Irina Mikitenko - „Ein risikofreudiger Typ“
Irina Mikitenko (TV Wattenscheid 01) ist nach ihren Marathonerfolgen im April in London und am Sonntag in Berlin eine vielgefragte Interviewpartnerin geworden. Im Gespräch mit leichtathletik.de schildert sie, wie schwer es ihr fiel, auf den Olympia-Marathon in Peking zu verzichten, spricht über Reserven im Training und blickt auf künftige Marathons voraus.
Irina Mikitenko, wie war es für Sie, in Berlin zu laufen? Irina Mikitenko: Ich kann das noch gar nicht realisieren. Es stimmte alles. Das Wetter war perfekt, die Pacemaker und natürlich das Berliner Publikum. So oft habe ich noch nie Zuschauer meinen Namen rufen gehört. Aber das Wichtigste war, dass ich meine Form hatte. Ich wollte unbedingt eine gute Zeit. Dass es unter 2:20 gehen würde, habe ich jedoch nicht zu hoffen gewagt In London konnten Sie im April ihren bis zum Sonntag größten Erfolg im Marathon landen, gewannen in 2:24:14 Stunden. Können Sie etwas zum Unterschied zwischen London, wo die Frauen allein laufen, und Berlin, wo Frauen und Männer gemeinsam starten, sagen? Irina Mikitenko:Bei meinem ersten Marathon 2007 in Berlin lief ich mit Männern. Da war ich aufgeregt, weil es mein erster Marathon war. In London war ich auch sehr aufgeregt, weil das ein reiner Frauenlauf war und ich nach den ersten Kilometern gesehen habe, dass ich vorn war und Tempo machen musste. Und diesmal hatte ich perfekte Tempomacher in Berlin. Jetzt gehe ich ruhiger ins Rennen, weil ich weiß, dass ich immer einen Mann an meiner Seite habe. Ist es also angenehmer hier in Berlin?
Irina Mikitenko:
Natürlich. In London war es gewöhnungsbedürftig, auch, weil die Entfernungen in Meilen angegeben wurden. Man musste immer auf Kilometerzeiten umrechnen, von Anfang an aufs Tempo achten, auf die Uhr schauen. In Berlin brauche ich das nicht. Wegen einer Verletzung konnten Sie nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen. Haben Sie den olympischen Marathon verfolgt?
Irina Mikitenko:
Ja, obwohl es mir schwer fiel. Zwei- bis dreimal musste ich den Fernseher ausmachen, weil es mir weh getan hat, denn das Rennen war direkt auf mich zugeschnitten. Denken Sie, dass sie den Vorstoß der späteren Olympiasiegerin Constantina Tomescu-Dita aus Rumänien zur Hälfte der Distanz mitgegangen wären? Irina Mikitenko:
Aus der Ferne ist das schwer zu beurteilen, aber ich bin ein Typ, der etwas riskiert. Daher glaube ich, dass ich mitgelaufen wäre. Haben Sie dann den Zieleinlauf am Fernseher gesehen und was empfinden sie jetzt mit dem Abstand von einem Monat? Irina Mikitenko:
Ich bin neugierig gewesen, wie das Rennen ausgeht, und habe deshalb den Fernseher wieder angeschaltet. Natürlich bin ich sehr traurig, dass ich nicht dort laufen konnte. Aber ich will nicht weiter Zeit und Energie investieren, um darüber nachzudenken. Wenn man das tut, kann man aufhören mit dem Laufen. Aber nach diesem Sieg in Berlin denke ich umso mehr, dass sehr viel möglich gewesen wäre. Wann hatten sich die gesundheitlichen Probleme vor Peking bemerkbar gemacht?
