Judith Ritz lässt jetzt die Kufen quietschen
Von der Leichtathletik zum Bobsport hat es vor Hürdensprinterin Judith Ritz schon einige gezogen. Zuletzt tauschte der Leipziger Thomas Blaschek den Hürdenwald gegen den Eiskanal. Auch andere wie Sprinter Kevin Kuske, Dreispringerin Nicole Herschmann, Diskuswerferin Romy Logsch oder Hürdensprinterin Berit Wiacker wechselten zum Bobsport. Doch eines unterscheidet Judith Ritz von ihnen: Sie will nicht nur als Anschieberin für Tempo sorgen, sondern als Pilotin selbst die Lenkseile in die Hand nehmen.

Dass sie selbst einmal einen Schlitten mit über 100 Stundenkilometern eine Eisbahn hinunter lenken würde, daran hatte die 27-Jährige vor gut zwei Jahren selbst noch nicht gedacht. In der Vorbereitung auf die Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking hatte sie - damals noch als Hürdensprinterin - immer wieder mit starken Ischias-Problemen zu kämpfen. Nach einem Comeback-Versuch 2009 in der Hallensaison riet ihr ihr Arzt, die Probleme erst einmal auszukurieren. „Man bekommt ja immer wieder mit, dass andere Leichtathleten zum Bobsport wechseln. Da habe ich natürlich auch darüber nachgedacht“, erzählt Judith Ritz. „Aber ich dachte immer, mit meinen 63 Kilo sei ich zu schmächtig.“
Vor einem Jahr erstmals im Bob
Bobpilotin Christiane Wildgruber - selbst kein Schwergewicht - war es letztlich, die Judith Ritz 2009 beim Pfingstsportfest in München beobachtete und sie danach anschrieb, ob sie sich nicht einen Wechsel zum Bobsport vorstellen könne. Bereits im August fanden die beiden zusammen, Ende Oktober, vor ziemlich genau einem Jahr, saß Judith Ritz erstmals im Bob.
Gar keine große Überzeugungsarbeit musste sie bei ihrem Wechsel bei Trainer Ingo Seibert leisten. „Er war sofort begeistert. Er hat sich fast noch geärgert, dass er nicht früher gemerkt hat, dass es genau mein Ding wäre“, erzählt Judith Ritz. Schlucken musste der Coach erst, als er im vergangenen Dezember eröffnet bekam, dass sie nun auch als Pilotin selbst das Steuer in die Hand nehmen will. Auch heute betreut er die ehemalige Deutsche Hallenmeisterin über 60 Meter Hürden in ihrem Athletiktraining, während Markus Tempel mit ihr die Bob-Starts übt.
"Die Hosen voll"
Nachdem sie im letzten Winter als Anschieberin alle deutschen Bahnen und die im österreichischen Innsbruck kennenlernte, stand im Sommer vor allem Starttraining auf dem Programm. „Als ich bei meiner ersten eigenen Fahrt angeschoben wurde und in den Kanal gerutscht bin, hatte ich ganz schön die Hosen voll“, erinnert sich Judith Ritz lachend an ihre erste Pilotinnen-Fahrt im Februar dieses Jahres in Innsbruck. Zuvor war ihr die Bahn genau erklärt worden, „und ich hatte tausend Fragen gestellt. Was mache ich, wenn. Wie reagiere ich, wenn“, erzählt sie. „Ich war am Anfang vor allem froh, dass ich in einem Monobob unterwegs war und keine Verantwortung für andere hatte.“
Das hat sich mittlerweile geändert. Mittlerweile hat sie mehrere Anschieberinnen, unter ihnen Evelyn Dankert und die Sprinterin Susi Zimanyi. Mit ihr stand Judith Ritz am vergangenen Samstag in Oberhof am Start, als die schnellsten Starterinnen unter den deutschen Bobfahrerinnen ermittelt wurden. Schneller als Judith Ritz war dabei nur Janine Tischer, die zwei Hundertstelsekunden flotter war. Hinter sich ließ Judith Ritz aber beispielsweise die zweimalige Vize-Weltmeisterin Cathleen Martini.
Erfahrungen sammeln als Spurbob
Bevor es dann womöglich aber irgendwann im Europa- oder sogar Weltcup die Bahn hinunter geht, steht vor allem Bobschulung auf dem Programm: Material- und Schlittenkunde sowie fahren, fahren und fahren. Am 21. November könnte es dann zum ersten Mal vor großem Publikum ernst werden. Beim Europacup in Innsbruck kann sie als „Spurbob“ Erfahrung sammeln. Wie beim Skispringen gehen auch beim Bobfahren vor den Europacup-Teilnehmern zunächst einige Bobs außer Konkurrenz in die Bahn, die die Bedingungen testen.
Erstmals richtige Wettkampferfahrung kann Judith Ritz dann im Januar sammeln. Während des Europacups in St. Moritz (Schweiz) befindet sich das deutsche Nachwuchsteam zur Vorbereitung auf die Junioren-WM in den USA, so dass der Wettkampf für Piloten freigegeben wurde, die dort auf eigene Kosten an den Start gehen. Diese Chance will sich Judith Ritz nicht entgehen lassen.
„Im ersten Jahr geht es vor allem darum, möglichst viele Bahnen kennenzulernen“, weiß sie. Im zweiten Jahr will sie dann richtig angreifen, und auch die Fernziele stehen schon: „Ich will mich im Europacup beweisen und dann Richtung Weltcup und Olympische Spiele 2014 schauen.“ Treffen würde sie dort sicherlich auch einige andere Leichtathleten, die den Weg zum Bobsport eingeschlagen haben. Aber eines unterscheidet Judith Ritz von ihnen - sie sitzt vorn!
Als Anschieberin sammelte sie erste Erfahrungen (Foto: privat)