| Interview DLV-Cheftrainer

Idriss Gonschinska: "Ich brauche keinen Medaillenspiegel"

Am Freitag (12. August) hat das große Warten ein Ende. Dann beginnen auch für die Leichtathleten die Olympischen Spiele in Rio. Im Interview spricht Cheftrainer Idriss Gonschinska über Strategien, um dem Olympia-Druck stand zu halten, erzählt, warum er keinen Medaillenspiegel braucht und verrät, welches Motto er den DLV-Athleten vor Beginn der Spiele mit auf den Weg gegeben hat.
Peter Schmitt

Idriss Gonschinska, Sie sind inzwischen schon eine Woche im Olympischen Dorf. Wie beurteilen Sie die Rahmenbedingungen inklusive Trainingsstätten?

Idriss Gonschinska:

Es waren in den ersten Tagen noch einige Korrekturen in den Unterkünften und bei den organisatorischen Abläufen erforderlich. Auch für den weiteren Verlauf der Olympischen Spiele ist die Kompetenz, sich auf einige von europäischen Standards abweichende Bedingungen schnell einzustellen gefragt. Die Trainingsstätten reichen für die kurze Phase der Zeitzonenanpassung aus und sind zudem für alle Athleten gleich.

Gleich am ersten Tag (12. August) fallen zwei Entscheidungen aus deutscher Sicht: Kugelstoßen Frauen und 20 Kilometer Gehen der Männer. Ein guter Start wäre sicherlich wichtig für die gesamte DLV-Mannschaft?

Idriss Gonschinska:

Jeder Athlet ist aktuell natürlich auf seine eigene Vorbereitung und seinen eigenen Wettkampf fokussiert. Letztlich ist daher jeder einzelne Qualifikationswettbewerb und jedes Finale für das DLV-Team wichtig. Einige unserer chancenreichsten Athleten starten gleich am Freitag in die Olympischen Wettbewerbe. Natürlich wünsche ich mir, dass der Auftakt gelingt. Unbenommen des Einstiegs konzentrieren wir uns im Team auf jede Disziplin mit deutscher Beteiligung. Jeder Wettkampftag biete eine weitere Chance.

Die Zeitplan-Gestaltung mit einigen Finals am Vormittag ist nicht unumstritten. Wie ist Ihre Meinung zu diesem Punkt?

Idriss Gonschinska:

Ich sehe die Positionierung von Olympischen Finals in der Leichtathletik in den Vormittagsstunden nicht unkritisch. Sicherlich sind solche Entscheidungen der Zeitverschiebung und den damit gegebenen Fernsehübertragungszeiten in Europa geschuldet. Anderseits sollten die Finals im Sinne der Athleten auch hier in Rio de Janeiro absolut im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Daher wünsche ich mir an den Vormittagen begeisterte Zuschauer und ein möglichst volles Olympiastadion.

Seit Jahren verzichten Sie auf Medaillenprognosen vor internationalen Höhepunkten. Jetzt hat auch DOSB-Chef Alfons Hörmann bei der Auftakt-PK davon gesprochen, dass es nicht nur um Medaillen geht bei Olympia. Wie ist Ihre persönliche Einschätzung zur Jagd nach Medaillen? Brauchen wir überhaupt einen Medaillenspiegel?

Idriss Gonschinska:

Die Wettbewerbsdichte hat in den vergangenen Jahren weiter zugenommen. Oft werden in Rio ein bis zwei Zentimeter oder die Differenz einer Hundertstel über Final- und Podiumsplatzierungen entscheiden. Der Ausgang der Wettbewerbe ist also absolut offen. Ergebnisse sind nicht vorhersagbar und Medaillenprognosen machen daher keinen Sinn. Im Gegensatz können jedoch Leistungsentwicklungen, die die Wahrscheinlichkeit auf einen Erfolg erhöhen, methodisch geplant und gesteuert werden. Erfolg bedeutet aus meiner Sicht die Realisierung der individuellen Ziele eines jeden Athleten. Für die Bewertung und Einordnung der Leistungen benötige ich den Medaillenspiegel nicht.

