65. Geburtstag von Zehnkampf-Legende Willi Holdorf
Willi Holdorf, der "König der Athleten", der ein Kumpel blieb, feiert am heutigen Donnerstag seinen 65. Geburtstag. Sein Olympiasieg 1964 war auch ein Triumph seiner Willenskraft. Gustav Schwenk, der weltweit einzige Journalist, der seit 1952 bei allen Olympischen Spielen vor Ort über die Leichtathletik berichtete, erinnert sich für leichtathletik.de...
Willi Holdorf feiert seinen 65. Geburtstag (Foto: Chai)
Im Frühsommer 1959 fehlte einem 19-Jährigen, der gerne guter Zehnkämpfer werden wollte, eine Latte für das Stabhochsprungtraining. Der selten um einen Ausweg verlegene junge Mann aus der Blomeschen Wildnis bei Glückstadt (Schleswig-Holstein) legte als Ersatz einen alten Speer auf die Sprungständer. Ein Sprung verlief so unglücklich, dass sich die Eisenspitze der Ersatzlatte in den Oberarm bohrte. Eine Narbe blieb zurück. Der Unfall hielt den Sohn einer Kriegerwitwe nicht davon ab, einige Wochen später in Düsseldorf im Schatten eines deutschen Zehnkampf-Rekords für den frischgebackenen Hürden-Weltrekordmann Martin Lauer (ASV Köln) Deutscher Juniorenmeister zu werden.Diese Geschichte ist typisch für Willi Holdorf. Einer seiner großen Trümpfe war seine Willenskraft. Sie half ihm vor allem beim Zehnkampf-Olympiasieg 1964 in Tokio und vielleicht am meisten beim abschließenden 1.500-Meter-Lauf. Höchstens 18 Sekunden auf den laufstarken Rein Aun, einen Esten im Trikot der Sowjetunion, durfte der seit 1961 für Bayer 04 Leverkusen startende ehemalige Starkstromelektriker auf den dreidreiviertel Runden verlieren, wenn er von seinem aus den ersten neun Übungen stammenden Vorsprung zehren wollte. Vor allem die letzten Schritte ins Ziel wurden dabei zur Tortur.
Am Ende der Kräfte zu Gold
"Holdorf war am Ende seiner Kräfte. Aber er holte aus sich selbst Reserven heraus, die niemand hatte vermuten können [...] Zehn Meter vor dem Ziel begann der Deutsche hin und her zu taumeln", schilderte der französische Journalist Edouard Seidler in einer Reportage für die Pariser "L'Équipe", die später als bester Sportartikel 1964 in Frankreich ausgezeichnet wurde, jene Sekunden, in denen nicht nur uns deutschen Journalisten der Atem stockte.
Was ging dem damals 24-Jährigen beim verzweifelten, aber endlich mit nur zwölf Sekunden Rückstand erfolgreichen Kampf auf der Zielgeraden durch den Kopf? Die Antwort verrät viel: "Ich dachte an meinen kleinen Sohn zu Hause. Der sollte später nicht einmal sagen: Mein Vater hätte Olympiasieger werden können, aber er war zu schlapp dazu!"
Wie spannend es damals zugegangen ist, zeigte auch die Tatsache, dass Hans-Joachim Walde, der 1964 Bronze und 1968 sogar Silber gewann, völlig erschöpft auf dem Boden liegend, zunächst ausgerufen hatte: "Willi, wir haben verloren." Er irrte.
"Was Willi tut, macht er ganz"
Um so größer war der Respekt des heutigen Chefarztes vor seinem Freund: "Ich schämte mich sogar etwas, dass ich mich nicht auch bis zur völligen Erschöpfung ausgeben konnte." Rein Aun musste seinen Bezwinger zweimal auf die Beine stellen, bis der das Lächeln seines Trainers Bert Sumser sehen konnte und von diesem Augenblick an wusste, dass er gewonnen hatte. "Was Willi tut, macht er ganz", hörte ich den Begründer des Weltrufs der Leverkusener Leichtathletik bald darauf sagen, als er auch von ausländischen Journalisten nach dem Geheimnis des Sieges für seinen Schützling gefragt worden war.
