Im Takt trainieren
Immer mehr Menschen laufen mit Musik. Aber nur wenige Läufer setzen flotte Rhythmen zur Trainingssteuerung ein. Darauf sollten Sie achten, wenn Sie mit Knopf im Ohr unterwegs sind.
Ein Familienvater aus den USA wäre womöglich noch am Leben, wenn er an diesem Tag ohne iPod zum Joggen am Atlantik aufgebrochen wäre. So hatte er keine Chance. Der 38-Jährige trug Kopfhörer und hörte die Propellermaschine nicht, die hinter ihm am Strand von Hilton Head Island im US-Bundesstaat South Carolina zur Notlandung ansetzte.Das viersitzige Flugzeug war auf dem Weg von Florida nach Virginia, als es plötzlich Öl verlor, das auf die Windschutzscheibe spritzte. Dadurch wurde die Sicht des Piloten so schlecht, dass er den örtlichen Flughafen nicht mehr anfliegen konnte. Dann hat die Maschine auch noch den Propeller verloren. Sie setzte schließlich in der Nähe einer Feriensiedlung in seichtem Wasser auf. Dabei erfasste das Flugzeug den unglücklichen Läufer und tötete ihn.
In der Stadt besser ohne Musik
Die Wahrscheinlichkeit, beim Laufen mit Musik von einem notlandenden Flugzeug getötet zu werden, ist zwar wohl noch geringer als die, vom Blitz erschlagen zu werden – der Vorfall lehrt dennoch, dass es in manchen Laufsituationen besser ist, ohne Kopfhörer unterwegs zu sein. In der Stadt beispielsweise ist es gefährlich, mit lauter Musik zu laufen. Man hört weder die Motorengeräusche von Autos noch das Klingeln von Fahrradfahrern. Wichtige Warnsignale für gefährliche Situationen fallen weg. Es bleibt weniger Zeit zum Reagieren. Unfälle drohen.
Aber auch im Wettkampf sollten Läufer auf Musik besser verzichten – zumindest dann, wenn sie nach Bestzeiten streben. Warum Musik kein Psycho-Doping auf dem Weg zu Höchstleistungen ist, erklärt Professor Oliver Stoll von der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg: „Bei hoch intensiven Belastungen wird das Gehirn durch Musik überfordert.“ Besonders die Informations-Aufnahme und – Verarbeitung werde gestört, so der Sportpsychologe, der derzeit erforscht, wie sich körperliche Aktivität auf die Funktion des Gehirns auswirkt. Deshalb ist es auch kontraproduktiv, wenn Laufeinsteiger, die ihre Technik verbessern wollen, bei entsprechenden Übungen Musik hören.
„Bei sportlicher Aktivität befinden sich nur drei bis vier Prozent der gesamten Blutmenge im Gehirn, in Ruhe sind es dagegen 15 Prozent“, sagt der Wissenschaftler. Besonders diejenigen Bereiche im Kopf, in denen aktives Denken stattfindet, die aber auch akustische Reize wie Musik verarbeiten, werden mit zunehmender Belastungsintensität geradezu abgeschaltet. „Gute Ideen kommen Läufern meist auch nur bei leichtem Training im mittleren Tempo, wenn ihr Gehirn fast wie in Ruhe arbeitet“, weiß der ehemalige Ultra-Langstreckenläufer und Ironman-Triathlet Oliver Stoll.
Positive Effekte
Bei solchen Trainingsläufen spricht auch nichts gegen den Einsatz von Musik. „Sie kann durchaus positive Effekte haben, vor allem auf die Motivation“, sagt Stoll. Das haben mehrere wissenschaftliche Studien belegt. Bei langen Läufen lenkt die Musik von der zunehmenden Erschöpfung ab, bei schnellerem Tempo lässt sie sich sogar als Taktgeber einsetzen.
Aber welche Musik passt zu welchem Lauftempo? Mit dieser Frage haben sich der Sounddesigner Joachim Stall und der ehemalige Triathlon-Europameister Matthias Klumpp intensiv beschäftigt. Ihre Erkenntnis: Die meisten Läufer setzen Musik nicht systematisch ein, um ihr Training zu unterstützen, sondern um sich von der Anstrengung abzulenken. „Dabei arbeiten zwei Systeme nebeneinander“, erklärt Joachim Stall, „der Kopf hört Musik, der Körper läuft.“
Im gleichen Rhythmus
Das lässt sich ändern. Damit Kopf und Körper mit Musik im Einklang laufen, sollte man zunächst herausfinden, wie viele Schritte pro Minute man im angepeilten Trainingstempo macht. Beim lockeren Dauerlauf sind die meisten mit 140 bis 170 Bodenkontakten pro Minute unterwegs. Die Zahl der Schritte hängt von der Größe und der Schrittlänge des Läufers ab.
