Jan Fitschen - „Noch einige Jahre Marathon“
Jan Fitschen (TV Wattenscheid 01) erzielte beim Berlin-Marathon am Sonntag mit 2:13:10 Stunden eine neue persönliche Bestzeit und übertraf damit all seine Erwartungen. Über seine Emotionen vor und während des Laufes, über kleine Stolpersteine auf dem Weg zum Ziel und über seine Zukunftsplanungen sprach Peter Grau für leichtathletik.de mit dem Ex-Europameister über 10.000 Meter.
Jan Fitschen, zuerst herzlichen Glückwunsch zu diesem Lauf, der sicher nicht nur Sie, sondern auch Ihre vielen Fans und die deutsche Leichtathletik-Gemeinde insgesamt erfreut hat. Schildern Sie uns einmal die letzten Tage.Jan Fitschen:
Es war eine unheimliche Berg - und Talfahrt der Gefühle. Am Donnerstag, also drei Tage vor dem Marathon, meldete sich abends der Oberschenkelbeuger. Im Frühjahr hatte mich das beim Düsseldorf-Marathon zur Aufgabe gezwungen. Panik kam bei mir auf, aber mein Physiotherapeut bekam es wieder in den Griff. Ich bin ohne Schmerzen an den Start gegangen und habe auch während des Laufes keine bekommen, abgesehen von einem kleinen Wadenkrampf bei Kilometer zwölf.
Wie groß war überhaupt der Druck auf Sie vor dem Lauf?
Jan Fitschen:
Der war riesig. Wenn man wie ich mit 35 Jahren im Frühjahr einen daneben haut und dann eventuell noch einen, dann muss man sich schon irgendwann Gedanken machen, was man nun beruflich weiter macht. Ich habe viel Spaß daran und mache es in erster Linie auch nur, weil es mir Spaß macht, aber von irgendetwas muss ich auch leben. Und Erfolge schafft man nicht, wenn man ständig Verletzungsprobleme hat und keine guten Leistungen bringt. Ich bin auch selber nicht zufrieden, wenn ich soviel investiere und einfach nichts herauskommt.
Aber diesmal ist etwas herausgekommen.
Jan Fitschen:
Ja, ich bin einfach nur glücklich, überglücklich. Jetzt bin ich vielleicht etwas mehr belohnt worden als ich gehofft hatte. Aber es stimmte alles, das Wetter, die Zuschauer, die flache Strecke, die „Hasen“arbeit und natürlich meine Form.
Zum Rennen. Wollten Sie langsamer anlaufen?
Jan Fitschen:
Ja, nach Düsseldorf wollte ich auf Nummer sicher gehen, konservativ anlaufen. Ich hatte aber gehofft, dass wir einen „negativen Split“ hinbekommen, das heißt die zweite Hälfte schneller laufen können, was ja dann auch gelang.
Anfangs klappte der Plan nicht so ganz...
Jan Fitschen:
Am Anfang war das Tempo zu schnell, ich habe meinem kenianischen Pacemaker zugerufen, er solle etwas langsamer machen.
Wie kann man sich einen solchen Zuruf vorstellen?
Jan Fitschen:
Es gibt nur kurze Kommandos, viel unterhalten kann man sich nicht bei dem Tempo. Aber sagt man „too fast“ (zu schnell), versteht der Hase vielleicht nur „fast“ und läuft noch schneller. Das ist nicht einfach, wie überhaupt Pace nicht so einfach ist. Ich möchte keinen Tempomacher spielen.
Aber Sie bekamen es in den Griff, das Tempo wurde langsamer?
Jan Fitschen:
Ja, und insgesamt muss ich meinem kenianischen „Hasen“ ein Riesenkompliment machen, er hatte ein Gespür für das richtige Tempo, lief auch bis Kilometer 33 mit, nur 30 Kilometer sollten es eigentlich sein.
Kannten Sie ihn vorher überhaupt?
