Jens Werrmann: „Es grenzt an ein Wunder“
Fast hätten die Ärzte ihm die Achillessehne entfernen müssen. „Das wär’s dann gewesen“, sagt Hürdenläufer Jens Werrmann (LAZ Leipzig). War es zum Glück nicht. Hinter dem 27-Jährigen liegt eine dreijährige Verletzten-Odyssee. Jetzt ist der Sechste der Europameisterschaft 2006 auf dem Weg zu seinem Comeback. Im Interview spricht er über vier Operationen, blutende Fersen und seinen Sohn Luca.

Jens Werrmann:
Stimmt, das war 2010. Und da dachte ich eigentlich, dass 2010 ein richtig gutes Jahr wird für mich. Ich hatte als erster Deutscher die Norm für die EM in Barcelona, war zwischenzeitlich bester Europäer. Und ich dachte, jetzt geht’s endlich richtig ab. War aber leider nicht so.
Im Gegenteil muss man ja leider sagen. Sie fingen sich eine Verletzung in der Achillessehne und die Saison war dahin. Das war vor drei Jahren. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Jens Werrmann:
Wollen Sie die Kurzfassung? Die geht so: Nachdem ich mit meinen Ärzten alles im konservativen Bereich versucht hatte, wurde ich im Mai 2011 operiert. Dabei wurde eine Entzündung an der Sehne entfernt und der Fersenknochen verkleinert, damit die Sehne mehr Platz hat. Alles war gut, ich konnte sogar wieder trainieren, aber im November kamen die Schmerzen erneut. Die Ärzte stellten Verwachsungen an der Hautnarbe fest, die Narbe musste also in einer Operation wieder geöffnet und gesäubert werden. Zwei Wochen später wurden bei Dr. Graff in Essen die Fäden gezogen und alles sah gut aus. Auf der Rückreise von Essen nach Kaiserslautern ist die Narbe dann allerdings aufgeplatzt.
Und damit stand die dritte Operation an?
Jens Werrmann:
Leider ja. Ging ja nicht anders. Danach dachte ich wirklich, es geht bergauf. Bis zum Januar 2012. Da bin ich morgens mit Fieber und geschwollenem Fuß aufgewacht und habe mich gefühlt wie der kränkste Mensch auf der Welt. Ich habe dann Dr. Graff angerufen. Er meinte, ‚das klingt nach einer Thrombose, kommen Sie sofort her‘. Meine Eltern haben mich zu ihm nach Essen gefahren. Dort hat der Arzt festgestellt, das ist keine Thrombose und mich in die Uniklinik geschickt. Und da wurde ich direkt wieder operiert.
Die vierte Operation in nicht mal einem Jahr. Wie haben Sie das ausgehalten?
Jens Werrmann:
Ich musste das aushalten, denn gerade die vierte OP war wichtig. Ich hatte einen bakteriellen Infekt in der Narbe, der Entzündungsherd musste großflächig entfernt werden. Die Ärzte haben mir nach der OP gesagt, wenn ich zwei Stunden später gekommen wäre, hätten Sie mir die Sehne entfernen müssen. Das wär’s dann gewesen.
Das klingt arg dramatisch. Wie sind Sie mit dieser Botschaft umgegangen?
Jens Werrmann:
Ich hatte großes Glück inmitten des ganzen Pechs, das muss man so sehen. Danach brauchte der Körper viel Ruhe, er musste sich ganz von alleine wieder regenerieren. An den Fuß durfte auch kein Physio mehr, auch wenn mir das, was die Beweglichkeit angeht, bestimmt geholfen hätte, aber ich durfte nichts mehr riskieren. In der Zeit war ich psychisch nicht so auf der Höhe, das können Sie sich sicher denken. Aber ich habe mir immer gesagt ‚hey, es war nicht dein eigenes Verschulden‘. Es ist einfach passiert.
Bitte sagen Sie mir, dass es in dieser dunklen Zeit auch irgendetwas Schönes in Ihrem Leben gab?
Jens Werrmann:
Zum Glück, ja, das gab es. Ich habe geheiratet und bin Vater geworden. Luca ist letztes Jahr am 27. Juni geboren. Der Kleine ist toll. Das private Glück war gerade in der Zeit unglaublich wichtig für mich.
Abseits der Familie sind Sie Profisportler. Wie groß sind in Situationen wie diesen die Zukunftsängste?
Jens Werrmann:
Hoch. Klar, die Zeit war extrem hart für mich. Aber ich habe enormen Rückhalt vom DLV bekommen. Durch eine Wildcard durfte ich im B-Kader bleiben und so meinen Job bei der Bundespolizei behalten. Jetzt bin ich wieder gesund und muss natürlich jetzt Leistung bringen. 2013 wird ein entscheidendes Jahr für mich, auch im Hinblick auf die Frage, ob ich weiterhin Profisport betreiben kann.
Was fühlen Sie heute, wenn Sie in Ihren Körper reinhören?
Jens Werrmann:
Heute fühle ich mich wieder gut. Ich bin wieder voll belastbar, die Narbe hält. Seit drei Wochen kann ich auch wieder in Spikes trainieren. Für mich grenzt es fast an ein Wunder, dass ich wieder acht Einheiten in der Woche trainieren kann. Mit den Leipziger Hürdenläufern bereiten ich mich jetzt knapp sechs Wochen in Orlando auf die Sommersaison vor.
Wie vermessen ist es, jetzt schon wieder nach Zielen zu fragen?
Jens Werrmann:
Naja, mein primäres Ziel ist es, jetzt endlich gesund zu bleiben. Das klingt so einfach, ist es nach meiner Geschichte aber nicht. Für den Mai sind die ersten Wettkämpfe angedacht, wo genau steht aber noch nicht fest. Das sind dann die ersten Wettkämpfe nach knapp drei Jahren.