| Filmkritik

„I am Bolt“ – Viel mehr als nur zehn Sekunden

Seit dem 28. November läuft der Film „I am Bolt“ in den Kinos. Die Dokumentation bietet 103 Minuten lang einen Einblick in das Leben des derzeit berühmtesten Leichtathleten der Welt. Usain Bolt nimmt die Zuschauer mit in seinen harten, aber auch spaßigen Trainingsalltag in Jamaika und mit in die großen Finals. Obwohl man weiß, wie die Rennen ausgehen, schafft es der Film immer wieder Spannung aufzubauen. Die Spannung, mit der sich der Star auf die nur zehn Sekunden dauernde Sprint-Show zubewegt.
Pamela Ruprecht

Jeder hat die Rennen im Fernsehen gesehen. Die drei Olympia-Finals in Peking, London und Rio und die WM-Finals von 2009 bis 2015. Fans, Journalisten, Athleten und Trainer erwarten die Entscheidung über 100 Meter dabei stets mit größter Spannung. Aber sind die Rennen nicht viel zu schnell vorbei? In weniger als zehn Sekunden fegen die Sprinter über die Bahn. Über 200 Meter sind es zwar knapp 20 und mit der Staffel knapp 40 Sekunden. Aber dennoch viel zu kurz, um wirklich zu unterhalten. Ein Fußballspiel dauert dagegen fast zwei Stunden.

Wem diese zehn Sekunden schon immer viel zu kurz waren, der kommt mit dem Film „I am Bolt“ voll auf seine Kosten. Die Dokumentation nimmt den Zuschauer mit ins Training, mit in den Bus auf dem Weg zum Stadion und mit in die Gedankenwelt von Usain Bolt. Der Jamaikaner erzählt, wie er die einzelnen Phasen der wichtigsten Finals durchlebt. Dass Sprinter während dem Lauf nichts denken, bestätigt die Doku nicht.

Zeitreise durch eine einzigartige Karriere

Viele erinnern sich an den Stolperer von Usain Bolt im 100-Meter-Halbfinale bei der WM in Peking. Der Blitzstart eines Konkurrenten habe ihn aus dem Konzept gebracht, erzählt Bolt nun in der Doku. Außerdem verstehe er nicht, warum Justin Gatlin (USA) vor den großen Wettkämpfen beim Aufwärmen immer mit ihm quatschen wolle. „Wir sind echte Rivalen und haben nichts zu bereden“, sagt er mit einem Lächeln. Diese Einblicke in die Perspektive des Sportlers machen den Film so interessant.

Mit den Weltmeisterschaften 2015 und dem dreifachen Titel-Gewinn in Peking beginnt die Handlung. „Er hat zum ersten Mal ein Rennen gewonnen, in dem er nicht der Favorit war. Das zeugt von Charakter“, sagt sein Coach Glen Mills auf dem Rückflug in die Kamera.

Nach der WM-Saison startet die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Rio. Mit einer Szene des Starttrainings auf einem verlassenen Acker. Den Weg bis zu seinem legendären Triple-Triple in Rio erzählt der Film anhand von Interview-Szenen mit den Mitgliedern seines Teams, Trainingsaufnahmen und Selfie-Videos von Usain Bolt. Dabei versteht es der Plot geschickt, Sprünge in die Vergangenheit einzubauen. Zum Beipspiel zur U20-WM 2002, bei der Bolt mit 15 Jahren in Kingston zum ersten Mal eine internationale Goldmedaille errang. Original-Bilder und rückblickende Erzählungen wechseln sich ab, bevor es wieder in die Gegenwart geht.

