Leipzig! Ohne Wenn und Aber – Von Rüdiger Nickel
Die Wahl von Leipzig zum nationalen Olympia-Kandidaten hat viele überrascht, auch mich als Frankfurt-Sympathisant. Höher eingestufte Städte mussten erkennen, dass ihr Konzept nicht aufgegangen ist. Schuld daran waren natürlich immer die Anderen – die Konkurrenten, der Evaluierungsbericht, die Medien, die mal wieder unehrlichen, trickreichen, zum Teil sich selbst austricksenden und überforderten Funktionäre und wer auch immer, nur nicht das eigene Konzept.
Rüdiger Nickel äußert sich zum Votum pro Leipzig (Foto: Kiefner)
Schon wenige Stunden nach der Überraschung von München kamen die Egoisten wieder aus ihren Löchern. Die Egoisten, die es so schwierig machen, auch international ein glaubwürdiges Konzept vorstellen zu können, das von allen getragen wird. Die Nörgelei an der fehlenden Internationalität, der Spott über die Unbekanntheit von Leipzig, die Häme allenthalben hat postwendend begonnen. Die Zweifel an den Wahlchancen werden heraufbeschworen, das Scheitern gleichsam herbeigeredet und –gesehnt. Solange, bis jeder glaubt, dass es Deutschland mit Leipzig nicht schaffen kann. Es werden Fehler gesucht, an denen die Unterlegenen gescheitert sind. Fehler, deren Aufarbeitung wenig hilfreich ist.
Ein Sieg, der kein Zufallssieg war
Schuldzuweisungen werden vorgenommen, statt die Gründe zu analysieren, die Leipzig den überraschenden und überragenden Sieg, schon vom ersten Wahlgang an, gebracht haben. Ein Sieg, der kein Zufallssieg war, sondern überzeugend. Die Allgemeinheit spricht mehr vom Manko dieser Bewerbung denn von den Chancen, die sie bietet. Bislang ist nur wenigen klar geworden, dass es gilt, die Chance zu nutzen, die Bewerbung mit der Vision zu verbinden, endlich aus dem Hamsterrad der Gigantismus-Spirale herauszukommen.
Die Leipzig-Bewerbung hat etwas anderes angesprochen als die der vier Mitkonkurrenten. Auch wenn sicherlich das Argument des aufopferungsvollen Eintretens der Leipziger Bevölkerung für die friedliche Revolution international wenig hergeben wird, ist es das, was dahinter steckt, das es zu nutzen gilt. Die Leipzig-Bewerbung hat nicht auf Größe, Internationalität, Überheblichkeit gesetzt. Sie ist nicht dem heimlichen Dirigenten des Gigantismus verfallen. Das mag international nicht die richtige Strategie sein, auf die man setzen kann. Es ist aber eine Chance zur Unterscheidbarkeit von den Giganten New York, Paris, London und wie sie sich in rationalen Superlativen noch überbieten mögen.
Leichtigkeit, Gelassenheit, Fröhlichkeit
München 1972 hat damit geworben und gewonnen und letztlich – bis zum grausamen Attentat – überzeugt, was man den Deutschen am wenigsten zugetraut hat. Leichtigkeit, Gelassenheit, Fröhlichkeit.
Diesen Grundgedanken der bewussten Abkehr vom Gigantismus und Perfektionismus hat Leipzig konsequent weiterverfolgt. Und das ist seine Chance im zähen Brei des Internationalismus. Und diese lohnt es zu nutzen, wenn sie alle als Chance und nicht als Hemmschuh wahrnehmen. Nicht Zerfleischen in Selbstvorwürfen und Selbstmitleid ist angesagt, sondern Sammeln hinter dem Führer eines solchen neuen deutschen olympischen Wegs.
Konzept, das Olympia aus seinen Fesseln befreien kann
Hinter der Leipziger Bewerbung steckt ein Konzept, das Olympia aus seinen Fesseln befreien kann. Diese Chance zu erkennen und zu nutzen, ist angesagt der Führung, die das NOK zu übernehmen hat. Es muss diese Rolle nicht nur organisatorisch, verwaltend und als Buchhalter wahrnehmen, sondern vor allem geistig und visionär.
Es muss ein Ende haben mit dem organisatorischen Perfektionismus, der Kleinkariertheit der Macher, dem starren Blick des Sportes auf das Fernsehen, nach dessen Minutenplan sich eine Olympiakandidaten-Wahl auszurichten hat – bitte den nächsten Wahlgang erst in zehn Minuten, weil das Fernsehen noch Werbeeinblendungen vornehmen muss! Bitte den Umschlag mit der gewählten Bewerberstadt nochmals an den Kanzler, weil das Fernsehen noch nicht bereit ist! – den Hahnenkämpfen zwischen NOK und DSB, dem provinziellen Stromabschalten bei der Präsentation des Weltbürgers Sir Peter Ustinov, der für das Image eines deutschen Olympiabewerbers, wer auch immer das sein mag, mehr tun kann als jeder Zahlengigantismus. Verwalter, Buchhalter und Bürokraten zurück an die Schreibtische, in die Schreibstuben, Visionäre nach vorn!
Idee von Olympia
Warum wird in München keine "Idee von Olympia", von der Deutschland als Bewerber ausgeht, rübergebracht, sondern die Moderation auf die Ebene einer Hitparade heruntergezogen? Warum präsentiert das NOK keine Olympia-Vision, sondern punktgenau die nächste Bewerber-Präsentation? Werbung und der Minuten-Takt bestimmen die Bewerbung, die Zukunft einer ganzen Sportregion, einer ganzen Sportnation. Schade! Chance verpasst heißt, die nächste Chance nutzen.
Leipzig ist jetzt die Sporthauptstadt Deutschlands, die Sporthauptstadt aller. Leipzig bietet die einmalige Chance, eine neue Olympia-Idee zu vermitteln. Mit diesem Pfund können und sollen wir wuchern. Wir sollen es als Pfund erkennen. Dann haben wir eine Chance mit Leipzig, für Deutschland und für Olympia.
Rüdiger Nickel
DLV-Vize-Präsident Leistungssport