Irina Mikitenko:
Es hat im Juli angefangen mit den Rückenproblemen, und ich habe jeden Tag auf Besserung gehofft. Gelaufen bin ich zwar immer, aber ich konnte keine schnelleren Einheiten machen, keine Tempowechsel. Wie muss man sich das vorstellen. Ab wann kamen die Schmerzen? Irina Mikitenko:
Ich konnte 60 bis 90 Minuten im vier-Minuten-Schnitt laufen, aber wenn ich schneller laufen wollte, mehr mit Druck auf die Füße, dann ging es nicht. Es hat mit dem Becken, das schief stand, angefangen, später setzte es sich im Rücken und im Fuß fort. Im Nachhinein denke ich, dass ich zuerst das Becken hätte stabilisieren müssen und dann den Fuß.
Als es sich nicht besserte, haben Sie, obwohl schon für Peking nominiert, abgesagt… Irina Mikitenko:
Ich habe die Entscheidung getroffen, nicht in Peking zu laufen, weil ich dort keine große Rolle gespielt hätte, eben mit den gesundheitlichen Problemen. Ich war schon dreimal bei Olympischen Spielen und nur als Teilnehmerin wollte ich nicht hinfahren.
Wann wurden die Probleme besser? Irina Mikitenko:
Ich hatte mir gesagt, dass ich erst wieder einen Marathon laufe, wenn ich keine Schmerzen mehr habe. Von Tag zu Tag wurde es dann besser. Seit Anfang August bin ich wieder voll belastbar gewesen, Rücken, Becken, Füße, alles ist okay. Sie haben jetzt drei Marathons absolviert, und sagen, dass Sie in sich hineinhorchen können. Wo sehen Sie noch Reserven? Irina Mikitenko:
Bei allen bisherigen Marathons hatte ich nicht das Gefühl, völlig ausgepumpt zu sein. Ich möchte einen Marathon laufen, bei dem ich ins Ziel komme und sage: Jetzt möchte ich keinen einzigen Schritt weiter machen. Auch diesmal war das nicht so, ich hatte hinterher das Gefühl, noch tanzen zu können. Reserven habe ich sicherlich noch im Training. Wir haben zwar die Umfänge im Vergleich zum Vorjahr gesteigert, aber noch nicht auf ein Niveau, wie es erfahrene Marathonläuferinnen bewältigen. Da habe ich noch ein wenig Spielraum. 180 Kilometer in der Woche waren es voriges Jahr, jetzt zuletzt sogar einige Wochen bis zu 200 Kilometer, aber nur zwei- oder dreimal. Nächstes Jahr kann ich da noch mehr machen. Warum haben Sie bisher den Umfang nicht noch mehr gesteigert? Irina Mikitenko: Ich habe immer noch die Schnelligkeit aus meinen Bahn-Zeiten, und da war die Gefahr groß, dass ich bei einer zu großen Steigerung des Umfanges mich verletze. Waren diese großen Umfänge auch ein Grund mit dafür, dass Sie nicht schon eher von der Bahn auf die Straße umgestiegen sind? Irina Mikitenko:
Sicherlich. Ich war dazu nicht bereit. Und jetzt zeigt es sich, dass ich doch vielleicht ein bisschen zu spät zum Marathon gekommen bin. Aber positiv ist natürlich, dass ich auf den Unterdistanzen schnell bin. Sind 200 Kilometer das Limit oder kann man das noch ausdehnen?
Irina Mikitenko:
240 bis 250 Kilometer sind möglich. Bei 200 Kilometern habe ich mich noch nicht an meinen körperlichen Grenzen gefühlt. Aber ich darf das nicht jede Woche machen. Im nächsten Jahr finden in Berlin die Weltmeisterschaften statt. Der Marathon wird auf einem 4x10-Kilometer Rundkurs wird mitten im Zentrum der Hauptstadt ausgetragen. Was nehmen Sie sich dafür vor? Irina Mikitenko:
Vorher werde ich wahrscheinlich den London-Marathon bestreiten. Und dann hoffe ich, dass ich beim WM-Marathon genauso schnell laufen kann wie am letzten Sonntag. Vielleicht kann ich damit sogar gewinnen, das wäre dann ein schönes Geburtstagsgeschenk für mich.