Hallen-EM - Wie stehen die DLV-Chancen?
Mit 33 Athleten trat der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) vor zwei Jahren die Reise zu den Hallen-Europameisterschaften nach Birmingham (Großbritannien) an. Vier Medaillen waren damals bei der Rückreise mit im Gepäck. Das Aufgebot für die diesjährige Hallen-EM in Turin (Italien; 6. bis 8. März) umfasst 38 Aktive - doch bedeuten mehr Starter auch gleichzeitig mehr Medaillen? Die Chancen dafür stehen gar nicht schlecht.
Gleich 15 Athleten wurden in den Sprungdisziplinen nominiert, und so ist es nicht verwunderlich, dass in diesem Bereich auch einige der größten DLV-Medaillenhoffnungen zu finden sind. Alle Augen werden dabei nicht nur aus nationaler Sicht auf Ariane Friedrich (LG Eintracht Frankfurt) gerichtet sein. Sie ist die einzige deutsche Starterin, die, höhengleich mit der Kroatin Blanka Vlasic, Platz eins der europäischen Hallen-Bestenliste einnimmt.Ihre Kampfansage ist bereits ausgesprochen: „Blanka Vlasic muss sich fürchten, ich habe sie ja in Karlsruhe schon geschlagen“, ließ die Neu-Blondine nach den Deutschen Hallen-Meisterschaften in Leipzig verlauten. Alles ist möglich für die Überfliegerin der deutschen Leichtathletik. Für Mitstreiterin Meike Kröger (LG Nord Berlin) wäre das Erreichen des Finales ein Erfolg.
Kann Raul Spank erneut überraschen?
Dass Hochspringer Raul Spank (Dresdner SC 1898) immer für eine Überraschung gut ist, bewies er als Fünfter der Olympischen Spiele in Peking (China). Auch für Turin hat er große Ziele: Das Finale soll es werden, dort eine Hallen-Bestleistung, und dann sei auch eine Medaille möglich. Mit 2,30 Metern belegt er derzeit europaweit Rang sechs. Der ebenfalls nominierte Tim Riedel (LG Euregio) äußerte bescheidenere Ansprüche. „Hauptsache es ist besser als hier“, war seine Aussage als DM-Achter mit übersprungenen 2,10 Metern.
Verlass ist traditionell eigentlich immer auf die Stabhochspringer. Können Titelverteidiger Danny Ecker (TSV Bayer 04 Leverkusen) und Alexander Straub (LG Filstal) wie zuletzt in Leipzig 5,80 Meter überqueren, ist eine Medaille in greifbarer Nähe. Vor zwei Jahren reichten bereits 5,71 Meter für Gold. Der DM-Dritte Malte Mohr (TSV Bayer 04 Leverkusen) will sich unter den Top Acht platzieren.
Mit ihrem neuen deutschen Hallen-Rekord von 4,71 Metern schob sich auch Silke Spiegelburg (TSV Bayer 04 Leverkusen) in den Kreis der Medaillenanwärterinnen von Turin. „Dort will ich meine Leistung abrufen, und eine Bestleistung wäre natürlich schön.“ In Abwesenheit von Yelena Isinbayeva (Russland) gingen vor zwei Jahren die Medaillen ab 4,66 Metern weg. Hallen-WM-Finalistin Anna Battke (USC Mainz) „will einfach sehen, was an diesem Tag möglich ist“, Kristina Gadschiew (LAZ Zweibrücken) darf in Turin erstmals EM-Luft schnuppern.
Deutsche Weitspringer in Topform
Stark präsentierten sich in dieser Hallensaison die männlichen deutschen Weitspringer. Das EM-Finale ist drin für Sebastian Bayer (Bremer LT), Nils Winter (Team Referenznetzwerk Leverkusen) und Christoph Stolz (VfL Wolfsburg), die sich in den Top Ten Europas einsortiert haben. „Ein Ergebnis von 8,05 Metern aufwärts“ hat sich der Deutsche Meister Sebastian Bayer vorgenommen. Mit 8,13 Metern ist er derzeit Europas drittbester Weitspringer, in Birmingham wurde für 8,02 Meter die Silbermedaille vergeben.
Für Melanie Bauschke (LG Nike Berlin), DLV-Vertreterin im Weitsprung der Frauen, ist bereits die EM-Nominierung ein Erfolg, da sie die Norm von 6,55 Metern um vier Zentimeter verfehlt hatte. Dreispringerin Katja Demut (TuS Jena) konnte die Fahrkarte nach Turin erst in letzter Minute lösen. Mindestens genauso weit wie in Leipzig, nämlich 14,06 Meter, will sie springen und sich damit für das Finale qualifizieren.
Wie weit fliegen die Kugeln?
