28.12.2009

Herbert Czingon - „Wollten uns präsentieren“

Anja Herrlitz

Seit einem Jahr bildet Herbert Czingon zusammen mit Rüdiger Harksen das Cheftrainer-Duo im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV). Nach einem ereignisreichen und erfolgreichen Jahr 2009 mit der Heim-WM in Berlin bilanziert der für die technischen Disziplinen verantwortliche Herbert Czingon im Interview die vergangenen Monate und blickt auch auf das kommende Jahr voraus.

Herr Czingon, vor etwa einem Jahr waren Sie und Rüdiger Harksen gerade neu als Cheftrainer berufen worden. Damals haben Sie in Bezug auf die Olympischen Spiele gesagt, dass es einige akzeptable aber nur wenige exzellente Leistungen deutscher Athleten gegeben habe. Wie fällt Ihr Fazit nach den Weltmeisterschaften in Berlin aus?

Herbert Czingon:
Natürlich viel besser. Man konnte dabei beobachten, dass die Athleten, die sich gute Chancen ausrechnen konnten, auch tatsächlich ihre Spitzenleistungen wiederholen konnten. Ganz speziell war dies im Wurfbereich, aber auch in den Hochsprüngen und im Mehrkampf so. Überall dort, wo die Situation vielleicht nicht ganz so klar war, dort wo es keine klare Medaillenzielsetzung gab, war es allerdings auch sehr schwer, die Vorleistungen zu bestätigen. Dies betraf zum Beispiel unsere Horizontalspringer oder auch Stabhochspringer. Zusammenfassend kann man sagen, dort wo sehr gute Leistungen in Aussicht standen, dort wurden sie auch gezeigt, wo aber die Situation nicht so klar war, sind die Athleten in der Regel auch unter den Jahresbestleistungen geblieben.

Wieso ist es den Athleten in diesem Jahr gelungen, ihre Leistungen abzurufen? Noch im letzten Jahr bei Olympia war dies nicht so.

Herbert Czingon:
Vor allem hat ein Großteil der Athleten, die bei der WM unter den ersten Drei waren, nicht zum ersten Mal eine internationale Medaille gewonnen. Erfahrung scheint ein ganz wichtiger Faktor zu sein. Diejenigen, die zum ersten Mal punkten sollten, sind nicht ganz an ihre Möglichkeiten herangekommen. Erfahrungsgemäß wird es von Mal zu Mal besser, so dass auch die Athleten, die diesmal knapp dran waren, vielleicht im nächsten Jahr die besondere Chance bei der EM nutzen können.

Im letzten Jahr waren einige DLV-Athleten kurz vor den Olympischen Spielen verletzt. 2009 gab es nicht so viele verletzungsbedingte Ausfälle. Wurde etwas anders gemacht?

Herbert Czingon:
Das glaube ich nicht. Wir achten seit Jahren auf ein gutes Gesundheitsmanagement. Für die Athleten ist es jedes Jahr eine Gratwanderung zwischen einer möglichst wirksamen Trainingsbelastung und dem Bestreben, gesund zu bleiben. Auch in diesem Jahr hatten wir einige Athleten, die nicht ganz topfit waren. Wie Sebastian Bayer und Sophie Krauel, oder Malte Mohr hat sich im WM-Wettkampf verletzt. Die Bestrebung, gesund zu bleiben, mag uns dieses Jahr etwas besser gelungen sein als 2008, aber wirklich zufrieden sein können wir damit noch nicht.

Wurde im psychologischen Bereich mit den Athleten gearbeitet, um sie auf den Druck vorzubereiten, den eine Heim-WM mit sich bringen kann? Gerade die Japaner sind in dieser Situation vor zwei Jahren ja gescheitert…

Herbert Czingon:
Wir haben es interessanterweise zu keinem Zeitpunkt bei den Athleten so wahrgenommen, dass vor heimischer Kulisse Druck entstehen würde. Bei allen mannschaftsbildenden Maßnahmen, beginnend mit dem Nationalmannschaftstreffen über den Hallen-Länderkampf in Glasgow, die Hallen-EM in Turin und die Team-EM in Leiria, haben wir es verstanden, den Athleten klarzumachen, dass wir eine besondere Chance haben. Die WM in Berlin wurde nie als Bedrohung wahrgenommen, sondern als Chance. In den kommenden Jahren wollen wir es natürlich ähnlich handhaben. Wir haben mit den Olympischen Spielen 2012 ein großes Ziel und wir müssen die Schritte bis dorthin nutzen, um noch die fehlende Leistungsstärke und Erfahrung zu entwickeln.

