Jürgen Mallow – Vom Beobachter zum Lenker
Wer ist das denn? So fragten sich fast alle aktuellen deutschen Spitzenathleten, als Mitte Oktober im deutschen Blätterwald eine Kurzmeldung erschien. Jürgen Mallow erhält als einer von drei neuen Bundestrainern im Deutschen Leichtathletik-Verband das Aufgabengebiet Leistungsförderung.
Jürgen Mallow stellt sich der Herausforderung im DLV (Foto: Middel)
37 meist noch recht junge Athletinnen und Athleten aus dem 22 (Medaillenperspektive) und 34 Sportler (Finalperspektive) großen "Top-Team-Kader Peking 2008" bekamen von Sonntag bis Mittwoch eine erste Antwort. Der Leitende Bundestrainer, wie er offiziell bezeichnet wird, ist ein Mann, der engen Kontakt zu den Athleten und ihren Heimtrainern sucht und liebt. Jene Einzelgespräche, die er mit den Männern, Frauen und Teenagern in Anwesenheit ihrer Bundestrainer und Heimtrainer im Dortmunder "Steigenberger Hotel" führte, waren in ihrer Art ein Novum in der deutschen Leichtathletik. Sie verrieten ganz klar seine Handschrift und sein Motto: "Der Heimtrainer bestimmt, wie das Training abläuft."
In dem Förderkonzept aus der Feder von DLV-Generalsekretär und Sportdirektor Frank Hensel, das schon im September auf leichtathletik.de als Arbeitspapier in gewissen Grundzügen zu lesen war, kommt der Begriff Leitender Bundestrainer noch nicht vor. Und auch die Zusammensetzung des Perspektivkaders 2008, auf den fünfzig Prozent der eingeschränkten finanziellen Fördermittel konzentriert werden sollen, stammt aus der Zeit vor dem Amtsantritt von Jürgen Mallow am 2. November.
Spontanes Ja
Erst zwei Tage nach der "Spitzensportkonferenz" in Kienbaum, ziemlich bald nach der Pleite von Athen durchgeführt, auf der nach Meinung von Teilnehmern eine "katastrophale Stimmung" geherrscht hatte, klingelte in einem erst vor zwei Jahren fertiggestellten Eigenheim des damaligen bayrischen Leitendenden Landestrainers im beschaulichen Amerang im Kreis Rosenheim das Telefon. Frank Hensel fragte den DLV-Junioren-Chef der Jahre 1982 bis 1985, ob er mitmachen wolle, das angeschlagene Schiff wieder auf Kurs zu bringen. Er bekam ein "spontanes Ja" zur Antwort. Dabei half wohl auch, dass sie sich aus gemeinsamen Trainertagen beim Berliner Leichtathletik-Verband kannten. Spätestens seit dieser Zeit vor rund zwei Jahrzehnten weiß der heutige Generalsekretär auch, dass sich der neue erste Mann unter den Bundestrainern nicht verbiegen lässt.
Zur Welt kam Jürgen Mallow vor 60 Jahren – fünf Monate vor Kriegsende - im kleinen Ort Wustrow unweit von Wittenberge an der Elbe. Ins Familienstammbuch wurde er auf dem gleichen Standesamt eingetragen wie 166 Jahre vor ihm "Turnvater Jahn". Im äußersten Zipfel der Mark Brandenburg war seine Mutter mit ihrem neun Jahre alten Sohn vorher vor den Bombenangriffen auf Hamburg evakuiert worden.
Mit ihren beiden Kindern flüchtete sie vor der heranrückenden Sowjetarmee auf abenteuerliche und keineswegs gefahrlose Art und Weise auf einem Güterzug zurück in die schwer zerstörte Millionenstadt. Im Eimsbütteler Turnverband lernte der kleine Jürgen das sportliche ABC. In jenem bedeutenden Klub, der mit Hochspringer Hans Liesche einen der beiden deutschen Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm hervorbrachte. Dem Abitur in Hamburg folgten Studienjahre in München und Wien. Mit nur 25 Jahren trat er seine erste hauptamtliche Stelle im Sport an. Im Organisationskomitee für die Olympischen Spiele 1972 war er unter anderem damit beschäftigt, Trainingsstätten für die Spiele von München zu suchen.
