Susan Chepkemei - Favoritin bei der Halbmarathon-WM
So klein und zerbrechlich sie mit ihren lustigen Rasta-Zöpfchen auch aussieht, in Wirklichkeit ist Susan Chepkemei ein Konditionswunder auf zwei Beinen. In Brüssel, Schauplatz der Halbmarathon-WM am Sonntag, wird sie als ganz heiße Favoritin gehandelt.
Susan Chepkemei ist eine heiße Favoritin in Brüssel (Foto: Hörnemann)
Zwei Mal war die 26-jährige Kenianerin Vize-Weltmeisterin, stets hinter Paula Radcliffe, die sich nach ihrem phänomenalen Marathondebüt in London eine Schaffenspause gönnt und freiwillig auf die Titelverteidigung verzichtet. Aller guten Dinge sind drei, sagt sich Chepkemei, denn bei ihrem dritten Start in Folge träumt sie davon, erstmals oben, hoch oben auf dem Siegerpodest zu thronen.Jos Hermens, ihr Manager, lobt das zierliche Persönchen in den höchsten Tönen. O-Ton Hermens: "Sie wird wieder eine Medaille gewinnen." Susan Chepkemei ist auch die schnellste Läuferin auf dieser Distanz. In Lissabon, im März vergangenen Jahres, war sie auf dem Hochgeschwindigkeitskurs entlang des Rio Tejo mit 1:05:44 Stunden so flott unterwegs war wie noch keine vor ihr.
Allerdings wird dieses hochkarätige Ergebnis in den Statistiken stets mit einer Fußnote versehen, weil der "Downhill Course" vom Start bis ins Ziel ein Gefälle von 70 Metern (3,3 m/km) aufweist. Erlaubt ist laut den gestrengen Regeln der "Association of International Marathons and Road Races" (AIMS) lediglich eine Höhendifferenz von einem Meter pro Kilometer.
Susan Chepkemei in Fahrt
Die ehrgeizige Kenianerin ist in den vergangenen Wochen und Monaten immer besser geworden. Ihr Trumpf ist die Vielseitigkeit! Weil die Power-Frau auch auf der Bahn einiges zu bieten hat, unter anderem 8:43,95 Minuten (Monaco 2001) über 3000 Meter und 14:55,27 Minuten (Oslo 2001) über 5000 Meter, ist sie dauernd auf Reisen und selten daheim.
Wenn sie nicht gerade im Flieger, natürlich Business Class, durch die Weltgeschichte tingelt und von Rennen zu Rennen düst, ist Susan Chepkemei am liebsten in Kapenguria, einem unscheinbaren Dörfchen nördlich des Saiwa Swamp National Parks. Mit zwei Brüdern und fünf Schwestern ist sie einst in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. "Wir sechs Mädchen haben alle zusammen in einem Zimmer geschlafen." Weil ihren Eltern das nötige Geld fehlte, hausten sie auf engstem Raum unter menschenunwürdigen Bedingungen.
Sie ist eine West Pokot, einem nicht sonderlich angesehenen Stamm in Kenia. Ihr kleines Volk, das im Nordwesten nahe der Grenze zu Uganda lebt, macht zwar regelmäßig Schlagzeilen, aber nur wegen des dreißigjährigen Krieges mit den verfeindeten Marakwet. Sie befehden sich und jagen einander mit Pfeilen, Bögen und Speeren das Vieh ab.
Dünnste Luft auf dem Schulweg
In 2500 Meter Höhe, wo die Luft so dünn ist, dass Touristen schon beim Gehen aus der Puste kommen, ist Susan Chepkemei täglich zur Schule gerannt und nachmittags den gleichen Weg retour. "Das stärkt", weiß Volker Wagner, der unter anderem Tegla Loroupe und Joyce Chepchumba betreut, zwei der weltbesten Marathonläuferinnen, "die Kenianerinnen halten Belastungen aus, vor denen wir Europäer kapitulieren würden." 1998 schloss sich Susan Chepkemei der Wagner-Truppe aus dem ostwestfälischen Detmold an, denn Loroupe ist eine Stammesschwester, sie kommt auch aus den Bergen von Lelan.
Mittlerweile hat Susan Chepkemei das beschauliche Detmold verlassen und im Süden Hollands eine zweite Heimat gesucht und gefunden. In Maasbree, einer Stadt in der Provinz Limburg, nahe der deutsch-niederländischen Grenze gelegen, wohnt Ton van Reen, ein bekannter Kinderbuchautor, der ihr Pflegevater ist. Sein Sohn David ist ihr Verlobter und zugleich ihr Trainer.
Aber den Kontakt zu ihren Geschwistern hält sie aufrecht. "Wann immer es die Zeit zulässt, fliege ich nach Kenia", sagte sie, und ihre Augen strahlten dabei, "Kapenguria ist mein Zuhause." Von den stattlichen Preisgeldern hat Susan Chepkemei ihren Familienmitgliedern erst mal ein Haus gekauft und ihnen ein Leben in Armut erspart. Denn in einem Land mit fast 30 Millionen Einwohnern, von denen mehr als die Hälfte arbeitslos ist und am Hungertuch nagen, ist es fürwahr ein Segen, ausdauernd und schnell zu sein.
Den Absprung geschafft und Karriere gemacht
Susan Chepkemei hat den Absprung geschafft, hat Karriere gemacht. Ihre Zukunft leuchtet in rosaroten Farben. Sie ist noch jung und unverbraucht. Am 25. Juni wird sie 26. Als Marathonläuferin liegen die besten Jahre noch vor ihr. "Susan", prophezeit Jos Hermens, "kann eines Tages 2:20 laufen." In London steigerte sie sich als Fünfte auf 2:23:19 Stunden, obwohl sie unterwegs einen unfreiwilligen Zwischenstopp einlegen musste und das zuvor aufgenommene Elektrolytgetränk in hohem Bogen erbrach. In Brüssel hofft Susan Chepkemei auf Gold!
Starke Konkurrenz in Brüssel
Allerdings hat sie starke Konkurrenz. Natürlich aus den eigenen Reihen, vor allem durch Tegla Loroupe, die bereits drei Mal Halbmarathon-Weltmeisterin war. Nicht zu vergessen die schnellen Japanerinnen, angeführt von Mizuki Noguchi, die im Land des Lächeln als "Queen of Halfmarathon" verehrt wird. Oder die beiden Russinnen Svetlana Zakharova und Lyudmila Petrova, Zweite und Dritte in London. Und last but not leat Sonia O'Sullivan, die Dauer(b)rennerin aus Irland, die immer für eine Überrschung gut ist.
Aber Susan Chepkemei lässt sich nicht verrückt machen. Sie weiß, sie kann. Auch Jos Hermens ist sich hundertprozentig sicher, dass der Weg zu den Medaillen nur über die kleine Kenianerin mit dem großen Kämpferherzen führen wird.