EM-Botschafter Roman Sebrle - König der Athleten
Lange galt er als Kronprinz von Tomas Dvorak. Doch im vergangenen Jahr trat Roman Sebrle endgültig aus dem Schatten seines Landsmannes heraus. Denn der 27-jährige Tscheche ist der erste Zehnkämpfer, der die 9000 Punktegrenze übertraf.
Roman Sebrle ist einer von elf EM-Botschaftern (Foto: K+C)
Es war ein denkwürdiger Tag, dieser 27. Mai in Götzis, das seit Jahrzehnten weit über die Grenzen des kleinen österreichischen Örtchens in Voralberg hinaus, als Mehrkampf-Mekka gilt. Mit 9026 Punkten schnappte der Mann von Dukla Prag Tomas Dvorak den Weltrekord vor der Nase weg und schrieb Sportgeschichte. Noch in der Euphorie seines Erfolges meinte Roman Sebrle: "Die Grenze im Zehnkampf liegt irgendwo zwischen jetzt und 10 000 Punkten". Was soviel heißt, wie, es geht noch weiter. Daran glaubt er ganz fest. Für Tomas Dvorak bedeutete der Triumph seines damaligen Trainingsgefährten keine leichte Situation. Doch überraschend kam es für ihn wohl nicht. "Ich habe schon vor Jahren gesagt, dass Roman bald der beste Zehnkämpfer der Welt sein wird", meinte der entthronte König. Auch wenn Dvorak in Edmonton nach langer Verletzungspause mit seinem dritten Weltmeistertitel ein gigantisches Comeback feierte, sein größter Wunsch, als "erster Mensch der Welt die 9000 Punkte-Marke zu knacken", ist nicht mehr möglich. Und genau dies war der Knackpunkt, dass die beiden sich zerstritten haben und nun getrennte Wege gehen. Inzwischen hat sich der Weltrekordhalter von der Trainingsgruppe in Prag getrennt und anderweitig orientiert. Gezwungenermaßen. So seltsam es klingen mag, aber zwei erfolgreiche Zehnkämpfer waren in diesem Fall einer zuviel. Da es sich bei Erfolgscoach Zdenek Vana um den Schwiegervater von Tomas Dvorak handelte, war klar, wer gehen musste.
Pech in Sydney und Edmonton
Schon im Olympiajahr 2000 hatte er Pech. Durch eine äußerst dubiose Kampfrichterentscheidung im Diskuswerfen - dem späteren Sieger Erki Nool wurden erst drei Versuche ungültig gegeben, nach Protest der Esten wurden ihm 43,66 Meter anerkannt - segelte Sebrle letztendlich um 35 Punkte an der Goldmedaille vorbei. 2001 trat er gar verletzt bei der WM in Edmonton an, quälte sich durch den Wettkampf und musste hilflos zusehen wie sich Tomas Dvorak eindrucksvoll den WM-Titel holte. Nach der Weltmeisterschaft ließ er sich operieren und absolvierte eine Vorbereitung, die von langer Hand geplant wurde.
Hatte er auch zu der Zeit kein Glück auf sportlichem Terrain, so lief es auf privater Ebene ausgezeichnet für den Mehrkämpfer. Zwei Wochen nach den Olympischen Spielen heiratete er seine Freundin, Eva Kasalova, eine 800-Meter-Läuferin mit einer Bestzeit von 2:02,79 Minuten. Und inzwischen hat der Modellathlet die sportlichen Rückschläge längst weggesteckt. Wer Erfolg hat, kann über gewisse Dinge großzügig hinwegsehen. Auch wenn ihm der Tumult menschlich doch ziemlich nahe gegangen und das Verhältnis zu Tomas Dvorak erheblich abgekühlt ist. Auch wenn sich beide durchaus zumindest auf sportlicher Ebene weiterhin respektieren.
EM-Botschafter mit Veränderungen
Roman Sebrle hat sich mit der Situation abgefunden und gehandelt. Er arbeitet nun mit seinem neuen Trainer Dalibor Kupka, einem ehemaligen 400-Meter-Hürdenläufer, der knapp unter 51 Sekunden laufen konnte, zusammen. Die Veränderungen scheinen dem 1,86 Meter großen Modellathleten, der zum Botschafter der Leichtathletik-EM in München ernannt wurde, nicht zu schaden. Im Gegenteil. Bei der Hallen-EM in Wien zeigte er sich in ausgezeichneter Form und holte sich den Titel vor Tomas Dvorak. "Ich habe die Hallen-EM sehr ernst genommen und wollte gewinnen", sagte der 27-jährige Tscheche, dem als Jugendlicher eine große Zukunft als Fußballer prophezeit wurde. Er gehörte den Nachwuchsmannschaften des renommierten Traditionsclubs Dukla Prag an.
Er entschied sich doch für die Leichtathletik - und für den Mehrkampf. Der dunkelhaarige Tscheche mit besonderen Stärken im Sprint und Weitsprung und keinen extremen Schwächen, steigerte sich kontinuierlich. 1996 kam er zum ersten Mal über 8000 Punkte, fünf Jahre später stürmte er in eine neue Dimension. Wenn man bei ihm überhaupt noch von einer schwachen Disziplin sprechen kann, ist es der Stabhochsprung. Hier hat Roman Sebrle sicher noch große Perspektiven.
Seine Grundlage für die Saison holte sich Roman Sebrle in Südafrika. Von Mitte Januar bis Mitte Februar bereitete sich der 27-jährige vor auf neue Glanztaten. Nach der Hallensaison bevorzugt er nun Ungarn als Trainingsdomizil. "Im Frühjahr bevorzuge ich Trainingslager in Europa", erklärt der Zehnkampf-Weltrekordhalter. "Die Akklimatisierung von Afrika nach Europa vor der Hallen-EM ist mir doch schwergefallen". Angemerkt hat man ihm in Wien nichts. Er präsentierte sich topfit. Auch wenn es nicht ganz zum angestrebten Weltrekord gereicht hat. Am Ende fehlten doch etliche Punkte. Aber das tat nichts zur Sache. "Der Sieg war mir wichtiger als ein Rekord", sagte Roman Sebrle nach seinem Start in Wien. Neben der EM hat der Zehnkampfkönig einige weitere Ziele. "Ich möchte die Grand Challenge Serie machen", plant Sebrle. Die beinhaltet auch wieder das Meeting in Götzis. Und das ist bekanntlich ein gutes Pflaster für ihn. Und eins ist sicher: auch in diesem Jahr wird die magische Zahl 9000 wieder über dem Stadion schweben.
Ursula Kaiser