Haile Gebrselassie und das Duell der Generationen
Das ehrwürdige Olympiastadion von Rom erlebt heute über 5000 Meter das Duell der Generationen. Haile Gebrselassie, der Ausnahmeathlet aus Äthiopien, muss sich seiner Herausforderer erwehren. Kenenisa Bekele, der bereits als sein legitimer Nachfolger gehandelt wird, und Abraham Chebii, wollen ihn, den "Emperor", keck und frech vom Sockel stoßen.
Haile Gebreselassie steht wieder auf dem Prüfstand (Foto: Hörnemann)
Werden die Römer heute wieder ein so denkwürdiges Rennen erleben wie am 22. Juli 1987, als der Marokkaner Said Aouita die Schallmauer von dreizehn Minuten durchbrach? Mit 12:58,39 Minuten war er der erste Mensch mit einer Zeit unter "Dreizehn".Lange das Maß der Dinge
Seit dem 13. Juni 1998 hält Haile Gebrselassie den Weltrekord. 12:39,36 Minuten sind das Maß der Dinge! Lang, lang ist's her. Exakt fünf Jahre und achtzehn Tage. In Paris, Etappenort der Golden League-Serie, erzielte er am vergangenen Freitag mit 12:53,36 Minuten die siebstbeste 5000-Meter-Zeit in seiner unvergleichlichen Karriere – und wurde dennoch geschlagen. Abraham Chebii, ein Kenianer, für die "Gebre" längst zu einer Art Trauma geworden ist, besiegte den großen Gebrselassie. Im Spurt war er stärker. Wie auch Kenenisa Bekele in Hengelo auf der doppelt so langen Distanz.
Es war im "Fanny Blankers Koen-Stadion" vor knapp fünf Wochen, als Haile Gebrselassie, der Rudelführer, in die letzte von 25 Runden stürmte. Kenenisa Bekele, die Klette, klebte damals an seinen Fersen. "Natürlich wusste ich, dass Haile im Spurt nicht mehr so stark war wie früher", sagte er später nach seinem überraschenden 10.000-Meter-Sieg, "doch ich hatte auch etwas Angst, dass das Rennen für mich vielleicht zu schnell wäre." Seine Zeit war aller Ehren wert: 26:53,70 Minuten.
Verzweifelter Kampf
An seinen Fersen kämpfte Haile Gebrselassie, auch schon 30, einen verzweifelten Kampf, bis die Kraft wich. "Mir war klar, dass Kenenisa ein Pfund drauf hat, und ich ahnte, dass ich eines Tages möglicherweise gegen ihn verlieren würde", bemerkte er, "ich hab allerdings nicht im Traum daran gedacht, dass es so früh passieren würde." Machtlos war er gegen Kenenisa Bekele, der neun Jahre jünger ist, frischer und unverbraucht. Und genauso machtlos war er in Paris gegen Abraham Chebii, der mit 23 auch noch längst nicht ausgereizt ist.
Der alte Meister konnte die wilden Newcomer nicht mehr aufhalten und fühlte bei beiden Anlässen, dass das Rennen für ihn gelaufen war. Mit seinen eigenen taktischen Mitteln, einem fulminanten Finish, hatten ihn erst Kenenisa Bekele und dann auch Abraham Chebii entzaubert. Ist das die Wachablösung?
17 Weltrekorde
Haile Gebrselassie, der in seiner glanzvollen Karriere 17 Weltrekorde aufgestellt hat, setzt bei solchen Gedankenspielen stets sein typisches Lächeln auf, wohlwissend, dass gar viele von dem Gedanken beseelt sind, ihn, den König der Langstrecken, zu stürzen.
"Noch bin ich der Weltrekordler", antwortete er in Hengelo ein wenig trotzig, obwohl sein Rekord (26:22,75 min), aufgestellt am 1. Juni 1998, bereits Staub angesetzt hat wie auch jener über 5000 Meter (12:39,36 min). "Okay, ich hab verloren. Kann passieren, macht euch deshalb keine Sorgen", erklärte er in aller Bestimmtheit, "ich komme wieder." Aber wird er auch stark genug sein für das Duell der Generationen?
Zwei unerschrockene Burschen
Kenenisa Bekele und Abraham Chebii, zwei unerschrockene Burschen, haben bereits alle Ehrfucht beiseite gelegt. Weitere werden folgen. Haile Gebrselassie ist gewarnt. Was ihm fehlt, hat er schmerzlich erfahren.
"Ich muss noch an meinem Spurt feilen", betonte er mit ernster Miene, "dann kommt die WM im August." In Paris will "Gebre" über 10.000 Meter, auf seiner Lieblingsstrecke, auf der er Doppel-Olympiasieger war und viermal Weltmeister, seinen fünften Titel holen. Dann, hofft der Ältere, werden die Karten neu gemischt. Dann sollen die Jungen büßen für die Niederlagen, die sie ihm angetan haben.