Haile Gebrselassie läuft in Hengelo
Die „Fanny Blankers Koen-Games“ in Hengelo sorgen schon im Vorfeld für Schlagzeilen. Fedde Zwanenburg, der Meeting-Direktor, verfolgt hohe Ziele: „Wir wollen in die Top Ten.“ In Papendal, wo er auf einer Pressekonferenz kräftig die Werbetrommel rührte, kündigte Zwanenburg schon mal drei große Namen an: Heike Drechsler, Tim Lobinger und natürlich Haile Gebrselassie sind die Hauptattraktionen bei seinem Grand Prix II-Meeting, das am 2. Juni ausgetragen wird.
Haile Gebreselassie ist wieder einer der Stars in Hengelo (Foto: Kiefner)
Die Niederlage in London, als Khalid Khannouchi und Paul Tergat in der heißen Schlussphase kühlen Kopf bewahrten, hat er tapfer geschluckt wie eine bittere Medizin. Kurz geschüttelt und rasch verdaut. Haile Gebrselassie, der Marathon-Debütant (2:06:35 h), ist wieder obenauf. Selbstbewusst schaut er nach vorn und nicht zurück. Voller Ziele ist er. Und voller Pläne. „Ich werde in Hengelo den Weltrekord im Stundenlauf attackieren“, blickte der kleine Äthiopier voraus, „im Herbst folgt dann mein zweiter Marathon.“ Wo das sein wird, steht noch in den Sternen. Berlin, ließ sein Manager Jos Hermens bereits verlauten, habe gute Chancen, aber auch große Konkurrenz. Denn New York, Chicago und Fukuoka buhlen ebenfalls um den Wunderläufer, der bei seinem nächsten Versuch über stramme 42,195 Kilometer so motiviert ist wie nie zuvor in seiner Karriere. Khannouchis Bestmarke (2:05:38 h) soll fallen. Nichts wünscht sich Gebrselassie sehnlicher: „In London war ich 40 Kilometer lang der Hase“, bemerkte er mit zynischem Unterton, „daraus habe ich gelernt.“Die Lust ist wieder da
Der Frust ist weg und die Lust wieder da. Voller Optimismus denkt „Gebre“ an seinen nächsten Auftritt auf dem europäischen Kontinent. „Ich muss 53 Runden laufen innerhalb einer Stunde“, rechnete er hoch, „das ist schwer.“ Aber nicht unmöglich. Jos Hermens, Macher und Mentor, kann ihm wertvolle Tipps mit auf den Weg geben. Mitte der 70er Jahre zählte er selber weltweit zu den schnellsten Langstrecklern. Fragt man ihn nach seinen schönsten Erfolgen, muss er nicht lange überlegen: „Der Stundenweltrekord war der Höhepunkt.“ Am 1. Mai 1976 in Papendal, „dem Tag der Arbeit“, wie Hermens mit keckem Grinsen feststellte, drehte er seine Bahnen präzise wie ein Uhrwerk und erreichte exakt vermessene 20.944 Meter. Damals trug er noch eine wilde Mähne und einen lustigen Schnauzbart. Aus den Boxen tönten rockig Klänge. „Born to run von Bruce Springsteen und Tommy von den Who“, lachte Hermens, „bei der Musik konnte ich gar nicht langsam laufen.“ Sein Rekord war so gut, dass er fast 14 Jahre allen Angriffen stand gehalten hat. Arturo Barrios aus Mexiko, mittlerweile US-Bürger, steigerte die Zahl im März 1990 im französischen La Flèche auf 21.101 Meter. Jos Hermens blieb bis auf den heutigen Tag der Europarekord.
Die Rundendreherei ist längst in Vergessenheit geraten. „Früher war der Stundenlauf sehr beliebt“, bemerkte Hermens, „so berühmte Athleten wie Ron Clarke oder Gaston Roelants haben da mitgemacht.“ Im Radsport, fügte er hinzu, sei diese Disziplin noch populärer gewesen. „Eddy Merckx und Francesco Moser sind nur zwei Namen, die mit ihren Rekorden für viel Aufsehen gesorgt haben.“ Hermens will die alte Tradition mit seinem prominenten Schützling wieder aufleben lassen.
Beifallsstürme für Haile
Alle Jahre wieder in Hengelo, wo er vier seiner fünfzehn Weltrekorde (neun im Freien, sechs in der Halle) aufgestellt hat, treibt Haile Gebrselassie die Zuschauer im engen „Fanny Blankers Koen Stadion“ zu Beifallsstürmen. „Haile ist verdammt ehrgeizig“, betonte Hermens, „er hat zahlreiche Rekorde über 5.000 und 10.000 Meter aufgestellt. Warum nicht auch im Stundenlauf!“ Bisher ist das noch keinem Afrikaner gelungen. „Er wäre also der Erste.“ Haile Gebrselassie, der wenige Tage nach seiner Marathon-Premiere seinen 29. Geburtstag feierte, ist also wieder die Attraktion in dem kleinen Industriestädtchen nahe der deutsch-holländischen Grenze, wo sie ihn längst als „Ehrenbürger“ akzeptiert haben. Dort nennen ihn die Menschen liebevoll „Mr. Hengelo“, denn in den Niederlanden, seiner Zweitheimat, genießt der sympathische Wunderläufer längst Kultstatus.