Heimat und Familie – Athleten in der Saisonpause
Die Saison über tauchen die Spitzenathleten überall auf. Vorwiegend in Europa. Die Kenianer, Äthiopier, Südafrikaner, Kubaner, der eine oder andere Leichtathlet aus Südamerika wie die mexikanische 400 Meter-Weltmeisterin Ana Guevara oder der überlegene 400 Meter-Hürden-Weltmeister, Felix Sanchez, der in Los Angeles lebt, dessen Familie aber aus der Dominikanischen Republik stammt. Im Moment jedoch steht bei vielen Läufern, Sprintern, Springern und Werfern Relaxen auf dem Plan – wertvolle Zeit zum Abschalten. Der Druck kommt noch früh genug.

Muriel Hurtis ist regelmäßig in ihrer Heimat Guadeloupe. (Foto: Chai)
Auch wenn es Stars gibt, die in diesem Jahr schon jetzt mit dem Training wieder angefangen haben. Schließlich stehen in neuneinhalb Monaten die Olympischen Spiele an. Da wird die Saisonplanung etwas durcheinander gewirbelt. Doch Genießen muss vorher sein. Selbst bei den Profis. Väter lieben die Zeit mit ihren Kindern, Ehemänner verbringen endlich ein paar Wochen oder sogar Monate am Stück mit ihren Frauen, die meist das halbe Jahr warten. Genuss anstatt Training, bevor man wieder seine Runden auf der Bahn dreht, Tausende von Sprüngen absolviert, Tiefstarts aus dem Block wiederholt, bis man sie nicht mehr zählen kann und Disken oder Speere solange in den Himmel donnert, bis alles perfekt sitzt. Jedenfalls beinahe. Hurties zweimal pro Jahr bei den Großeltern
Die Phase nach der Saison und vor Weihnachten ist für viele Leichtathleten ein Anlass, "nach Hause" zu fliegen, in die Heimat, die sie das Jahr über kaum sehen. Das Bonbon: Ist es in Europa bitterkalt und ungemütlich, brennt in vielen Ländern die Sonne den Menschen mitten ins Gesicht. Viele Stars aus den Karibikstaaten leben vorwiegend in den USA oder Frankreich. Staffel-Weltmeisterin Muriel Hurtis, deren Vorfahren und Eltern aus Guadeloupe stammen, zum Beispiel: "Ich bin zwei Mal im Jahr dort und besuche meine Großeltern", sagt die 24-jährige Französin. "Es ist unglaublich, was es alles gibt. Ein Bananen- und Rum-Museum, es ist warm, die Leute sind völlig relaxt. Ich kann tauchen und Gitarre spielen, mein liebstes Hobby. Außerdem kann ich Fisch essen. Dafür lasse ich alles stehen", verriet die hochgewachsene Sprinterin jüngst im Interview mit dem "Leichtathletik magazin".
Wenn nicht in der trainingsfreien Zeit, wann dann? Davon abgesehen besucht sie im Frühjahr erneut die Heimat ihrer Eltern. Dann ist harte Arbeit angesagt. Wenn sie Zeit hat, liebt Muriel Hurtis auch Safaris in Afrika und Streifzüge durch die USA. "Ich bin fasziniert von diesem Land", schwärmt sie.
Zum Feiern nach Saint Kitts and Nevis
Auch 100 Meter-Weltmeister Kim Collins zieht es ab und an zurück nach Saint Kitts and Nevis, einer 261 Quadratkilometer großen Inselgruppe im Osten der Karibik. Dort ist Hektik ein Fremdwort und der Sprinter spätestens seit seinem WM-Sieg ein Nationalheld. Und dass, obwohl er mehr Zeit in seiner Wahlheimat Texas verbringt. Doch um richtig zu feiern kommt er nach Basseterre, die Hauptstadt seiner Heimatinsel. Dort haben sie gar eine Straße nach ihm benannt. Drei Monate verbringt Collins im Jahr in seiner Heimat. Nach der Saison versteht sich. Dann besucht er seine Stammkneipe und will ansonsten "hauptsächlich faulenzen". Und wenn er doch "arbeitet", bewegt er höchstens seine Finger, um Autogramme zu schreiben. Das ist der Lohn des Erfolges für den Sunnyboy.
Leute wie der Dreisprung-Weltmeister von Paris, Christian Olsson, der aus Göteborg stammt, und die Hochspringerin Kajsa Bergqvist aus der Nähe von Stockholm bevorzugen eher die warmen europäischen Gefilde. Beide haben sich aus Schweden verabschiedet und in Monaco jeweils eine Wohnung gekauft. Dort sind die Temperaturen im Moment weitaus milder als in ihrer skandinavischen Heimat. "Davon abgesehen kann ich in Stockholm nicht mehr aus dem Haus gehen, ohne einen Menschenauflauf zu verursachen", erzählt die blonde Vize-Weltmeisterin, die in diesem Jahr mit Hestrie Cloete 2,06 Meter überquerte. Doch Weihnachten wird sie – nordisch-kühle Temperaturen hin oder her – voraussichtlich mit ihrer Familie verbringen.
Hestrie Cloete hat immer Sehnsucht
Apropos Hestrie Cloete. Die Südafrikanerin aus Coligny, einem kleinen Ort rund 250 Kilometer von Johannesburg entfernt, beginnt die Saison meist früh – im März oder April in Südafrika. Wenn sich die 25-jährige zweimalige Weltmeisterin dann in die Europa-Saison begibt, kann es lange Trennungen von ihrem Mann geben. Der hat eine Karosserie-Werkstatt und weigert sich, sie auf ihre Wettkampfreisen zu begleiten. "Da wäre ich zu lange weg von meinem Betrieb. Schließlich verdient meine Frau inzwischen so viel Geld, da muss ich mich sputen, hinterher zu kommen", flachst der Gatte der Hochsprung-Queen.
"Ich habe immer Sehnsucht nach der Heimat. Vor allem, wenn ich lange weg bin. Dann wohne ich manchmal in Holland, in einem Haus, das mein Manager Jos Hermens den Athleten zur Verfügung stellt", sagt Hestrie Cloete. Zwischendurch sucht sie ein Schlupfloch, um doch ein paar Tage in die Heimat zu fliegen. Sie gilt als bodenständig. Davon abgesehen ist ein Leben in Südafrika nicht das Schlechteste. Denn während in vielen Ländern Europas Schnee fällt, herrschen dort göttliche Temperaturen. Dann genießt Hestrie Cloete ihr Hausfrauendasein besonders.
Haile im Kreis seiner vier Frauen
Ein weiterer Superstar von Jos Hermens hat das selbe Problem. Haile Gebrselassie, der sich ebenfalls häufig in Holland aufhält. Allerdings lange nicht mehr so viel wie früher. Der Olympiasieger, Weltmeister und mehrfache Weltrekordhalter über 5000 und 10.000 Meter ist oft auch monatelang unterwegs in Sachen Sport und Geldverdienen. Zu Hause in Addis Abeba warten seine drei Töchter und seine Frau, die seine Geschäfte weiterführt. "Ich versuche, so oft wie möglich heim zu fliegen, weil ich Sehnsucht nach meiner Familie habe", so der 31-jährige Superläufer. Diese Sorgen plagen ihn im Moment nicht. In dieser Phase des Jahres sieht er "seine vier Frauen" jeden Tag, genießt doppelt und dreifach, sich verwöhnen zu lassen. Gebrselassie weiß ganz genau: die nächste Saison kommt bestimmt – und damit die Reisen.