Unter der Regie des späteren SPD-Bundestagsabgeordneten Friedel Schirmer, dem kein Funktionär hineinzureden wagte, gewannen die deutschen Zehnkämpfer von 1962 bis 1968 bei je zwei Olympischen Spielen und Europameisterschaften mit Willi Holdorfs Olympiasieg an der Spitze neun von zwölf möglichen Medaillen!
Doch die größten Verdienste um den steilen Aufstieg zum "König der Athleten", wie der Titel eines 1965 erschienenen Buches lautete, hatte ohne Frage Trainer Bert Sumser. "Wenn er sich nicht um mich wie ein Vater um seinen Sohn gekümmert hätte, wäre ich wohl nicht in Leverkusen geblieben. Da war zunächst vieles fremd für mich", gab der zunächst von Heimweh nach seiner norddeutschen Heimat gequälte Blondschopf später zu. Der heute 91-jährige Bert Sumser war für seine Athleten nicht nur ein Trainer mit immensem Wissen und Einfühlungsvermögen, sondern auch ein verlässlicher Freund. Einen Mann wie den "Bertl" möchte man heute möglichst vielen Athleten als Lehrmeister wünschen.
Immer Kumpel geblieben
Nach dem olympischen Triumph hängte Willi Holdorf als junger Familienvater seine Spikes schnell an den Nagel. Abschied vom Sport hat er jedoch nie genommen. Und immer blieb er für seine Freunde ein "Kumpel", wie man ihn suchen muss. Nach einem Abstecher als Häusermakler in Hessen kehrte der Diplom-Sportlehrer für einige Zeit als Trainer an die Seite seines Lehrers Bert Sumser zurück.
Bald darauf führte er Claus Schiprowski, der 1967 nur Neunter der DLV-Bestenliste gewesen war, zur Stabhochsprung-Silbermedaille in Mexiko-City 1968. Damals leitete er in Leverkusen auch ein Sportgeschäft. Den damals besten deutschen Bobfahrer Horst Floth brachte er Anfang der siebziger Jahre als Anschieber in Schwung. Beim kurzzeitigen Fußball-Bundesligisten Fortuna Köln half er als ein Coach aus, der seinen Spielern davonrennen konnte. Bald darauf diente er dem DLV ein Jahr lang als Sprintstaffeltrainer. Inzwischen lebt er schon einige Jahrzehnte wieder im Norden. Dem THW Kiel gehört seine Liebe, nicht nur weil er Gesellschafter der THW-GmbH ist.
Die längste Zeit seines beruflichen Lebens verbrachte er in Diensten von Adidas. Für diese bedeutende Firma, die viele Jahre Partner des Deutschen Leichtathletik-Verbandes war, sah er bei Olympischen Spielen und anderen Großereignissen nach dem Rechten. Am heutigen 17. Februar 2005 wird er 65 Jahre alt. Bei der Leichtathletik wird man ihn sicherlich auch weiter sehen. Ende Juni 2004 erzählte er auf der Tribüne in Ratingen, dass er gerne beim DLV-Mehrkampf-Meeting 2005 ein Treffen aller deutschen Medaillengewinner im Zehnkampf organisieren möchte. Das wird sicherlich ein schönes Fest.
Willi Holdorf wurde als 21. Persönlichkeit vergangener Leichtathletik-Tage in die Hall Of Fame von leichtathletik.de aufgenommen! Vorher würdigten wir dadurch bereits die Leistungen von Heike Drechsler, Hartwig Gauder, Liesel Westermann-Krieg, Thomas Schönlebe, Rudolf Harbig, Bodo Tümmler, Lina Radke, Lutz Drombowski, Willi Wülbeck, Rosemarie Ackermann, Sabine Braun, Heide Ecker-Rosendahl, Lisa Gelius, Armin Hary, Ronald Weigel, Bert Sumser, Oliver-Sven Buder, Ulrike Nasse-Meyfarth, Lilli Henoch und Ilke Wyludda.
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