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Jessica-Bianca Wessolly – Aus dem Windschatten auf die Überholspur

Viele junge, neue Gesichter haben bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg ihren ersten nationalen Titel bei den Erwachsenen geholt. Aber auch schon bekanntere Namen werden in der Serie auf leichtathletik.de diesmal vorgestellt, sogar ein Diamond League-Sieger. Heute starten wir mit Sprinterin Jessica-Bianca Wessolly (MTG Mannheim).
Jan-Henner Reitze

<link https: www.leichtathletik.de nationalmannschaft athletenportraets athlet suchergebnis>Jessica-Bianca Wessolly
MTG Mannheim

*11. Dezember 1996
Größe: 1,68 m
Gewicht: 56 Kilo

200 Meter

Bestleistung: 22,89 sec (2018)

Erfolge:

Deutscher Meisterin 2018

Wir starten mit einem Blick genau ein Jahr zurück. Denn schon das Jahr 2017 war für Jessica-Bianca Wessolly eine echte Erfolgsgeschichte: Rang fünf bei den Deutschen Meisterschaften in Erfurt mit Bestzeit von 23,26 Sekunden. Diese Zeit brachte zum Jahresabschluss Platz sieben in der DLV-Bestenliste. Innerhalb von zwei Jahren gelang eine Steigerung um mehr als anderthalb Sekunden. Aller Ehren wert. Daraus aber für 2018 das Ziel eines Starts bei der Heim-EM in Berlin als Ziel zu formulieren, lag dennoch in weiter Ferne, angesichts der starken Konkurrenz im Lager der Sprinterinnen im DLV. Andere waren noch deutlich schneller.

„Ich hatte mir für dieses Jahr die EM-Norm von 23,15 Sekunden zum Ziel gesetzt“, blickt die Mannheimerin zurück. „Allerdings wusste ich, dass viele Mädels diese Zeit rennen können und auf einem anderen Leistungsniveau sind. Für mich war die gefühlte Situation dadurch entspannter.“ Die Blicke und Erwartungen waren auf andere gerichtet.

Durchgestartet: U23-Titel folgt DM-Gold bei den „Großen“

So war es eher eine Randnotiz, als die 21-Jährige Ende Mai in Jena, gleich im ersten Rennen nach der Rückkehr aus dem Trainingslager in den USA, die Norm auf die Hundertstel erfüllte und diese Zeit unter anderem bei ihrem ersten Titelgewinn bei der U23-DM in Heibronn bestätigte.

Als Dritte der Meldeliste ging es zu den Deutschen Meisterschaften nach Nürnberg. „Dort hatte ich auch keinen Druck, weil alle wohl er mit einem Sieg von Titelverteidigerin Laura Müller oder Rebekka Haase gerechnet hätten“, erzählt die Sprinterin, die im Finale von Nürnberg ihr bisher größtes Meisterstück ablieferte. Im entscheidenden Moment gelang die nächste Steigerung, die erste Zeit unter 23 Sekunden (22,89 sec) und gleich nach dem U23-Titel auch der erste nationale Sieg bei den Erwachsenen. Außerdem war damit auch der Einzelstart bei der Heim-EM gesichert und das vor der Saison nicht für möglich gehaltene Ziel erreicht.

Saison im Fahrstuhl endet auf EM-Rang zwölf

Der Durchmarsch in die erweiterte internationale Spitze endete im Halbfinale der Heim-EM mit einer Zeit von 23,26 Sekunden und Rang zwölf. Etwas schade empfand die Aufsteigerin die Regelung, dass sie als eine der zwölf Jahresschnellsten Athletinnen in Europa keinen Vorlauf bestreiten musste. „Ein Rennen zum Reinkommen am Vormittag hätte mir geholfen. So war ich abends im Halbfinale nicht hundertprozentig da und auch von der riesen Atmosphäre etwas erdrückt, obwohl es dennoch ein riesen Erlebnis war“, berichtet die Deutsche Meisterin von ihrem ersten großen Einzelstart. Im Vorjahr hatte sie sich schon ins Staffel-Team der U23-EM gelaufen.

Internationale Erfahrung durfte die Lehramts-Studentin auch schon vorher bei der Premiere des „Athletics World Cup“ in London (Großbritannien) sammeln. Zum Saisonabschluss lief sie mit der DLV-Staffel beim Diamond League-Finale in Zürich (Schweiz) und dem ISTAF in Berlin ebenfalls vor großer Kulisse. „Die gesamte Saison war voll von tollen Erlebnissen“, fasst Jessica-Bianca Wessolly zusammen. „Davon will ich mehr.“

Strecken werden kürzer, Erfolg nimmt zu

Leichtathletik gehört schon immer zum Leben der gebürtigen Mannheimerin. „Meine Eltern wollten schon früh, dass mein Bruder und ich Sport machen. Mit der Leichtathletik bei der MTG Mannheim konnte man schon mit drei Jahren beginnen“, berichtet die EM-Halbfinalistin. Ihre „ersten Schritte auf der Bahn“ machte sie unter der Anleitung von Iris Manke-Reimers, der Frau ihres heutigen Trainers. In ihren Jugendjahren startete sie zwischenzeitlich für die DJK Käfertal-Waldhof und war in dieser Zeit vor allem über Strecken ab 400 Meter unterwegs. In den Jahren 2013 bis 2015 stand die damalige Nachwuchsathletin über die Stadionrunde jeweils im Finale der Jugend-DM, kam aber nicht in den Bereich des Podests. Einmal im Nationaltrikot zu starten, war ein Traum im Hinterkopf.

