International: Der Mythos Boston-Marathon lockt wieder
Wer so klein ist wie Bong-ju Lee und noch dazu so leicht, dem mag der Gedanke nicht kommen, er habe Bärenkräfte. Mit 1,68 Meter Körpergröße und 56 Kilo Gewicht ist der 31-jährige Südkoreaner eher ein schmales Handtuch. Gleichwohl wäre es grob fahrlässig, ihn zu unterschätzen. Lee ist ein „street fighting man“, ein Kämpfer auf hartem Asphalt, der in seiner Heimat so populär ist wie kein anderer Läufer.
Bong-ju Lee (Foto: Hörnemann)
Der Mann aus Fernost hat den letztjährigen Boston-Marathon gewonnen und hat den Organisatoren jetzt wieder seine Zusage gegeben. Am 15. April zählt er zu den heißen Favoriten. Boston, die Hauptstadt im US-Bundesstaat Massachusetts, ist das Mekka der Ausdauerhelden. 1887 begann die Geschichte dieser Traditionsveranstaltung, die seither alljährlich am Patriot’s Day, dem dritten Montag im April, inszeniert wird. Nur einmal, 1918 kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs, ist dieser Lauf ausgefallen. Drei Südkoreaner haben sich bislang in die Geschichtsbücher eingetragen. Yun Bok Suh gewann den Klassiker 1947 in 2:25:39 Stunden. Das war damals Weltrekord! 1950 triumphierte Kee Yong Ham in 2:32:39 Stunden und im vergangenen Jahr jener Bong-ju Lee, der die zehnjährige Erfolgsserie der Kenianer abrupt beendete und seinen Sieg hinterher seinem gerade verstorbenen Vater widmete.Bong-ju Lee, der einst als Sprinter begonnen hat, ist ein alter Fuchs. Was hat er nicht schon alles erlebt in seiner langen Karriere. 1996 in Atlanta war er Olympiazweiter (2:12:39 h) mit nur drei Sekunden Rückstand auf den Südafrikaner Josia Thugwane. 1998 wurde Lee Asienmeister. In Boston, im 26. Marathon seiner Laufbahn, erlebte er dann den größten Zahltag in seinem Leben. Denn wie sagen die Amerikaner: Wer in Boston gewinnt, hat ausgesorgt!
Nur zu gern möchte Bong-ju Lee, der in Seoul wohnt und trainiert, seinen Erfolg wiederholen. Aber das wird schwer, sehr schwer sogar. Dave McGillivray, der Race Director in Boston, hat bereits mehrere Klasseleute verpflichtet. Starke Kenianer haben ihre Teilnahme bestätigt: Moses Tanui, der zweimalige Boston-Gewinner (1996 und 1998), Elijah Lagat, Joseph Chebet, der erste Mann seit US-Boy Alberto Salazar, der das begehrte Doule Boston & New York in der Saison 1999 perfekt machte, Mbarak Hussein, David Kiptum Busienei, Shem Kororia and Joshua Chelanga, 2001 auf Anhieb Dritter (2:10:29 h) bei seinem Marathondebüt.
Außenseiterchancen haben Rod de Highden aus Australien, Silvio Guerra aus Ecuador und die vier Makhosonke Fika, Simon Mpholoi, Motsehi Moeketsan und Laban Nkete.
Ndereba will das Triple in Boston
Catherine Ndereba, die Inhaberin der Marathon-Weltbestzeit (2:18:47 h), peilt den dritten Triumph in Folge an. Wieder hält sie an ihrem bewährten Programm fest: Boston im Frühjahr und Chicago im Herbst. Wie gut die ehrgeizige Kenianerin in Form ist, bewies sie vor kurzem beim Kyoto-Halbmarathon, den sie in 1:08:48 Stunden dominierte. Esther Wanjiru, ihre Landsfrau, die in Japan eine zweite Heimat gefunden hat, belegte dort den zweiten Platz in 1:10:14 Stunden vor Mio Kiuchi (1:11:37 h). „Ich möchte die erste Frau sein, die unter 2:18 bleibt“, kündigte Ndereba selbstbewusst an, „zumal ich gehört habe, dass Naoko Takahaschi meinen Rekord brechen will.“ Den Kurs vom Vorort Hopkinton nach Boston mit dem berüchtigten Heratbreak Hill, dem Herzensbrecherhügel bei Kilometer 32, hält sie allerdings für zu schwierig, um auf Rekordjagd zu gehen. Fatuma Roba, eine Polizistin aus Äthiopien, wird wohl ihre schärfste Widersacherin sein. 1996 war sie Olympiasiegerin. 1997, 1998 und 1999 gelang ihr dann der Hattrick in Boston, bis Catherine Ndereba die Siegesserie im April 2000 beendete.
In Boston gab es auch schon sieben deutsche Siege. 1932 setzte sich Paul de Bruyn in 2:33:36 Stunden in Szene. Er lebte in den Staaten und verdiente seinen Lebensunterhalt als Feuerwehrmann. Liane Winter erzielte 1975 mit 2:42:24 Stunden sogar eine neue Weltbestzeit. Charlotte Teske profitierte 1982 vom Ausscheiden der Norwegerin Grete Waitz und gewann völlig überraschend in 2:29:33 Stunden. Uta Pippig sorgte dann für Aufsehen mit ihrem Hattrick in den Jahren 1994, 1995 und 1996 bei der 100. Jubiläumsauflage, als sie mit 100.000 Dollar fürstlich belohnt wurde für alle Anstrengungen.
Boston ist ein Mythos, dem sich kaum einer entziehen kann. Am 15. April ist es wieder soweit.