Ingo Schultz stoppt das Riesenrad und holt Gold
Für knapp 46 Sekunden ging nichts mehr im Münchner Olympiapark. Das Riesenrad, das normalerweise bei Wind und Wetter seine Kreise dreht, blieb stehen, die Journalisten ließen ihre Tastaturen ruhen und alle 48.500 Zuschauer starrten wie gebannt auf den 2,01 Meter großen Posterboy des DLV. Der quittierte das alles auf Bahn vier mit seiner gewohnten Lässigkeit. Ingo Schultz schien genau zu wissen, was er vor hat. Mit dem erlösenden Startschuss stürmte er auf seine goldene Runde.
Ingo Schultz ließ Daniel Caines hinter sich verschwinden (Foto: Kiefner)
Den vor ihm startenden Spanier David Canal überholte der 27-Jährige bereits bei 150 Metern, nur der Brite Daniel Caines, Hallenweltmeister von 2001, konnte dem irren Tempo des Deutschen folgen. In 20,7 Sekunden passierten sie die 200-Meter-Marke, nach der zweiten Kurve trennte den Hünen lediglich ein Meter von dem Leichtgewicht. „Ich habe schon seinen Schatten gesehen. Aber das Publikum war einfach grandios - da musste ich das auch noch durchziehen“, kommentierte der Hamburger gewohnt kühl. Bei 45,15 Sekunden blieb die Uhr nach einem packenden Kampf auf der Zielgerade stehen.Der erste 800-Meter-Lauf
Die Qualen der Stadionrunde sollten nicht seine Einzigen bleiben. „Das war mein erster 800-Meter-Lauf“, flachste Schultz, ob seiner ausgiebigen Ehrenrunde, die er mit einer langstieligen Rose in der Hand absolvierte. Das mag sich durchaus abgeklärt anhören, aber es war dem Norddeutschen schon anzumerken, wie sehr er den warmen Jubel des ausverkauften Olympiastadions genoss.
Daniel Caines dagegen muss sich zukünftig Gedanken um seine Nervenstärke machen. Bei den Commonwealth Games in Manchester stellte er im Halbfinale mit 44,98 Sekunden eine neue Bestzeit auf, im Finale wurde er lediglich Vierter. Auch in München hinterließ er im Halbfinale den stärksten Eindruck. Im Zieleinlauf blieb dem 23-Jährigen allerdings nur die Bronzemedaille – der heranstürmende David Canal (45,24 sec) war im Finish stärker. Vielleicht hat sich der feingliedrige Caines von dem deutschen Riesen den Mut nehmen lassen. Ingo Schultz baute sich in der Vorbereitung demonstrativ vor dem Briten auf. Nicht überheblich, aber seiner Wirkung durchaus bewusst. Eben ein Mann, der sogar Riesenräder zum Stehen bringt.