
Höhenflüge - Mit Musik zur Bestleistung
Zwei der besten Sprünge deutscher Athleten in der abgelaufenen Hallensaison haben eines gemeinsam: Die neuen Bestmarken wurden zu eigens gewählten Songs erzielt. In Arnstadt floppte Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch (LAV Stadtwerke Tübingen) über 1,97 Meter. Malte Mohr, Hallen-Vize-Weltmeister im Stabhochsprung, überquerte beim ISTAF Indoor in Berlin 5,90 Meter. Nur zwei von vielen Beispielen die zeigen: Musik kann beflügeln.
Im Event-Konzept des ISTAF Indoor Berlin stand Musik hoch im Kurs. „Wenn wir schon Musik einsetzen während den Disziplinen, dann am besten die Wunschmusik der Athleten, die Motivationsmusik“, sagt Armin Reepschläger, Leiter der Gesamtorganisation. Für den Veranstalter liegen die Beweggründe für eine Musikwahl der Athleten auf der Hand: Anheizen der Stimmung in der Arena, Motivation der Sportler und Hoffnung auf eine starke Leistung.
Die Resultate beim ISTAF Indoor zeigen, dass das Konzept aufgegangen ist, mutmaßt zumindest Reepschläger. Malte Mohr sprang die zweitbeste Höhe der Welt in diesem Winter. Zu seinem Anlauf hatte er das Elektro-Lied „Iconic“ von Moonbootica auflegen lassen. „Der Titel passte ganz gut zum Wettkampf, zum ISTAF und zur Leistung“, sagt Malte Mohr über seine Wahl, die ihn über 5,90 Meter trug.
Individualität beim Hochsprung
Der Veranstalter des Kölner Hochsprung-Meetings mit Musik Dr. Wolfgang Ritzdorf findet, dass von Musik, die Athleten auswählen, alle Seiten profitieren - Ausrichter, Publikum und Sportler. „Die Athleten lieben es, zu ihrer eigenen Musik zu springen, und die Zuschauer mögen es auch“, sagt er. Leistungssprünge würde er allerdings nicht darauf zurückführen. „Es kommt sogar vor, dass Athleten im dritten Versuch einer wichtigen Höhe darum bitten, die Musik wieder auszuschalten.“
Günter Eisinger, Trainer von Hochspringerin Ariane Friedrich (LG Eintracht Frankfurt) und langjähriger Athleten-Verpflichter von Arnstadt, erklärt, dass der Einfluss von Musik Wettkampfleistung nicht verallgemeinerbar ist. „Das ist individuell total unterschiedlich, manche Athleten werden mehr motiviert, rhythmisch angereizt, für andere spielt es überhaupt keine Rolle, wenn Musik läuft.“
Für die Veranstalter gehe es darum, bestmögliche Rahmenbedingungen für die Athleten zu schaffen. Dazu gehöre auch die Berücksichtigung der Wünsche für die musikalische Beschallung. Das sei bei dem einen eine extreme Lautstärke, bei dem anderen der Sprung ganz ohne Musik, beim einen das aufmunternde Klatschen des Publikums, beim anderen die Stille, erzählt Eisinger.
Komposition Musik und Publikum
Die Springer denken bei ihrer Musik-Wahl auch an das Publikum. Stabartist Karsten Dilla (TSV Bayer Leverkusen 04), der beim ISTAF Indoor in Berlin mitsprang, sucht Musik aus, die zur Stadt passt, die Stimmung macht und einen Rhythmus hat, der zum Klatschen einlädt. „Je lauter die Zuschauer und die Musik, desto cooler ist es für uns zu springen“, sagt der 24–Jährige. Im Kreis der Stabhochspringer sind die Laufsteg-Events sehr beliebt.
Auf die Leistung habe die Musik aber keinen Einfluss, schätzt Dilla. „Man ist nur motivierter und besser gelaunt.“ Seine aktuellen Bestleistungen (Halle: 5,73 m; Freiluft: 5,72 m) ist er zum ersten Mal bei Meetings mit Musik gesprungen. „Aber ich bin auch ohne Musik so hoch gesprungen“, fügt er hinzu.
Der Flow der Musik
Auch der Deutsche Hallenmeister im Hochsprung Martin Günther (LG Eintracht Frankfurt) hat den Mix aus Publikum und Musik im Blick. Der 27–Jährige sprang dieses Jahr in Köln 2,26 Meter und hat schon viele Meetings mit Musik hinter sich. Früher ist er mit Rock-Musik gesprungen, mittlerweile ist er auf House umgestiegen. Mit „Drumstar“ hat er seinen Song gefunden. „Es ist ein ziemlich cooles Gefühl. Die Musik läuft, der Rhythmus nimmt einen mit und alle fangen an im gleichen Rhythmus zu klatschen“, beschreibt er das Sprungerlebnis.
