Maria Mutola gibt wieder Vollgas
Die Bahn kennt sie wie ihre Westentasche. Auf dem Hayward Field von Eugene, wo das "Prefontaine Classic", eins der traditionsreichsten Meetings in den USA, ausgetragen wird, hat Maria Mutola unzählige Schweißtropfen gelassen. "Hier habe ich trainiert, als ich in den USA studiert habe", schaute sie zurück in die Vergangenheit, "deshalb bin ich immer wieder gern in Eugene." Am heutigen Samstag ist die Power-Frau eine der Hauptattraktionen beim "Prefontaine Classic", wenn sie über 800 Meter von den beiden Amerikanerinnen Jearl Miles-Clark und Regina Jacobs gejagt wird.
Maria Mutola steigt in die Freiluftsaison ein (Foto: Chai)
Sie ist ein Kraftpaket. Sie trommelt mit ihren Beinen so rigoros um die Kunststoffpiste, dass der rote Belag unter ihren Füßen wegzutauchen scheint. Und Maria de Lourdes Mutola weiß, dass in jedem Schritt, der sie vorwärts bringt, die Energie eines Turboladers steckt. Fußball hat sie früher gespielt. "Mein Traum war früher immer, in einer Profi-Mannschaft mein Geld zu verdienen", erklärte die Mittelstrecklerin aus Mosambik, die mit 1:55,19 Minuten (Zürich 1994) auf Platz sieben in der ewigen Weltbestenliste geführt wird, "doch dann bin ich bei der Leichtathletik gelandet." Was für eine glückliche Fügung des Schicksals, denn auf der klassischen Distanz über 800 Meter sammelt sie die Titel wie andere Leute Briefmarken.
Voller Pläne
Aber sie steckt noch immer voller Pläne. Heute feiert Maria Mutola ihren Einstand in die Freiluftsaison. "Das wird ein guter Wettkampf", verkündete sie im Vorfeld, "das ist allerdings mein erstes Rennen. Deshalb weiß ich nicht, ob es auch eine schnelle Zeit geben wird. Doch wenn ich eine 1:57 oder 1:58 laufen würde, dann wäre ich sehr zufrieden."
An Konkurrenz fehlt's nicht. Jearl Miles-Clark, Ex-Weltmeisterin über 400 Meter und US-Rekordhalterin über 800 Meter (1:56,40 min), ist genauso am Start wie Regina Jacobs, die amtierende Hallenweltmeisterin über 1.500 Meter, die im Februar als erste Frau überhaupt die Vier-Minuten-Marke in der Halle unterboten hat.
Ein Weltrekord würde sich auch in der stattlichen Sammlung von Maria Mutola gut machen! Was hat sie nicht schon alles erlebt in ihrer unvergleichlichen Karriere. Olympiasiegerin war sie, Weltmeisterin sowohl fünf Mal in der Halle als auch zwei Mal im Freien. Maria Mutola, die Unersättliche, strotzt vor Ehrgeiz. Verlieren? Kann sie nicht. Gewinnen? Will sie so oft wie nur möglich.
Ganz besondere Saison
"Die Saison ist für Maria eine ganz Besondere", betonte Margo Jennings, ihre Trainerin, die weiterhin in Eugene wohnt, "denn in Paris will sie ihren WM-Titel verteidigen." Ihre Erfolgsserie der vergangenen Monate ist höchst eindrucksvoll! Gold bei den Commonwealth-Games in Manchester, Gold auch bei den Africa-Games und noch mal Gold bei der Hallen-WM in Birmingham sind eine prächtige Ausbeute.
Maria Mutola will mehr. Immer mehr. Sie ist ein Kraftwerk auf zwei Beinen. Sie misst 1,62 Meter und bringt 61 Kilo auf die Waage. Einmal in Fahrt gekommen, gleicht sie einem perpetuum mobile, das kaum mehr zu bremsen ist! Nichts, so scheint es, vermag sie aufzuhalten.
In Mosambik wird sie wie eine Nationalheldin verehrt. Maria Mutola ist ein Star, aber einer, der bei allen Erfolgen schön auf dem Teppich geblieben ist. Sie hebt nicht ab und fällt nicht auf. "Nach wie vor habe ich eine enge Beziehung zu meiner Heimat", so Maria Mutola, "auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dort wieder zu leben."
Verbunden mit der Heimat
Wann immer sie die Chance hat, besucht sie ihre Eltern, die in Maputo, der Hauptstadt von Mozambik, leben. "Sonst sehen sie mich ja bloß im Fernsehen", erzählte sie mit einem strahlenden Lächeln, "darum muss ich sie halt häufiger besuchen." Dann nimmt sie den Flieger und begibt sich zurück zu ihren Wurzeln.
In Maputo ist sie aufgewachsen gemeinsam mit ihren fünf Geschwistern. José Craverinha, ein bekannter Dichter und Teilzeit-Coach, entdeckte Maria Mutola einst auf den Straßen von Maputo, wo sie mit den Jungs Fußball spielte. Er und sein Sohn redeten damals unaufhörlich auf sie ein, bis die kleine Maria ein wenig traurig von der Lederkugel abließ und sich dem schnellen Laufen widmete.
Zur Leichtathletik geredet
"Ohne ihr Reden wäre ich wohl in irgendeinem portugiesischen Fußballteam gelandet", kramte sie in ihren Erinnerungen, "mit vierzehn bin ich dann in die USA geflogen." Die Eltern wollten anfangs nicht, dass ihr jüngstes Kind, das "Nesthäkchen" sozusagen, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten studiert. Doch ein Stipendium des Olympischen Solidarität-Komitees garantierte ihr eine grundsolide Ausbildung und obendrein hervorragende Trainingsmöglichkeiten.
Die Umstellung war zunächst groß. Riesengroß. "Ich konnte kein Wort Englisch und fühlte mich völlig einsam." Doch Maria Mutola setzte sich durch, studierte Englisch in Eugene im Bundesstaat Oregon und wird seit nunmehr dreizehn Jahren auf der Laufbahn von Margo Jennings betreut. Mittlerweile hat sie ihre Zelte in Südafrika aufgeschlagen. Wegen der Höhenlage. Mit Margo Jennings telefoniert sie täglich. Oder sie schicken sich E-Mails zu.
Olympia 2004 noch das Ziel
Maria Mutola, die heute in Eugene schon zum zwölften Mal beim "Prefontaine Classic" mitmacht, ist längst eine dicke Nummer im Leichtathletik-Zirkus. Risikolos kann man sie verpflichten, denn die nimmermüde Tempobolzerin gibt stets ihr Maximum. Halbe Sachen sind nicht ihr Ding! Maria Mutola geht aufs Ganze, sie will gewinnen, immer und immer wieder. Niederlagen sind ihr ein Greuel und Siege das pure Vergnügen.
Aber langsam kommt sie in ein Alter, in dem man sich Gedanken macht über das Ende der Karriere. Sagte sie zumindest. "Ich bin im Oktober 30 geworden", verriet Maria Mutola, "habe aber noch ein hohes Ziel vor Augen: die Olympischen Spiele in Athen 2004." Bis dahin will sie weiter machen, was ihre Gegnerinnen gar nicht gern hören werden.
Ulrich Hörnemann