1999 war zuletzt eine deutsche Mannschaft erfolgreicher bei Weltmeisterschaften. Kann man beziffern, welchen Anteil der Heimvorteil in diesem Jahr daran hatte, wieder an so gute Ergebnisse anzuschließen?

Herbert Czingon:
Das ist schwer zu sagen. Denn er wurde zwar wahrgenommen, hat aber nicht immer zum richtigen Wettkampfverhalten geführt. Manche Athleten haben sich dadurch zu sehr motivieren und antreiben lassen. Den Athleten, die sich schon fast sicher waren, vorne zu landen, hat der Heimvorteil sicher geholfen. Man wusste, dass das Publikum hinter einem steht, auch wenn Gegner ebenfalls ihren Beifall bekommen.

Wie kann es dem DLV gelingen, die Euphorie aus diesem Jahr in das nächste Jahr zu transportieren?

Herbert Czingon:
Indem wir ganz gelassen unsere Arbeit machen. Jeder für sich muss erst einmal entscheiden, was ist wichtig? Ich habe wahrgenommen, dass einige Athleten in der angespannten Situation WM 2007, Olympia 2008 und Heim-WM 2009 einige private Dinge hinten angestellt haben. Auch in der Regeneration haben sie sich vielleicht nicht ganz so viel Zeit gelassen, wie es gut gewesen wäre. Nach der WM war eine gewisse Zäsur zu verzeichnen. Ich halte dies im Hinblick auf die EM aber nicht für ein Problem, sondern denke, es ist wichtig, dass wir nach so hohen Anforderungen über drei Jahre hinweg wieder in einen Olympischen Rhythmus finden.

Sehen Sie eine Gefahr darin, dass Athleten jetzt vielleicht „einen Gang rausnehmen“?

Herbert Czingon:
Das glaube ich nicht. Wir haben uns daran gewöhnt, dass es keine Zwischenjahre mehr gibt. Es ist den Athleten nur zu sehr bewusst, wie schnell ein Marktwert, den man sich einmal erarbeitet hat, auch verfallen kann.

Für den DLV gab es in diesem Jahr nicht nur eine erfolgreiche WM, sondern auch eine Hallen-EM, eine Team-EM und mehrere Nachwuchsmeisterschaften mit sehr guten Ergebnissen. Haben Sie mit diesen Ergebnissen gerechnet?

Herbert Czingon:
Nein, das war so nicht abzusehen. Für unsere A-Nationalmannschaft, die sich über die Hallen-EM und die Team-EM zur WM bewegt hat, war es klar, dass wir überall das bestmögliche Ergebnis abliefern wollen. Es war uns bewusst, dass dieses Jahr eine große Herausforderung ist und wir uns nicht blamieren möchten. Wir wollten uns präsentieren vor dem eigenen Publikum. In allen Bereichen wurde deutlich, wie toll das Team harmoniert und sich gegenseitig unterstützt hat.

Als Sie vor einem Jahr als Cheftrainer angefangen haben, war eines Ihrer primären Ziele die Förderung der Kommunikation und des Austauschs zwischen Athleten und Trainern. Ist dieser gestiegene Teamgeist ein Resultat davon?