Er erinnert sich, dass er bei Meetings mit Musik meist gut gesprungen sei. Eigene Musik steigert seine Motivation. „Man kann sich noch ein bisschen mehr reinpushen, wenn das Lied einen mitnimmt und wenn man das zulässt.“ Hintergrundmusik bei Wettkämpfen zeige dagegen kaum Wirkung bei ihm, da schalte er ab.
Stabhochspringerin Martina Strutz (SC Neubrandenburg), Vize-Weltmeisterin von 2011, hatte ihren letzten Wettkampf mit Musik in Bad Oeyenhausen. Sie ist zu einem Lied von Pink gesprungen, das bereits 2011 bei ihrem Deutschen Rekord in Karlsruhe lief. Der Titel erinnert sie an gute Zeiten mit hohen Sprüngen. „Eigene Musik bringt mir den passenden Grad zwischen Lockerheit und Anspannung“, sagt die 32–Jährige.
Donetsk und Disco-Feeling
Den Flow hat auch Stabhochsprung-Olympiasieger Renaud Lavillenie bei seinem Weltrekord in Donetsk (Ukraine) gefunden. Zum immer gleichen Song lieferte er bis zur Höhe von 6,16 Metern einen Sensationssprung nach dem anderen.
Ebenfalls in Donetsk am Start war die WM-Vierte Silke Spiegelburg (TSV Bayer Leverkusen 04). Ihr Trainer Andrei Tivontchik hatte diesmal die Musik für sie gewählt. „Schätze das war etwas von AC/DC oder so“, sagt die 28–Jährige. „Der Song passte ganz gut. Er war schneller und radikaler und hat mich gepusht“. Das Lied habe nach einer zweiwöchigen Krankheit geholfen, ihre Kräfte zu mobilisieren.
Bei Meetings mit laut gespielten Lieblings-Songs der Athleten steige die Stimmung - im Freien noch mehr als in der Halle.„Die Zuschauer mit der Musik, das ist wie eine Party-Atmosphäre, das gibt nochmal einen Adrenalin-Kick“, beschreibt Silke Spiegelburg die Spezial-Meetings.
Euphorie und Aufregung
„Das einzige, worauf ich achten muss, ist dass ich nicht überpace, vor allem beim Anlauf“, erklärt Spiegelburg. Schon als Jugendliche hat sie erste Erfahrungen gesammelt und gelernt, in solchen Momenten nicht zu euphorisch zu werden, kontrolliert zu springen und die Musik so für sich zu nutzen. „Man will unbedingt richtig gut springen und schwebt auf dieser Welle der coolen Atmosphäre mit“, sagt sie.
Das gezielte Einspielen von Musik hat einen anderen Effekt auf die Athleten als einfache Hintergrund-Beschallung. Die Songs beginnen genau dann, wenn die Springer am Anlauf stehen. „Das ist der Punkt, an dem man am nervösesten ist. Wenn da Totenstille ist und man sich fühlt, als würden ein paar Tausend Leute auf einen schauen, dann ist die Anspannung viel größer, als wenn die Musik für einen startet“, erzählt Karsten Dilla.
Stille für die Konzentration
Anders hielt es Ariane Friedrich (LG Eintracht Frankfurt) bei der WM in Berlin: Für ihren dritten Versuch über 2,02 Meter stellte sie genau diesen leisen Augenblick her. Sie legte den Zeigefinger auf die Lippen, um die Zuschauer, die den 200-Meter-Weltrekord von Usain Bolt bejubelten, um Ruhe zu bitten. Es wurde still im Olympiastadion und sie holte die Bronze-Medaille. Die 30–Jährige springe aber auch zu Musik gerne, sagt ihr Trainer.
Während beim Marathon das Tragen von Kopfhörern verboten ist, ist musikalisches "Doping" bei Spezial-Meetings erlaubt. Was in Arnstadt vor 38 Jahren mit dem Hochsprung begann, hat sich mittlerweile auf die Stabhochsprung-Szene ausgebreitet. Der Weitsprung zieht nach. Andere Disziplinen haben Musik noch nicht für sich entdeckt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Denn die Stimmung und die Motivation, die Musik schafft, sind rekordverdächtig.