrmacht eingezogen wurde, während die Amerikaner bei Remagen bereits den Rhein überquerten.Nach der Rückkehr aus der Evakuierung im Erzgebirge ins zerbombte Düsseldorf schloss er sich den zurückkehrenden Emigranten an, die bereits 1936 in London eine "Freie Deutsche Jugend" gegründet hatten. Als Antifaschist und Pazifist kämpfte er mit Gleichgesinnten gegen die Wiederbewaffnung und wurde schließlich wegen "Landfriedensbruch" verfolgt, als er 1950 in der Düsseldorfer Altstadt eine Kundgebung des Panzergenerals von Manteuffel verhinderte.
Nach Leipzig übergesiedelt
"Von hier aus führt eine gerade Linie bis zum Bombardement der Nato in Jugoslawien und dem Einsatz deutscher Soldaten im Kosovo", erinnert sich der Kriegsgegner, der damals eine aussichtsreiche Karriere als technischer Kaufmann bei Siemens aufgab und nach Leipzig übersiedelte, um im "anderen Deutschland" Germanistik und Philosophie zu studieren. Er folgte damit jenen Professoren und Schriftstellern, die nach Emigration und Konzentrationslager gehofft hatten, in der damaligen DDR eine gerechtere Gesellschaftsordnung aufzubauen.
Persönliche Bekanntschaften mit Ernst Bloch und Bert Brecht sowie die Vorlesungen über neue Literatur im berühmten Hörsaal 40 durch Hans Mayer an der Karl-Marx-Universität prägten das Weltbild des westdeutschen Studenten.
Der anfänglichen Begeisterung für den neuen Staat folgte jedoch schon bald die Ernüchterung. Im Gespräch mit Rudolf Leonhard, dem damaligen stellvertretenden Kultusminister, regte Gustav Schröder eine Schilderung der Mißstände an der Universität an. Die Aufgabe zu einem Studentenroman wurde dem Dichter Erich Loest übertragen, der sein Buch "Das Jahr der Prüfung" nannte. Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Romans, der unter anderem die kritischen Ansichten des westdeutschen Studenten Herbert Kowalski verbreitete, wurde das Buch auf den Index gesetzt und Erich Loest, heute bekannt durch seine Romane "Nikolai-Kirche" und "Völkerschlachtdenkmal" wanderte für acht Jahre ins Zuchthaus nach Bautzen. Vorlage für die Figur des kritischen Studenten Herbert Kowalski war Gustav Schröder, der mit Erich Loest engen Kontakt hatte.
"Prinzip Hoffnung"
Weitere Erfahrungen wie der 13. Juni 1953 und der Ungarn-Aufstand 1956 veranlassten Gustav Schröder alias Herbert Kowalski sein "Prinzip Hoffnung", das er auf die DDR gesetzt hatte, aufzugeben und in den Westen zurückzukehren. Im Gepäck aber immer noch eine große Begeisterung für den Sport, den er bereits in jungen Jahren als Fussball- und Feldhandballspieler in Düsseldorf betrieben hatte.
"In Leipzig bin ich vor den Problemen einfach davongelaufen," erinnert er sich an seine Zeit als Langstreckler bei Empor Lindenau und SC Rotation. Den Anstoß für seine Begeisterung am Langstreckenlauf hatte kein Geringerer als Emil Zatopek mit seinem dreifachen Olympiasieg im Jahre 1952 gegeben.
Im Westdeutschen Raum war er Ende der fünfziger Jahren einer der erfolgreichsten Langstreckenläufer aus der Herbert-Schade-Generation, wenn auch etwas jünger als der Bronzemedaillengewinner von Helsinki, wurde Niederrheinmeister und hatte Bestzeiten von 8:41,6 (3.000 m), 15:00,4 (5.000 m) und 31:38,6 (10.000 m).
Mit Emil Zatopek auf dem Treppchen
Einen seiner glücklichsten Momente erlebte der als er 1957 nach einem denkwürdigen 10.000-Meter-Lauf in Solingen mit der "tschechischen Lokomotive" und Herbert Schade als Dritter auf dem Siegertreppchen stand.
Als Pressewart des Leichtathletik-Verbandes Niederrhein und beruflich als Redakteur der Westdeutschen Zeitung im Kreis Neuss wandte er sich nach Beendigung seiner sportlichen Laufbahn ganz dem Journalismus zu und bebilderte seine Texte. Seinen Bekanntheitsgrad in der Leichtathletik, aber auch im Radsport und Tennis erwirkte jedoch seine 1970 gegründete Agentur "Rhein-Ruhr-Foto", mit der er auch international Erfolg bis zur "Bible of Sport", dem US-Leichtathletik-Magazin "Track & Field News" hat.
"Unruhestand"
Seine sportliche Heimat war der ATV 77 Düsseldorf, später die DJK Gnadental und heute die Gerolsteiner LGV mit den vielen Lauftalenten, die durch ihn motiviert werden. Zu seinen engsten Freunden und Vorbildern zählten Dr. Ernst van Aaken und Arthur Lambert, nicht zuletzt auch Olympiapfarrer Paul Jacobi vom DJK-Bundesverband.
Als langjähriger Redakteur des DK-Sportmagazins bekämpfte der ehemalige Langstreckenläufer, für den Fairness stets das höchste Gebot war, die Dopingseuche und die Brutalität im Sport, deren Ursachen in der heutigen Kommerzialisierung hätten. "Die Mißstände sind ein gesellschaftliches Problem", sagt Gustav Schröder. Und es klingt ein wenig resignierend.
Als ein Wunder grenzt die Tatsache, dass er bei allen Aktivitäten mit Hilfe seiner Ehefrau Anni als Familienvater seinen Mann gestanden hat. Seine inzwischen erwachsenen Kinder, Tochter Cornelia (49) als Diplomsportlehrerin, Sohn Ralph (42) als Sportfotograf bei "Horstmüller" und seine Tochter Elisabeth (35) als Sozialpädagogin legen davon ebenso Zeugnis ab wie fünf Enkelkinder, deren Entwicklung der Jubilar von seinem "Unruhestand" in der Vulkaneifel mit Interesse verfolgt.