Dass die damalige Langsprinterin dann einen neuen Reiz suchte und zurück zur MTG Mannheim in die Trainingsgruppe von Michael Manke-Reimers wechselte, war der Schlüssel zu ihrem heutigen Erfolg. Ihr Trainer erkannte das Potential für die kürzeren Strecken und formte sie seit dem Jahr 2015 zur 200-Meter-Sprinterin.

In Sachen Kurzstrecke ist der Verein eine echte Hochburg, in den vergangenen sechs Jahren holten die Mannheimer Sprinterinnen immer den DM-Titel über 4x100 Meter, in diesem Jahr auch erstmals mit im Quartett: Jessica-Bianca Wessolly. „Zuerst war es Verena Sailer, die auch andere Sprinterinnen zum Verein gelockt hat“, erklärt die neue Meisterin diese Siegesserie. „Die Aufstellung der Staffel hat sich in den Jahren verändert. Das spricht für die gute Arbeit, die in Mannheim in Sachen Sprint geleistet wird.“

Konstante Zeiten unter 23 Sekunden das nächste Ziel

Nach einer ereignisreichen Saison mit vielen neuen Eindrücken und unverhofft vielen Einsätzen im Nationaltrikot, hat Jessica-Bianca Wessolly erst einmal eine wohlverdiente Trainingspause eingelegt. Wie für viele andere Athleten beginnt dann im Oktober so richtig die Vorbereitung auf die nächste Saison. Auch Starts in der Halle sind anvisiert.

Die ersten Meter des Rennens sollen verbessert werden. „Im Training klappt es technisch schon besser, im Wettkampf kann ich das noch nicht immer umsetzen“, erklärt die junge Athletin. „Beim Start in der Fertigposition merke ich zum Beispiel oft, dass ich mit dem Oberkörper zu weit nach hinten gehe und mir dadurch den Druck nehme.“ Die Bestzeiten in der Halle zu steigern (60 Meter: 7,63 sec; 200 Meter: 23,77 sec) ist für den Winter ein realistisches Ziel.

„Im Sommer möchte ich konstant unter 23 Sekunden laufen“, lautet die Devise für die kommende Freiluftsaison. Gelingt das, kann sie auch im Kampf um die WM-Tickets für Doha (Katar; 28. September bis 6. Oktober) mitmischen, auch wenn die noch bekannteren DLV-Athletinnen wie Gina Lückenkemper (TSV Bayer 04 Leverkusen) oder Lisa Mayer (Sprintteam Wetzlar) wieder über die 200 Meter unterwegs sind. „Mittlerweile habe auch ich mir einen Namen gemacht“, sagt Jessica-Bianca Wessolly.   

Video: <link video:18766>Jessica-Bianca Wessolly pulverisiert Bestzeit

Das sagt Bundestrainer Ronald Stein:

Schon im vergangenen Jahr hat Jessica einen Leistungssprung auf 23,26 Sekunden gemacht. In diesem Jahr folgte der nächste Schritt. Der Durchbruch in die deutsche Spitze über 200 Meter ist gelungen. Grundlage war, dass sie ohne Verletzungen und gesund durchtrainieren konnte, sowie bis zu den Deutschen Meisterschaften ein konstant hohes Niveau um die EM-Norm zeigte. Die 22,89 Sekunden waren dann der Kick nach oben im DM-Finale.

Bei internationalen Wettkämpfen hat sie wichtige Erfahrungen gesammelt, über 200 Meter wie auch in der Staffel. Sie hat sich dort sehr ordentlich präsentiert. Darauf lässt sich für die nächsten beiden Jahre mit WM und Olympischen Spielen aufbauen. Ihre Stärke ist die Schnelligkeitsausdauer. In der Start- und Beschleunigungsphase gibt es noch Potential. Auch über 100 Meter konnte sie sich verbessern, dennoch gibt es dort Reserven.

Ich denke die 22,89 Sekunden waren noch nicht ihr letztes Wort. Wenn Jessica weiter gesund durchkommt, kann sie in den nächsten beiden Jahren in einen Bereich von 22,50 bis 22,70 Sekunden laufen. Dieses Niveau ist gut für Halbfinals bei WM oder Olympia. In den vergangenen beiden Jahren hat sie gezeigt, wie positiv eine Entwicklung verlaufen kann. Wenn es weiter so gut läuft, ist ein weiterer Schub möglich.

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