Homiyu Tesfaye mit Zufriedenheit zur Bestzeit
Liegestütze - die macht er künftig nur noch im Kraftraum. Homiyu Tesfaye (LG Eintracht Frankfurt) hat in diesem Jahr für kontroverse Diskussionen gesorgt. Mit Liegestütze nach seinem überlegenen Sieg bei der U23-DM, mit Fragen zu seiner Vergangenheit, aber auch mit einem überraschend starken fünften Platz bei seinem WM-Debüt über 1.500 Meter. Am Donnerstag glänzte der gebürtige Äthiopier einmal mehr durch Leistung. In Zürich (Schweiz) steigerte er seine Bestzeit auf 3:34,18 Minuten.
Ganz leicht sind seine Mundwinkel scheinbar permanent nach oben gezogen. „Ich bin glücklich“, sagt Homiyu Tesfaye schlicht. Glücklich über seine Bestzeit zum Saisonende, glücklich über die Leistungen, die er in diesem Jahr schon gezeigt hat und glücklich über sein neues Leben, das vor drei Jahren mit seiner Einreise von Äthiopien in Deutschland begann und mit der Einbürgerung am 27. Juni 2013 erst so richtig Fahrt aufgenommen hat.Homiyu Tesfaye hat sich in den letzten Monaten daran gewöhnt, dass die Menschen ihn mehr danach fragen, woher er kommt, anstatt wohin er will. „Warum muss ich fremden Leuten mein Leben erzählen?“ fragt er, und anstatt auf eine Antwort zu warten, sagt er: „Ich habe auf dem Amt erzählt, wo ich herkomme und warum ich in Deutschland bleiben möchte und nicht zurück nach Äthiopien kann, die haben alles geprüft und jetzt möchte ich in die Zukunft schauen.“ Ganz kurz zucken die Mundwinkel gen Boden.
Vergangenes ist privat
Aus seiner Vergangenheit in Äthiopien verrät er nur so viel: Er komme aus einem kleinen Dorf, da gäbe es einen See, wo er gerne geschwommen sei und in der Nähe habe er als kleiner Junge immer Fußball mit einem aus Tüten und Stoffresten zusammengenähten Ball gespielt. Seitdem er 14 Jahre alt sei, laufe er. Wohlportionierte Häppchen einer typischen Kindheit in Afrika.
Den Argwohn, der ihm aus einigen Ecken der Läuferszene ob einer gewissen Ähnlichkeit mit einem 23 Jahre alten Äthiopier namens Henok Tesfaye Hey entgegenschlägt, der für sein Land bereits bei der U18-WM 2007 in Ostrava (Tschechische Republik) sowie bei der U20-WM 2008 in Bydgoszcz (Polen) gestartet ist, verbucht Homiyu Tesfaye Heyi, wie der Neu-Frankfurter mit vollem Namen heißt, für sich unter dem Stichwort Neid. „Ich bin ich“, sagt er. Mehr ist in seinen Augen auch nicht nötig. „Ich kann nicht verhindern, dass die Leute reden. Es ist mir mittlerweile auch egal, was sie sagen. Wichtig ist mir nur, dass meine Trainingsgruppe und mein Trainer hinter mir stehen.“
Ersatzfamilie Trainingsgruppe
Seine Trainingsgruppe um Bundestrainer Wolfgang Heinig, Hindernis-U23-Europameisterin Gesa Felicitas Krause und den U23-EM-Vierten über 5.000 Meter Nico Sonneberg, sie ist in den letzten zwei Jahren zu seiner Art Ersatzfamilie für den heute 20-Jährigen geworden.