Jan Fitschen:
Nein, da habe ich mich auf den Veranstalter verlassen. Und das war richtig. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass James Barmasai, der von Volker Wagner betreut wird, in 2:16 Stunden einen heißen und schwierigen Belgrad-Marathon gewonnen hat, auf der Höhe von Nairobi 2:15:25 Stunden gelaufen ist und also ein Niveau von 2:10 hat.
Mit Wolfram Müller (Erfurter LAC) hatten sie noch einen zweiten „Hasen“...
Jan Fitschen:
Ja, er hat sich eben im Ziel bei mir entschuldigt, dass er mir nicht weiter als 10 Kilometer helfen konnte. Er ist zweimal auf Straßenbahnschienen gestolpert, hat sich die Wade verletzt und musste aufhören. Dabei hatte er geplant, bis zum Halbmarathon zu laufen.
Schauen Sie ständig auf die Uhr während des Rennens?
Jan Fitschen:
Jeden Kilometer schaffe ich nicht, weil ich auch manchmal träume und die Schilder verpasse. Aber das ständige Mitrechnen ist wichtig, bei solch einer langen Strecke. Wenn solch ein tolles Wetter ist wie jetzt, dann fühlt man sich einfach gut und überzieht schnell. Aber es gibt den schönen Spruch: Am Anfang gewinnst du Sekunden, und am Ende verlierst du Minuten.
Sie verloren zwischendurch einige Sekunden mit einer Toilettenpause...
Jan Fitschen:
Ich hatte das schon nach zehn Kilometern vor, es aber hinausgezögert. Dann legte ich aber doch die Pause ein, um entspannt weiter laufen zu können. So zwanzig Sekunden habe ich da wohl verloren.
Wann wussten Sie, dass es ein guter Tag werden würde?
Jan Fitschen:
Ich hatte es immer gehofft. Beim Marathon kann aber einfach alles passieren, bis zum letzten Kilometer. Da kann immer noch der Hammer kommen. Und es war erst mein vierter Marathonversuch, ich habe schon alles gehabt, vom Hitzemarathon bis zum Muskelbündelriss bei Kilometer 5. Ich habe richtig schon auf die Klappe bekommen, wie man auf gut Deutsch sagt. Aber diesmal war ich mir bei 30 Kilometern sicher, dass es passt. Und als ich auf der Straße Unter den Linden war und das Brandenburger Tor vor mir sah, kannte meine Euphorie keine Grenzen.
Und die Zuschauer?
Jan Fitschen:
Die gaben mir den letzten Schub. Ich glaube, auf der ganzen Strecke gab es keine zwanzig Meter, auf denen nicht mein Name gerufen wurde. Man merkt dann einfach, dass mich viele kennen, auch von meiner Internetseite, auf der ich doch viel von mir preisgebe. Und dann kann man einfach nicht langsam laufen.
Wie sind Ihre Pläne für 2013?
Jan Fitschen:
Im Frühjahr werde ich wohl wieder einen Marathon laufen, aber konkret ist das noch nicht geplant. Das Hauptziel wird die WM in Moskau sein. Leider hat es jetzt noch nicht mit der Einzelnorm geklappt. Aber es gibt die Chance, dass wir eine Mannschaft zum Weltcup schicken. Ich hoffe, dass die anderen Jungs auch noch gut laufen werden und wir es schaffen. Ich finde es einfach immer toll, in der Nationalmannschaft zu laufen. Doch das ist Zukunft. Jetzt bin ich einfach erstmal happy, weil ich weiß und die Sicherheit habe: ich kann Marathon laufen. Da gab es ja auch die eine oder andere Diskussion in der Öffentlichkeit, ob ich den Übergang von der Bahn auf die Straße schaffe. Nicht jeder bekommt das hin. Ich denke aber nach diesem Lauf, dass ich noch einige Jahre im Marathon mitmischen kann. Er ist einfach meine große Leidenschaft.