Szenen beim Wunder-Doc Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt

„Wird das ein nüchternes Wochenende?!“, fragt ihn sein Coach auf dem Trainingsacker. Bolt lacht und bejaht die Aufforderung. In den Zeitungen konnte man Anfang des Jahres von einer Knöchelverletzung lesen, die seine Olympiavorbereitung erschwere. Im Film kommt raus, wie die Verletzung passierte: Der Ausnahme-Sprinter stolperte in einem Club auf dem Weg zum DJ. Denn Bolt braucht Abwechslung und zeigt auch private Party-Szenen. Sein Erfolgsrezept: Harte Arbeit gepaart mit Spaß, für den seine Team-Mitglieder um seinen besten Freund Nugent Walker, genannt "NJ", sorgen.

Die Knöchel-Verletzung kommt zu diesem Zeitpunkt denkbar ungünstig. Inklusive Kamera reist Bolt mit seinem Team nach München zu Hans-Joachim Müller-Wohlfahrt. Den Wunder-Doc sucht er mehrmals im Film auf. Schon 2004, in seinem ersten Profi-Jahr, schickte ihn Glen Mills wegen Rückenproblemen zu Müller-Wohlfahrt, der an seinem Rücken eine Skoliose diagnostizierte. Ob sein Rücken für eine Sprint-Karriere standhalten würde, stand auf der Kippe. Gezieltes Stabilisationstraining von 2004 bis 2006 half.

2007: WM-Zweiter über 200 Meter. 2008: Erster Weltrekord über 100 Meter in New York und dann seine ersten Olympischen Spiele in Peking – nächste Stationen, die der Film durchläuft. Mit schrägen Video-Aufnahmen seines damaligen Zimmer-Kollegen im Olympischen Dorf, Zehnkämpfer Maurice Smith, wird ersichtlich: Die unmittelbare Wettkampfvorbereitung von Usain Bolt kann schon mal daraus bestehen, bis 5 Uhr morgens mit seinem „Roomie“ wach zu bleiben. Das erste von drei Olympischen Triplen war ihm nach dem Staffel-Finale aber dennoch sicher. Mit dem Schrei „Run Asafa“ trieb er Schlussläufer Asafa Powell bei der Stabübergabe zum Weltrekord.

Video-Aufnahmen aus dem Athletendorf in Rio

Zeitsprung. April 2016. Usain Bolt freut sich, dass er mit geringen Knöchel-Schmerzen endlich wieder auf der Bahn stehen kann. Doch ihm fehlt irgendwie die Motivation. Er hat schon alles erreicht. Doch dann kam die Ansage von Justin Gatlin, er wolle in Rio siegen. Die Reaktion von Bolt: „Wie bitte, der will mich schlagen? Auf keinen Fall. Ich liebe den Wettkampf. Das war ein Eigentor von Justin Gatlin.“ Und das Training – im Film begleitet von lauten Beats – geht jetzt erst richtig los.

Szenenwechsel zur wohl kritischsten Situation. Im Vorlauf der Olympia-Trials 2016 in Kingston spürt Usain Bolt seine Kniesehne. Er ist unzufrieden mit der Organisation, musste zu lange auf seinen Start warten. Glen Mills will seine Teilnahme am Halbfinale absagen. Der Leitende Verbandsarzt stellt eine Zerrung fest. Jetzt heißt es Hoffen und Bangen um die Nominierung. Spätestens hier wird klar, dass auch Bolt keine Siegesmaschine ist, sondern immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen hat. Geht es zu den großen Meisterschaften, ist er aber wie ausgewechselt.

Rio. Der Wettkampf, der ihn zur Legende machen soll. Nur ein bisschen nervös, sei Bolt vor seinen letzten Olympischen Spielen. Wie es ausgeht, weiß man. „Neun Goldmedaillen. Sowas zu erreichen, das war magisch“, sagt Yohan Blake nach dem Sieg der Jamaika-Staffel in der Mixed Zone. Sein ganzes Leben habe Usain Bolt dafür gewidmet, der Beste zu sein. Dieses Leben wird nun eindrucksvoll und unterhaltsam im Film sichtbar. 2017 wird er sich zum letzten Mal vor der Saison fragen: „Bin ich noch der Schnellste?“ Ein Held ist er jetzt schon.

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