Herbert Czingon:
Ob dies eine direkte Folge ist, kann ich nicht sagen. Für mich ist aber klar, dass eine der wichtigen Ressourcen für Weiterentwicklung immer in Erfahrung besteht. So lange jeder in seinem eigenen Kämmerchen sitzt, hat er immer nur den eigenen Erfahrungsbereich, den er nutzen kann. Wenn wir uns austauschen, erweiterte sich dieser Bereich für jeden. Außerdem verliert man auch die Angst, dass man dem Gegner unabsichtlich helfen könnte. Man bekommt auch das Gefühl, wenn der andere stark ist, ist das gut für mich. Sobald zwischen Athleten und Trainern mehr Vertrauen ist, ist das gut für uns.

Auch im Nachwuchsbereich gab es in diesem Jahr sehr erfolgreiche Athleten wie Sprinter Robert Hering oder Kugelstoßer David Storl. Haben Sie diese auch im kommenden Jahr bei den Erwachsenen mit auf der Rechnung?

Herbert Czingon:
Wir gehen davon aus, dass diese jungen Athleten fokussiert sind auf die diversen Höhepunkte. Die Hallen-WM ist dabei immer nur für Bereiche interessant, wo dieser sehr späte Termin tatsächlich in die Planung passt. Dort werden nicht alle unserer guten Athleten an den Start gehen.

Gerade mit den Ergebnissen der Nachwuchsmeisterschaften und auch denen der WM, wo viele junge Athleten gute Ergebnisse erzielt haben, dürfte dem DLV ja auch nicht bange sein, nachdem Erfolgsgaranten der vergangenen Jahre wie Steffi Nerius und Franka Dietzsch ihre Karriere beenden, oder?

Herbert Czingon:
In der Tat. In allen Disziplinen, wo uns ein so erfolgreicher Athlet verlässt, haben wir junge Sportler, die die Lücke schließen können. Auch wenn man nicht von jedem erwarten kann, dass er seine Laufbahn so legendär gestaltet wie eine Franka Dietzsch oder Steffi Nerius. Aber die jungen Athleten haben das Zeug dazu, in die Lücken zu stoßen und die Möglichkeit zu nutzen.

Sie sind ein Jahr als Cheftrainer im Amt. Wie fällt Ihre Bilanz nach diesem turbulenten Jahr aus?

Herbert Czingon:
Zunächst war es eine Umstellung für mich, aus der täglichen Arbeit mit den Athleten zu kommen und plötzlich den Überblick über 18 Disziplinen haben zu müssen. Ich denke, es ist mir gelungen, mich gut einzuarbeiten, mich bei den Athleten bekannt zu machen. Meine Vorstellungen werden immer klarer, wie ich selbst dazu beitragen kann, dass die Leistungen der Athleten besser werden, wie wir dafür sorgen können, dass Know-How erzeugt, ausgetauscht und angewandt wird.

Bei der Hallen-EM im vergangenen Jahr haben Sie sich als hervorragender Medaillen-Vorhersager bewiesen. Wie lautet Ihre Prognose für 2010?

Herbert Czingon:
Dazu kann ich jetzt noch nichts sagen. Im vergangenen Jahr habe ich meine Prognose nach den Deutschen Hallenmeisterschaften gegeben, als unser Potential gut abzusehen war. Ich bin sicher, dass wir weiterhin die Chance haben, eine Aufwärtsentwicklung zu verzeichnen. Wir hatten 2009 einen Trendbruch. In der Halle hatten wir ungefähr von 2001 bis 2004/2005 eine Abwärtsentwicklung, danach ging es wieder bergauf mit einem deutlichen Höhepunkt 2009, wo wir ungefähr die Leistungsstärke vom Anfang des Jahrzehnts erreicht haben. Im Freiluftbereich hatten wir es bis zu diesem Jahr eigentlich noch gar nicht geschafft, die Abwärtsbewegung ins Gegenteil umzuwandeln. Mit diesem Sommer ist es uns dann gelungen, einen ganzen Sprung nach oben zu machen. Wir konnten praktisch in einem Jahr all die Abstiege der vergangenen zehn Jahre aufholen. Wir haben eine junge Mannschaft, der das gelungen ist, und dahinter haben wir noch weitere sehr starke Athleten. Unsere Mannschaft hat so eine Breite und Tiefe, dass mir für die Zukunft gar nicht bange ist.