Ingrid Mickler-Becker wird 70 Jahre alt
Max Schmeling schrie aus Leibeskräften: "Ingrid, du schaffst es." Im sintflutartigen Regen von Mexiko City blieben die Durchhalteparolen der Box-Legende bei Olympia 1968 nicht ohne Wirkung. Ingrid Mickler-Becker, die erst Jahre nach anderen Kindern ihres Alters das Laufen gelernt hatte, wurde Olympiasiegerin im Fünfkampf. Vier Jahre danach folgte beim historischen Staffel-Triumph 1972 in München über die DDR 4x100-Meter-Gold. Am Mittwoch wird das Multi-Talent 70 Jahre alt.

Ihr Mann Friedrich, erfolgreicher Diplom-Ingenieur, mahnt zuweilen, "mehr ans Private zu denken". Die 1971 nach zwei EM-Titeln zu Deutschlands Sportlerin des Jahres gewählte Westfälin gibt ihm da öfter mal recht, findet aber: "Wir leben das Private schon genüsslich. Und er unterstützt mich auch in meiner Arbeit."
Beide sind wie Sohn Philipp, der als Wirtschaftsanwalt in die juristischen Fußstapfen der Familie Becker trat, leidenschaftliche Golfer und begeisterte Anhänger von Bayern München. "Ich habe noch immer Handicap 10, aber die beiden anderen haben noch ein besseres", sagte Ingrid Mickler-Becker, die auch ihre Skier noch nicht in die Ecke gestellt hat.
Spät auf die Beine gekommen
Dabei schien eine Sportler-Laufbahn in der Kindheit unmöglich. "Man wusste lange nicht, ob ich überhaupt groß werden kann. Ich habe Jahre später als andere laufen gelernt, doch das Leben hat sich durchgesetzt", erzählte die Frau, deren erster Sport Turnen war. Mit 15 begann sie mit der Leichtathletik, schon mit 16 war sie als Hochspringerin Neunte bei Olympia 1960 in Rom (Italien), als jüngstes Teammitglied.
Vier Jahre später in Tokio (Japan) fehlten der Doppel-Europameisterin von 1971 (Weitsprung, 4x100 Meter) mit 6,40 Metern im Weitsprung zwei Zentimeter zu Bronze, im Fünfkampf wurde sie Achte. 1968 in Mexiko schlug nach Rang sechs im Weitsprung dank Max Schmelings Unterstützung im Fünfkampf ihre Stunde: "Das war die emotionalere meiner beiden olympischen Goldmedaillen."
1972 sei das von Millionen als Sensation empfundene Münchner 4x100-Meter-Gold nach langwierigen Rückenproblemen "eher Pflichterfüllung" gewesen. Und zugleich Happy End: "Ich habe damals die Schuhe ausgezogen und sie nie wieder geschnürt."
Abschluss mit Sternchen
Ingrid Mickler-Becker absolvierte nach der Schule zunächst eine Kaufmannslehre, bevor sie auf dem zweiten Bildungsweg Abitur machte, Pädagogik, Soziologie und Psychologie studierte und 1973 das beste Examen in Rheinland-Pfalz ablegte. Bis 1987 war sie Gymnasiallehrerin, vom Leben fühlt sie sich beschenkt. Darum hat sie zum Geburtstag auch keine großen Wünsche: "Vielleicht diesen: Dass es möglichst vielen Menschen so gut geht wie mir oder uns."
Aktiv trägt sie zum Wohl anderer bei, indem sie seit Jahren Geld für ein Waisenhaus in Guatemala sammelt und andere charitative Projekte organisiert. Was Not bedeutet, hat sie als Kleinkind nach dem Tod ihres Vaters im Krieg selbst erlebt.
Quelle: Sport-Informations-Dienst (sid)