Leise Medaillenhoffnungen darf man sich auch im Kugelstoßen machen. Sowohl Denise Hinrichs (TV Wattenscheid 01) als auch Petra Lammert (SC Neubrandenburg) stießen in dieser Hallensaison bereits über 19,00 Meter, was in Birmingham 2007 keiner Athletin gelang. Bei den Männern bot der Neubrandenburger Ralf Bartels mit 20,13 Metern europaweit bisher die drittbeste Weite an, will sich aber nicht unter Druck setzen: „Ein Platz unter den ersten Acht sollte schon drin sein“, prognostiziert er zurückhaltend. „In Turin einfach nur Erfahrungen sammeln“, lautet das Motto von Marco Schmidt (VfL Sindelfingen), für den das Erreichen des Finales ebenso ein Erfolg wäre wie für Andy Dittmar (BiG Gotha).
Im Siebenkampf liegt für André Niklaus (LG Nike Berlin), Hallen-Weltmeister von 2006, ein Platz auf dem Podium im Bereich des Möglichen. In Tallinn (Estland) produzierte er zwar zuletzt drei ungültige Versuche im Weitsprung, doch dieses Missgeschick ist abgehakt: „Ich habe wieder was draus gelernt, und das lässt mich gestärkt nach vorne sehen. Wie weit, das seht ihr in Turin“, verkündet der Berliner auf seiner Homepage. Im Fünfkampf der Frauen werden Sonja Kesselschläger (SC Neubrandenburg) und die deutsche Titelträgerin Christine Schulz (TSV Bayer 04 Leverkusen) die Farben des DLV vertreten.
Sprinter liebäugeln mit Finalteilnahme
In den Sprint- und Hürdendisziplinen wären Spekulationen um Podiumsplätze vermessen. Eine Finalteilnahme ist jedoch durchaus realistisch. Mit einem ähnlich fulminanten Lauf wie zuletzt in Leipzig könnte es Stefan Schwab (TSV Schwarzenbek) über 60 Meter unter die besten Sechs schaffen. Seine neue Bestzeit von 6,59 Sekunden bedeutet europaweit Rang sieben. Verena Sailer (MTG Mannheim) will in Turin erstmals unter 7,20 Sekunden bleiben - 2007 reichten 7,27 Sekunden für den Finaleinzug.
In den Top Ten Europas sind auch die drei DLV-Starter über 60 Meter Hürden, Erik Balnuweit, Willi Mathiszik (beide LAZ Leipzig) und Helge Schwarzer (Hamburger SV), zu finden. „Das zeigt, dass wir ein super Team in Deutschland haben“, befindet der Deutsche Hallenmeister Erik Balnuweit. Der beste deutsche Hürdensprinter dieser Hallensaison möchte in Turin seine Zeit von 7,63 Sekunden bestätigen. Nicht zuletzt seine Teamkameraden könnten ihm einen Platz unter den ersten Sechs streitig machen.
„Zwischen 7,95 Sekunden und 8,10 Sekunden ist es auf europäischer Ebene sehr eng“, weiß Carolin Nytra (Bremer LT), die gemeinsam mit Nadine Hildebrand (LAZ Salamander Kornwestheim/Ludwigsburg) für die 60 Meter Hürden der Frauen nominiert wurde. Beide Athletinnen wollen in Turin 8,05 Sekunden und schneller laufen. Ob’s fürs Finale reicht? Es bleibt abzuwarten.
Nur Männer auf der Rundbahn
Auf den längeren Strecken wird der DLV ausschließlich von männlichen Athleten vertreten. Gute Chancen, den Vorlauf und das Halbfinale über 800 Meter zu überstehen, hat René Bauschinger (LAC Quelle Fürth/München). Mit seiner Bestzeit von 1:47,63 Minuten belegt er europaweit Rang fünf. Die 1.500-Meter-Starter Wolfram Müller (LG asics Pirna) und Carsten Schlangen (LG Nord Berlin) blicken der Hallen-EM gelassen entgegen. „In Turin möchte ich einfach die Chance nutzen, dass ich starten darf, und Erfahrungen sammeln“, erklärte Wolfram Müller, und auch Carsten Schlagen verkündete: „Nach Turin kann ich entspannt fahren.“
Vervollständigt wird das deutsche Aufgebot von der 4x400-Meter-Staffel der Männer. Die Einzelleistungen der Nominierten Thomas Goller (TV Wattenscheid 01), Simon Kirch (SV schlau.com Saar 05 Saarbrücken), Eric Krüger (SC Magdeburg), Miguel Rigau (LG ASV/DSHS Köln) und Thomas Schneider (SC Potsdam) lassen Hoffnungen auf eine Platzierung ganz vorne nicht zu, doch in der Staffel kann bekanntlich viel passieren. Das erfuhr im Übrigen auch das DLV-Quartett vor zwei Jahren - dieses wurde nämlich im Finale disqualifiziert.
Es bleibt festzuhalten, dass die Aussichten des DLV-Teams für Turin vielversprechend sind. Herbert Czingon, Cheftrainer Field, ließ sich sogar dazu hinreißen, mit einer Medaillenausbeute im zweistelligen Bereich zu spekulieren. Die Formkurve vieler Athleten zeigt nach oben, und wenn sie ihr Potenzial voll ausschöpfen können, sollten am 8. März auf jeden Fall mehr Medaillen im Gepäck sein als noch vor zwei Jahren in Birmingham.