In London 2012 gab es für den DLV acht Medaillen und das Team überzeugte mit einem erfrischenden leistungsstarken Auftritt. Was erwarten Sie in Rio für eine Performance?

Idriss Gonschinska:

Die Olympischen Spiele von London liegen vier Jahre zurück. In vielen Disziplinen haben sich die Konkurrenzsituation und das Leistungsniveau verändert. Vor diesem Hintergrund lassen sich die Ergebnisse wirklich nur bedingt vergleichen. Im DLV-Team werden zum Beispiel einige Athleten in Rio de Janeiro an den Start gehen, die dies vor vier Jahren sicherlich nicht einmal geträumt haben. Andere Athleten sind wiederum nicht mehr dabei. Aufbauend der vielen positiven Leistungsentwicklungen der letzten Jahre wünschen wir uns natürlich auch in Rio einen erfolgreichen und begeisternden Auftritt des DLV-Teams. Wir sind sehr motiviert, gut vorbereitet, wir werden kämpfen, wir werden eine sympathische Mannschaft sein – wir wollen alles reinlegen, was wir haben. Das ist es, was wir für Rio einbringen können.

Es gab einige Athleten, die bis zuletzt aufgrund von Verletzungen um ihren Start bei Olympia bangen mussten. Auch Stabhochspringer Raphael Holzdeppe (LAZ Zweibrücken) setzte sich erst beim Verabschiedungs-Sportfest in Mannheim am 29. Juli mit 5,70 Metern durch. Wie sieht der Fitness-Zustand der Mannschaft aus?

Idriss Gonschinska:

Leider verlief der Vorbereitungsprozess einiger Spitzenathleten nicht störungsfrei. Sie haben sich aber zurückgekämpft und die letzten Wochen intensiv für die abschließende Vorbereitungsphase genutzt. Für Raphael hoffe ich, dass er den Schwung aus dem gelungenen Wettkampf in Mannheim und den guten Trainingsleistungen mit nach Rio bringen kann. Diesmal wird er aus der Verfolgerposition heraus angreifen.   

Welche Elemente sind aus Ihrer Sicht für die Sportler am wichtigsten, um dem Druck bei Olympia stand zu halten?

Idriss Gonschinska:

Zunächst einmal sollten sich die Sportler verdeutlichen, dass die Gegner die gleichen wie bisher sind. Zudem macht es Sinn, sich primär an seinen eigenen Zielen zu orientieren, sich auf seine Wettkampfvorbereitung zu konzentrieren, sich auf seine Stärken zu besinnen und somit extern entwickelten Druck gar nicht erst an sich heran kommen zu lassen. In die Wettkampfeinstimmung sollten viele positive Momente des Vorbereitungsprozesses – also Situationen auf die man stolz sein kann – integriert werden. Es ist nicht von Nutzen wertvolle Vorbereitungszeit und Energie durch Zweifeln zu verschenken.

Wie sieht Ihr persönliches Motto für die Spiele in Rio aus?

Idriss Gonschinska:

Wichtiger erscheint mir das Motto, das wir den Athleten vor der Abreise gesendet haben: Stell Dir Dein Ziel oft genug vor und es wird passieren!

Wie bewerten Sie den Ausschluss der russischen Leichtathleten und haben sich dadurch die Erfolgsaussichten für den DLV in Rio verbessert?

Idriss Gonschinska:

Das war für mich eine konsequente und die einzig richtige Entscheidung. Es ist wichtig für die Leichtathletik, dass ein solches Zeichen gesetzt wurde. In diesem Kontext erscheint es auch konsequent, dass Athleten die sich nicht innerhalb des Systems vorbereitet haben wie Darya Klishina anders bewertet wurden. Im Kontext der unterschiedlichen Top-Disziplinschwerpunkte und der Einordnung der Ergebnisse der russischen Leichtathleten bei den Weltmeisterschaften 2015 in Peking, verändern sich, durch den Ausschluss, die Erfolgsaussichten für die DLV-Athleten in nur wenigen Disziplinen. 

Rio kompakt

<link http: www.leichtathletik.de termine top-events olympische-spiele-2016-rio _blank>Alles rund um die Leichtathletik bei den Olympischen Spielen 2016

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