Mit ihnen steht er jeden Tag ab 16 Uhr auf dem Trainingsplatz, mit ihnen verbringt er seine Freizeit außerhalb der Vierer-WG, in der ihn das Jugendamt in Frankfurt untergebracht hat. Und sie standen auch hinter ihm, als er nach der U23-DM in Göttingen für seine Liegestütz-Einlage im Ziel nach dem 1.500-Meter-Rennen massiv kritisiert wurde. „Wenn Bolt Show macht, dann finden das alle cool. Wenn ich das mache, dann ist das schlecht.“
Er habe die anderen Läufer, die noch auf der Zielgerade um die Plätze kämpften, während er schon im Ziel auf dem Boden Liegestütze machte, nicht vorführen wollen. „Ich wollte nur zeigen, wie fit ich noch bin.“ Eine Aktion, die nicht alle verstanden. „Als ich das gemerkt habe, habe ich mich bei den Läufern entschuldigt. Ich hoffe wirklich, dass sie diese Entschuldigung auch irgendwann alle annehmen. Ich will mit niemandem Streit. Ich will einfach nur laufen.“
Training um fünf Uhr in der Früh
Und zwar schnell. Dafür stand er die letzten Jahre immer schon vor fünf Uhr auf, um seine erste Laufeinheit zu absolvieren. „Von acht bis 15 Uhr hatte ich Schule, da musste ich den ersten Dauerlauf des Tages eben schon so früh machen.“ Spaß, nein, das habe es nicht gemacht. „Es ist unheimlich, im Winter um fünf Uhr in der Nacht alleine auf der Straße zu laufen“, findet Tesfaye. Also stellte er sich während der dunklen Jahreszeit oft auf ein Laufband in einer Fitnesskette, die 24 Stunden lang geöffnet hat. „Da war ich dann auch nicht so ganz allein.“
Dieses Gefühl des Alleinseins hatte Homiyu Tesfaye in den letzten Jahren nur zu oft. „Es ist nicht einfach, wenn du als Ausländer in ein Land kommst, keinen kennst und nicht einmal die Sprache sprichst.“ Und nicht nur das. Auch die deutsche Mentalität war ihm fremd. „In Äthiopien sind die Leute offener. Wenn man etwa auf den Bus wartet, dann spricht man miteinander, auch wenn man sich nicht kennt. In Deutschland tippen alle entweder in ihr Handy oder lesen ein Buch.“
In Deutschland zuhause
Und doch, er fühle sich inzwischen als Deutscher. „Ich vergesse sogar schon manchmal meine Hautfarbe“, sagt Tesfaye, der inzwischen seinen Hauptschulabschluss hat, die deutsche Sprache fast perfekt beherrscht und am 2. September in die Bundeswehr eintritt. „Deutschland ist ein schönes Land. Dass ich hier frei denken und meine Meinung sogar laut sagen kann, das ist für mich ganz neu und diese Freiheit genieße ich sehr.“
Es sei genau diese Zufriedenheit, die er gebraucht habe, um schnell laufen zu können. „Ich kann das nicht, wenn ich traurig bin, dann verkrampfe ich.“ Entsprechend glücklich scheint er die letzten Wochen gewesen zu sein. Stand seine Bestzeit Anfang des Jahres noch bei 3:38,56 Minuten, steigerte er sie im Letzigrund auf 3:34,18 Minuten. „Und ich kann noch schneller“, sagt Homiyu Tesfaye. Eine Aussage, die angesichts der Rennverläufe sowohl bei der WM als auch in Zürich nicht größenwahnsinnig erscheint.
Luft nach oben
Hielt er sich bei den Weltmeisterschaften in Moskau (Russland) strikt an die Anweisung seines Trainers („Ich mache immer genau was Herr Heinig sagt, denn ich glaube, wenn ich das mache und gesund bleibe, kann ich ein richtig guter Läufer werden“) und drehte erst auf der Zielgerade so richtig auf, so hinterließen in Zürich die Spikes des Tempomachers („Der ist zu langsam und nach außen raus gegangen“) tiefe Spuren in seinen Schienbeinen.
„Das hat mich aus dem Rhythmus gebracht und sicher etwas Zeit gekostet.“ Wie schnell es gehen kann? „Irgendwann vielleicht mal Richtung 3:30 Minuten, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.“ Der deutsche Rekord steht seit 1980 bei 3:31,58 Minuten.
Anerkennung von Unbekannten
Plötzlich bekomme er nun auch regelmäßig Post von ihm unbekannten Menschen. „Sie wollen Autogramme, oder beglückwünschen mich einfach nur.“ Wenn er von Momenten wie diesen erzählt, dann rutschen seine Mundwinkel noch ein kleines Stückchen höher. „Es macht mich glücklich, wenn meine Leistung anerkannt wird.“
Seine alte Heimat will jedoch nichts von seinen Erfolgen wissen. „Ein äthiopischer Läufer hat mir erzählt, dass die Medien in Äthiopien über die Leistungen ehemaliger Äthiopier bei der WM berichtet haben. Aber dann gab es wohl Beschwerden aus der Bevölkerung. Für viele sind Menschen, die ihr Land verlassen, gestorben.“
Obwohl er erst am Anfang seiner Karriere steht, hat er schon jetzt viel erreicht, das weiß Homiyu Tesfaye. Ganz zufrieden ist er mit der diesjährigen Saison aber dennoch nicht. „Wenn ich an Moskau denke, da ärgere ich mich manchmal ein kleines bisschen. Manchmal denke ich, vielleicht wäre da eine Medaille drin gewesen und ich bin dafür zu spät angetreten.“ Dass er als Fünfter in Moskau auch seine ehemaligen Landsleute allesamt hinter sich gelassen hat, davon will er indes nichts wissen. „Ich war nicht der schnellste Äthiopier, ich bin der schnellste Deutsche.“