Feuertaufe
Seine internationale "Feuertaufe" im Trainerstab des DLV waren die Junioren-Europameisterschaften 1973 in Duisburg. Gerhard Kramer (LG Wasserburg-Ebersberg) und Oskar Huber (TV Kempten) kamen im Wedaustadion in dem vom Sachsen Frank Baumgartl gewonnenen 2.000-Meter-Hindernislauf auf den sechsten und siebten Platz. Sie waren für ihn gute Bekannte, schließlich war der Norddeutsche seit 1971 (bis 1980) Landestrainer in Bayern.
Anschließend ging er für drei Jahre als Cheftrainer zum LAC Quelle Fürth, einem der führenden deutschen Klubs. Aus dieser Zeit stammt auch die enge Freundschaft zu Bert Sumser. Erst jüngst wieder nannte er den Mann, der für Olympiasieger wie Armin Hary und Willi Holdorf in Leverkusen der entscheidende Trainer gewesen war, als sein großes Vorbild. Also einen Mann, der für seine Athleten ein hervorragender Lehrmeister und ein Freund in allen Lebenslagen war. Er will die heute 91-jährige Trainer-Ikone auf seinem Alterssitz im Altmühltal auch in Zukunft häufig besuchen und gewiss auch um Rat fragen.
Bereits Juniorenchef im DLV
Von 1982 bis 1985 war er der Juniorenchef im DLV. Aus dem Kreis der Talente, die er damals zu den Junioren-Europameisterschaften führte, stehen die zweimalige Siebenkampf-Weltmeisterin Sabine Braun und Dreispringer Ralf Jaros auch in der aktuellen deutschen Rekordliste. In jene Zeit fiel auch der Ärger, dass der ein Jahr vorher vom Fußball zur Leichtathletik gewechselte Dieter Baumann nach minimalem Verfehlen der DLV-Norm nicht mit zur JEM nach Schwechat reisen durfte. Das geschah ausgerechnet in jenem Jahr, in dem der inzwischen vom Nachwuchs- zum Bundestrainer aufgestiegene Wahl-Bayer seinen größten Erfolg als Trainer feierte.
Nach Siegen bei der Hallen-EM 1982 in Mailand (3.000 m) und der EM 1982 in Athen (acht Goldmedaillen für den DLV!) wurde der Schwabe Patriz Ilg, der seine besten Jahre im Trikot des LAC Quelle Fürth verbrachte, bei den ersten Weltmeisterschaften in Helsinki der zweite Goldmedaillengewinner des DLV. Drei Tage nach dem Titelgewinn von 800-Meter-Rekordmann Willi Wülbeck. Wie so oft waren Ilgs starker Endspurt und seine im Training bei Jürgen Mallow erarbeitete Hindernistechnik seine besten Waffen. Zeitschnellster der vom Wahl-Bayer betreuten Hindernisläufer war, was viele überraschen wird, nicht etwa der Lehrer für Werken von der Schwäbischen Alb, sondern Rainer Schwarz (LG Gauting/Stockdorf). Ein Hindernisläufer mit der Schwarz-Bestzeit (8:11,93 min) für die deutsche WM-Mannschaft 2005 wäre gewiss nach dem Geschmack von Jürgen Mallow.
Von Berlin nach Bayern
Ab 1985 für ein Jahrzehnt Leitender Landestrainer in Berlin und danach fast genau so lang in der gleicher Aufgabe in Bayern, das waren die beiden letzten Stationen des heute 60-Jährigen vor dem Antritt auf einer "Großbaustelle". Die internationale Leichtathletik nahm er seit seinem Abschied als Hindernis-Bundestrainer "nur" als Beobachter wahr.
In der Zeit der Not der deutschen Leichtathletik, die in Athen erstmals seit 1904 (damals nur zwei deutsche Teilnehmer) ohne Männermedaille geblieben war, wird Jürgen Mallow zum wichtigen Lenker. Nach dem Sturz von 193 Punkten (WM 1991 in Tokio) auf 44 Punkte – nur 14 bei den Männern – in der Athener Nationenwertung verspricht er keinen raschen Wiederaufstieg, sieht aber auch keinen Grund zur Hoffnungslosigkeit.
Der Bayerische Leichtathletik-Verband verabschiedete ihn mit viel Vorschußlorbeeren in sein neues Amt. Sein Präsident Karl Rauh sagt auf der Internetseite des BLV nicht mehr und nicht weniger als: "Ich wüsste keinen Trainer in Deutschland, der die in ihn gesetzten Erwartungen so umsetzen kann, wie dies Jürgen Mallow bewerkstelligen wird." Sein Wort in die Ohren aller Männer und Frauen, die dem neuen Spitzenmann dabei helfen müssen.