| Interview der Woche

Jennifer Oeser: „Comeback, auf dem sich aufbauen lässt“

Kurz nach dem 800-Meter-Lauf sagte Jennifer Oeser (TSV Bayer 04 Leverkusen) am Mikrofon des Stadionsprechers, dass ihr etwas gelungen sei, woran viele nicht geglaubt hätten: Die 31-Jährige hat am Sonntag beim Mehrkampf-Meeting in Ratingen nach langer Auszeit mit 6.306 Punkten das WM-Ticket für Peking gelöst. Im Interview erzählte die WM-Zweite von 2009 und WM-Dritte von 2011 mit Sohn Jakob auf dem Arm, was Sie sich in Zukunft noch alles zutraut.
Pamela Ruprecht

Jennifer Oeser, Peking (China; 22. bis 30. August) stand als Ziel in Ihrem Comeback-Jahr gar nicht ganz oben auf Ihrer Saisonplanung. Nun fahren Sie aber wohl doch gerne zur WM…

Jennifer Oeser:

Das war in diesem Jahr nicht die Priorität, weil die nationale Konkurrenz einfach unheimlich stark ist. Ich habe mir schon die Norm zugetraut, aber mir war klar, dass nur die Norm mit 6.150 Punkten allein nicht ausreichen würde. Man konnte natürlich auch nicht wissen, wer diese Saison alles ausfällt. Ich wollte dieses Jahr national wieder anknüpfen, um mir eine gute Ausgangsposition für nächstes Jahr zu verschaffen. Ich habe immer gesagt: Wenn es mit der WM klappt, nehme ich das mit und freue mich. Aber wenn es nicht geklappt hätte, wäre es fürs Erste auch okay gewesen. Aber jetzt freue ich mich, und ein Comeback mit 6.306 Punkten - da lässt sich drauf aufbauen.

Ihre Konkurrentin um das Ticket, Lilli Schwarzkopf, ist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zum abschließenden 800-Meter-Lauf angetreten. Sie hätten mit sieben Sekunden Vorsprung ohnehin ein gutes Polster gehabt. Haben Sie dann gar nicht mehr alles gegeben auf den zwei Runden (2:15,63 min)?

Jennifer Oeser:

Das kann ich nicht behaupten (lacht)! Klar steht man am Start und weiß: Okay ich muss hier nur durchlaufen, dann bin ich dabei. Ich hatte schon andere Situationen, in denen ich schnell laufen musste, für Medaillen etwa. Es ist immer eine Kopfsache. Aber ich kann jetzt nicht sagen, dass ich locker gelaufen bin und noch drei Sekunden schneller hätte sein können. Es ist noch ungewohnt. Meine letzten 800-Meter-Rennen liegen drei Jahre zurück. In Ulm bin ich eine ähnliche Zeit gelaufen. Ich brauche jetzt einfach Läufe und muss wieder lernen, mich zu quälen.

Im Vergleich zu Ihrem ersten Siebenkampf Mitte Mai in Ulm (6.145 Pkt) haben Sie sich in Ratingen gesteigert. Kommen Sie nach der langen Pause nun immer besser rein?

Jennifer Oeser:

Das hoffe ich. Ich habe schon nach Ulm gesagt, dass mir einfach die Wettkampfpraxis fehlt. Zwischen Ulm und Ratingen habe ich keine Wettkämpfe gemacht. Ich denke, dass wir die Deutschen Meisterschaften in Nürnberg einschieben, um Wettkampfpraxis zu sammeln. Die technischen Disziplinen haben sehr, sehr gut geklappt. Eigentlich hatte ich im Vergleich zu Ulm gehofft, in den Sprintdisziplinen noch etwas draufzupacken. Das hat hier jetzt nicht geklappt. Gut, bei den 200 Metern muss man den Gegenwind bedenken. In diesen Disziplinen hoffe ich, im Hinblick auf Peking noch etwas draufzulegen und vor allem im Winter dann ordentlich daran zu arbeiten für nächstes Jahr.

Wie wirkt sich die veränderte Lebenssituation mit Ihrem kleinen Sohn auf Ihr Sportler-Dasein aus?

