Jennifer Oesers süßes Spiel mit den Bonbon-Farben
Als Siebenkämpferin Jennifer Oeser bei der U23-Europameisterschaft Mitte Juli in Bydgoszcz (Polen) das Ziel des abschließenden 800-Meter-Laufes erreichte, passierte um sie herum etwas, was die knapp 20-Jährige erst gar nicht fassen konnte. Der Trainer ihrer griechischen Konkurrentin Vasiliki Delinikola, die nach sechs Disziplinen in Führung gelegen hatte, jubelte, obwohl seine Athletin weit nach Oeser ins Ziel gekommen war. Zugleich war die Deutsche selbst "nur" als Vierte über die Linie gelaufen, vor ihr fast alles Konkurrentinnen, die ebenfalls noch eine Medaillenchance gehabt hatten. Und weil dem so war, wusste keiner, wie das Endergebnis tatsächlich aussah. Denn auch die Anzeigetafel blieb leer.
Siebenkämpferin Jennifer Oeser. (Foto: Klaue)
Erst nach einer Weile tat sich was und das trieb Jennifer Oeser die Tränen in die Augen. Ihr Name leuchtete zuallererst auf: Sie war mit der neuen Bestleistung von 5901 Punkten U23-Europameisterin geworden. Unverhofft und beinahe ungewollt. Denn vor dem 800-Meter-Lauf hatte Oeser, die aus Brunsbüttel kommt und direkt neben dem Nord-Ostsee-Kanal groß geworden ist, auf Rang drei gelegen und eigentlich nur ein Ziel: Die Medaille nicht mehr herzugeben. Doch an Gold dachte sie da noch nicht.
Auf der Suche nach den Flaggen
Nach der Ergebnisverkündung ging dann alles schnell. "Ein bisschen zu schnell", wie Jennifer Oeser im Nachhinein findet. Sie wurde sofort zur Siegerehrung geführt, musste sich sogar noch rasch einen passenden Trainingsanzug mit gut sichtbarem Sponsorenlogo borgen. Und dann, als die Nationalhymne für sie spielte, suchte sie mit den beiden anderen Medaillengewinnerinnen vergeblich nach den Nationalflaggen. "Es war kein Wind. Deshalb und wegen all der Hektik haben wir sie leider nicht gefunden."
Heute, knapp vier Monate nach der U23-EM und dem überraschenden Titelgewinn, wohnt Jennifer Oeser vorübergehend in Cottbus, absolviert dort den ersten Teil ihrer Ausbildung zur Polizeimeisterin beim Bundesgrenzschutz und ist sich sicher: "Das ist genau das richtige für mich." Denn neben einer Berufsausbildung gewährt ihr der Bund auch viel Zeit zum Training. Alles ist optimal. Sogar zwei Übungseinheiten am Tag sind möglich. Bis Ende Januar muss Oeser noch in Cottbus bleiben, dann geht es zurück nach Brunsbüttel, bevor im Herbst nächsten Jahres erneut ein Ausbildungsabschnitt in Cottbus ansteht. Im Frühjahr 2007 wird sie alles fertig haben.
Im Jahr 2003 ging es nur nach vorn
Sportlich will sie bis dahin auch einiges auf die Beine stellen. Die Titelverteidigung im Sommer 2005 bei der U23-EM in Erfurt ist ein Ziel, allerdings ein eher fernes. Die Verbesserung der persönlichen Bestleistung auf über 6000 Punkte eine näheres. Und so ein bisschen liebäugelt sie auch mit der Qualifikation für Olympia.
Wenn es so läuft wie in diesem Jahr, könnte es durchaus klappen, denn kontinuierlich steigerte sich die Junioren-WM-Achte des Jahres 2002, stellte zuerst bei den tschechischen Meisterschaften in Prag, wo sie als Gast starten durfte, eine neue Bestleistung auf (5723 Pkt.) und durfte daraufhin beim Europacup mitmachen. Dort verpasste sie ihren Hausrekord eigentlich nur, weil sie sich auf den abschließenden 800 Metern für die zehn Tage später anstehende U23-EM schonte.
Bayer-Werk Brunsbüttel vermittelte Kontakt nach Leverkusen
Schon seit ihrem fünften Lebensjahr betreibt Jennifer Oeser Leichtathletik. "Manchmal frage ich mich selbst, wieso ich solange dabei geblieben bin." Doch eine Antwort hat die Leverkusenerin noch nicht gefunden. Vielleicht liegt es ja daran, dass sie erst spät, nämlich 1999, begann, die Sportart leistungsmäßig zu betreiben. Damals wechselte sie in die Trainingsgruppe von Peter Gennun, der sie auch heute noch betreut. Gennun brachte Oeser auf die Erfolgsspur.
Zum TSV Bayer 04 Leverkusen kam sie über ihren Vater. Der fragte im Bayer-Werk Brunsbüttel an, wie es denn mit einer Förderung für die talentierte Tochter aussehe. Dort verwies man ihn an den Leverkusener Verein, für den Oeser seit Herbst 2000 aktiv ist.
Die Farben der Bonbons spielen eine Rolle
Seit dieser Zeit hat die Mehrkämpferin auch ein besonderes Ritual in der Wettkampfvorbereitung: "Ich lutsche vor wichtigen Wettkämpfen Hochsprung-Bonbons", erzählt sie über ihre süße Leidenschaft. "Das sind einfache Vitamin-Bonbons von der Autobahnraststätte." Vor einigen Jahren kaufte sie diese auf der Fahrt zu einem Hochsprung-Wettbewerb und kann seitdem nicht mehr ohne sie. Genau vier davon lässt Jennifer Oeser am Tag vor wichtigen sportlichen Entscheidungen im Mund zergehen. "Gelb, orange, rot und grün müssen sie sein." Fehlt eine Farbe in der Tüte, muss eine neue Packung ran. Denn mit den richtig farbigen Hochsprung-Bonbons im Vorfeld eines Wettkampfes hat die Leverkusenerin noch nie schlecht ausgesehen. Die U23-EM in Bydgoszcz ist ein gutes Beispiel dafür.