
Standortbestimmung für Jessica Ennis-Hill in Ratingen
Der Flieger nach Düsseldorf landete mit Verspätung, so ging es direkt am Donnerstag vom Flugsteig zur Pressekonferenz. Für eine Athletin wie Jessica Ennis-Hill sind solche Verzögerungen kein Grund, um in Hektik zu verfallen. Ruhig und auf ihre sympathisch-offene Art stellte sich die 30-jährige Britin den Fragen. Schließlich ist die London-Olympiasiegerin und amtierende Weltmeisterin der Star des 20. Stadtwerke Ratingen Mehrkampf-Meetings an diesem Wochenende.
Eine bestimmte Punktzahl hat sie sich für das Ratingen-Debüt – es ist ihr erster Deutschland-Start seit dem WM-Triumph 2009 in Berlin – nicht vorgenommen. „Es geht darum, einen guten Test für die Olympischen Spiele in Rio (Brasilien; 12. bis 21. August) zu absolvieren. Danach werden wir sehen, in welchen Bereichen wir in den kommenden sechs Wochen noch arbeiten müssen“, sagte die Britin. Der Wettkampf in Ratingen kommt ihr gerade recht, da sie erst mit Verspätung in die Saison eingestiegen ist. Ihren Götzis-Start Ende Mai hatte sie noch wegen Achillessehnenproblemen absagen müssen.
Vor knapp zwei Wochen in Sheffield (Großbritannien) zeigte sie sich aber schon wieder in Top-Form: 13,10 Sekunden über 100 Meter Hürden, 23,42 Sekunden über 200 Meter, 14,02 Meter mit der Kugel und 45,02 Meter im Speerwurf sind exzellente Leistungsnachweise. Kann sie ähnliche Resultate in Ratingen anbieten, ist eine Punktzahl im Bereich von 6.500 plus X realistisch. Das haben in den 19 Auflagen zuvor mit der Wattenscheider Meetingrekordlerin Sabine Braun an der Spitze (6.787 Punkte bei der Ratingen-Premiere 1997) überhaupt nur vier Siebenkämpferinnen geschafft.
Erster Siebenkampf seit der WM
Allerdings sehen die Wetteraussichten fürs Wochenende mit regelmäßigen Schauern und Temperaturen um 20 Grad nicht gerade „rekordverdächtig“ aus. Trotzdem freut sich Jessica Ennis-Hill auf ihren ersten Siebenkampf seit der WM 2015 in Peking (China).
„Ich kenne Athletinnen wie Jennifer Oeser schon so lange“, sagte die Britin, die sich bei der WM 2009 vor der Leverkusenerin durchgesetzt hatte. Erstmals trafen die beiden vor zehn Jahren bei der EM in Göteborg (Schweden) aufeinander. Damals war die Leverkusenerin Vierte und lag vier Ränge vor der späteren Olympiasiegerin. Lilli Schwarzkopf gewann in Göteborg Bronze, sechs Jahre später bei Olympia in London (Großbritannien) sogar Silber hinter der Britin. Auch die Ulmerin ist in Ratingen dabei und kämpft um ein Olympia-Ticket.
Während es für die deutschen Top-Mehrkämpferinnen in Ratingen um die Normen für Rio geht und eine Top-Leistung her muss, geht aus den Worten der Olympiasiegerin hervor, dass Ratingen für sie nur eine Zwischenstation ist. Wie sollte es auch anders sein: Schließlich hat Jessica Ennis-Hill nach ihrem Olympiatriumph am „Super Saturday“ 2012 in London – am selben Tag gewannen Mo Farah über 10.000 Meter und Weitspringer Greg Rutherford ebenfalls Olympia-Gold für Großbritannien – ganze zwei Siebenkämpfe absolviert. 2013 warf sie eine Verletzung aus der Bahn, im Juli 2014 kam Sohn Reggie zur Welt. Nur 13 Monate später wurde sie in Peking Weltmeisterin.
Nichts dem Zufall überlassen
Ehemann Andy und Sohn Reggie sind in Ratingen nicht mit dabei. Dafür natürlich ihr Trainer Toni Minichiello, der von einem Kamerateam der BBC begleitet wird, sowie ihr Physiotherapeut und ihr Biomechaniker. Die Olympiasiegerin, die in London mit 6.955 Punkten Gold holte, überlässt auf dem Weg nach Rio nichts dem Zufall und baut auf Unterstützung in allen Bereichen. Schließlich könnten die Spiele ihr letzter großer Auftritt auf internationaler Bühne werden. Selbst die Heim-WM 2017 in „ihrem“ Londoner Olympiastadion lockt sie nicht vollends.
„Ich werde nach Rio entscheiden, ob ich noch ein Jahr weitermache oder nicht“, sagte Jessica Ennis-Hill am Donnerstag. Damit scheint klar: Das Mehrkampf-Meeting in Ratingen ist die letzte Chance für alle Leichtathletik-Fans, die beste Siebenkämpferin der Gegenwart noch einmal in Deutschland zu sehen.
STADTWERKE RATINGEN MEHRKAMPF-MEETING 2016