Jennifer Oeser:

Auf dem Platz bin ich wieder voll Sportlerin. Klar, zuhause ist es anders. Wenn ich nach einer Tempolauf-Einheit nach Hause komme, möchte ich auch noch Zeit mit ihm genießen. Er fordert inzwischen immer mehr Aufmerksamkeit und will beschäftigt werden, da ist nichts mit auf die Couch legen und nichts mehr machen. Weniger Schlaf. Aber es gibt trotzdem unheimlich viel Kraft und wenn er einen anlacht, dann ist auch jeglicher Tempolauf vergessen. Noch klappt alles sehr, sehr gut und es gibt auch positive Energie für den Sport.

Hat sich auch Ihre Sicht auf den Sport gewandelt?

Jennifer Oeser:

Das ist ein Reifeprozess, je älter man wird. Die Priorität hat sich durch meinen Sohn natürlich verändert, sodass der Sport nicht mehr der absolute Mittelpunkt im Leben ist. Auch nach meiner langen Leidens- und Verletzungszeit bin ich unheimlich dankbar, dass ich das nochmal so erleben darf. Gerade hier in Ratingen nochmal am Start zu sein mit guten Ergebnissen. Ich genieße es, nochmal zurückzukommen. Vielleicht habe ich jetzt ein bisschen mehr Lockerheit. Auch das nächste Jahr will ich auskosten, egal, was dabei herauskommt.

Wie geht es Ihren alten Verletzungen?

Jennifer Oeser:

Wehwehchen hat man immer, man wird nicht jünger und so ein Siebenkampf ist schon strapaziös. Die Füße sind und bleiben ein bisschen die Problemstelle und müssen gepflegt werden. Da muss auch mal ein Gang zurückgeschaltet werden. Aber bis jetzt konnte ich gut trainieren und gebe Acht auf Anzeichen, was ich in der Vergangenheit vielleicht nicht gemacht habe.

Sie trainieren seit Ende letzten Jahres bei Wolfgang Kühne in Halle und leben in Leipzig. Sie sind mit Michael Schrader, Rico Freimuth und Cindy Rolder eine große Mehrkampf-Truppe…

Jennifer Oeser:

Wir haben schon gesagt, dass es ein Traum wäre, wenn wir alle nach Peking fahren. In Ratingen war ich die Einzige, die nachziehen musste. Dass das geklappt hat, ist super. Es macht unheimlich viel Spaß und wir animieren uns gegenseitig. Gerade mit den beiden Jungs ist es eine lockere, lustige Atmosphäre. Dazu ist es spannend in einem hohen Alter wie meinem (lacht) bei Wolfgang Kühne noch einmal neue Reize zu setzen.

Wie sehen Ihre Ziele für die weitere Saison aus?

Jennifer Oeser:

Ich habe mich damit noch gar nicht beschäftigt (lacht). Ich weiß noch gar nicht, wann es in Peking losgeht. Genaue Ziele gibt es noch nicht. Ich will einen schönen Wettkampf machen, eine gute Leistung abrufen. Dieses Jahr geht es noch nicht um Medaillen oder bestimmte Punktezahlen. Ich freue mich unheimlich, dabei zu sein. Ich will mich international reinfuchsen und mir eine gute Ausgangssituation für nächstes Jahr verschaffen.

Denken Sie, dass Sie im Olympia-Jahr 2016 noch einmal an Ihre ganz starken Leistungen anknüpfen können? Ihre Bestleistung steht bei 6.683 Punkten, als Sie 2010 die EM-Bronzemedaille in Barcelona (Spanien) gewannen.

Jennifer Oeser:

Schwer zu sagen. Hätten Sie mich im Januar, Februar gefragt, hätte ich gesagt niemals, da habe ich mit elf Metern im Kugelstoßen gekämpft. Jetzt habe ich in Ratingen im Kugelstoßen und Hochsprung meinen zweitbesten Wettkampf in meinem Leben gemacht. Es fehlt schon noch an Schnelligkeit im Sprintbereich. Ich will noch keine Prognosen abgeben, mein Körper muss halten. Es kann sein, dass ich wieder an diese Punktezahl anknüpfen kann. Ich weiß es nicht.

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