Joachim Stall und Matthias Klumpp haben für diese Zahl den Begriff „Individuelle Schrittzahl pro Minute“ (ISPM) geprägt. Sie gilt es zu ermitteln, wenn Training künftig mit rhythmisch passender Musik gesteuert werden soll. Stellen Sie einfach den Timer ihrer Laufuhr auf 60 Sekunden ein und zählen Sie während eines lockeren Dauerlaufs Ihre Bodenkontakte. Dann kennen Sie Ihre ISPM. Lockerer Dauerlauf heißt in diesem Fall, dass Sie mit 65 bis 80 Prozent Ihrer maximalen Herzfrequenz unterwegs sind.
Im zweiten Schritt können Sie Musik auswählen, die zu Ihrer ISPM passt. „Dazu müssen Läufer allerdings wissen, welches Tempo dem jeweiligen Titel zugrunde liegt“, erklärt Joachim Stall, der im Hauptberuf als Toningenieur beim Südwestrundfunk (SWR) in Baden Baden arbeitet. Das Tempo von Musikstücken wird in „Beats per Minute“ (BPM) angegeben. Gemeint ist damit die Anzahl der Zählzeiten, die betonten Takte. Musikalisch erfahrene Läufer können die BPM eines Stückes einfach herausfinden, indem sie die Stoppuhr laufen lassen und mitzählen.
Beats zählen
Es gibt auch zahlreiche Computerprogramme oder Apps für das iPhone, bei denen Sie nur den Takt auf der Tastatur mitklopfen müssen, und Ihr Rechner oder Ihr Handy sagt Ihnen, wie schnell der Song ist, den Sie grade hören. Wem das schwer fällt, findet im Internet Seiten, auf denen die BPM-Zahl jeder Menge populärer Songs angegeben wird.
Anhand der BPM-Zahlen der einzelnen Songs können Sie sich dann Playlists für jeden Lauf- und jedes Trainingsprogramm zusammenstellen: Schnelle Stücke für Phasen mit hohem Tempo, langsamere fürs Ein- und Auslaufen und für Trabpausen. Und bei den ganz langen Trainingseinheiten können Sie sich getrost und ohne Rücksicht auf BPM- oder ISPM-Zahlen von Musik ablenken lassen, die Ihnen einfach gefällt. Bloß nicht so sehr, dass Sie Ihre Umwelt gar nicht mehr wahrnehmen.
So steuern Sie Ihr Training mit Musik Wenn Sie wissen, mit wie vielen Schritten pro Minute Sie beim lockeren Dauerlauf unterwegs sind (individuelle Schrittzahl pro Minute/ISPM), können Sie verschiedene Trainingsziele erreichen, indem Sie sich Playlists mit Musikstücken zusammenstellen, deren Tempo (Beats per Minute/BPM) zu Ihrer angepeilten Laufgeschwindigkeit passt. So können Sie besipielsweise ein 60-minütiges Fahrtspiel mit ganz unterschiedlichen Laufgeschwindigkeiten und Belastungsintensitäten nach Musik absolvieren. Unsere Beispiele gelten für einen Läufer mit einer ISPM von 165. Regeneratives Laufen Dabei laufen Sie mit einem Puls, der unter 65 Prozent Ihrer maximalen Herzfrequenz liegt. Vielen Läufern fällt das schwer. Songs mit gut erkennbaren Rhythmus, der fünf bis 20 BPM unter Ihrem ISPM liegt, können Ihr Tempo entsprechend drosseln. Dire Straits: Sultans of Swing (148 BPM) Robbie Williams: Eternity (134 BPM) Lockerer Dauerlauf Im Bereich zwischen 65 und 80 Prozent ihrer maximal erreichbaren Herzfrequenz absolvieren Läufer den Großteil ihres Trainings. Unterstützend wirken dabei Songs, deren BPM der ISPM entsprechen. Rihanna: Russian Roulette (165 BPM) H. Grönemeyer: Bleibt alles anders (166 BPM) Tempodauerlauf/längere Intervalle Beim anstrengenden Training mit Pulswerten zwischen 80 und 90 Prozent der maximalen Herzfrequenz hilft flotte Musik, das Tempo zu halten. Die BPM-Zahl kann bis zu 20 Schlägen über der ISPM liegen . Billy Idol: Speed (176 BPM) Wir sind Helden: Nur ein Wort (185 BPM) Kürzere Intervalle/Sprints An der anaeroben Schwelle erreichen Sie Pulsfrequenzen, die zwischen 90 und 95 Prozent dessen liegen, was Ihr Herz maximal pumpen kann. Sehr schnelle Titel können helfen, das Leiden zu mindern. Silbermond: Zeit für Optimisten (190 BPM) Supertramp: School (192 BPM) Tokio Hotel: Lass uns laufen (190 BPM) U2: Sunday bloody Sunday (198) |