Julia Hütter zweifelt nicht an Rückkehr
In diesem Moment am vergangenen Sonntag zeigte sich die ganze Unerbittlichkeit des Hochleistungssports. Eine falsche Entscheidung in einer Risikodisziplin, eine schwere Verletzung – und in einem Sekundenbruchteil war der Traum von den Olympischen Spielen in Peking (China) dahin. „Ich will den Sprung gar nicht sehen“, meint Stabhochspringerin Julia Hütter.
Später vielleicht mal, wenn er weiter zurückliegt, jener folgenschwerer Fehlversuch über 4,50 Meter bei der Sparkassen-Gala in Regensburg, als die 24-Jährige nach missglücktem Absprung den Stab losließ, aus großer Höhe in den Einstichkasten stürzte und beim Aufprall im linken Kniegelenk ein Kreuzband und im rechten Sprunggelenk zwei Bänder rissen.Am nächsten Montag (16. Juni) wird Julia Hütter von einem Spezialisten in Oberhausen operiert, sofern das Knie bis dahin abgeschwollen ist. Das Sprunggelenk wird konservativ therapiert. Der erste Schock ist überwunden, und gemeinsam mit ihrem Trainer Dr. Jakob Lötzbeyer hat die Athletin vom LAZ Bruchköbel bereits Pläne für die Zukunft gemacht.
Dr. Jakob Lötzbeyer verschiebt den Ausstieg
Eigentlich wollte Dr. Jakob Lötzbeyer, der in zwei Wochen 73 Jahre alt wird, nach Olympia seine Trainerkarriere beenden, die Spiele in Peking sollten der krönende Abschluss der Zusammenarbeit mit Julia Hütter werden. „Dieses ganz große Ziel haben wir nicht erreicht“, sagt er. Dr. Jakob Lötzbeyer spricht mit leiser Stimme, so wie immer, „wir machen ja nie viel Rummel um uns“, sagt er. „Doch ich war überzeugt, dass sie es schafft.“ Sich für Peking zu qualifizieren - und im Sommer 2008 über 4,70 Meter zu springen.
Die Bestleistungen der zweimaligen deutschen Hallenmeisterin (2007, 2008) und letztjährigen WM-Teilnehmerin sind mit 4,57 (Freiluft) und 4,60 Metern (Halle) notiert. Schon auf der Rückfahrt von Regensburg nach Hessen haben sich Dr. Jakob Lötzbeyer und Julia Hütter darauf verständigt, dass es weiter geht mit der Stabhochsprungkarriere. „Dann machst du eben die WM 2009 in Berlin“, meinte der Trainer und schloss sich selbst in dieses Projekt mit ein.
Keine Zweifel
Auch für Julia Hütter ist klar, dass sie zurückkommen wird. „Daran habe ich keine Zweifel“, sagt sie. Natürlich wirkt das vorzeitige Olympia-Aus immer noch nach, die Enttäuschung sitzt enorm tief, „auf dieses Ereignis haben wir schließlich vier Jahre alles ausgerichtet.“ Nun wird sie die Spiele nur vor dem Fernseher erleben.
Mut gemacht für die Zukunft haben ihr aber die vielen Anrufe von anderen Stabhochspringerinnen, auch Verantwortliche des Deutschen und des Hessischen Leichtathletik-Verbands haben sich bei ihr gemeldet. „Ein Kreuzbandriss ist nicht so kompliziert“, sagt sie. „Aus dem Tal herausgehen“ will sie gemeinsam mit ihrem Trainer.
Spiel mit dem Risiko
Tatsächlich ist es eine andere Ausgangssituation als im Februar 2004 bei der deutschen Freiluft-Rekordhalterin Annika Becker (4,77 m), die sich nach einem Stabbruch schwer an der Halswirbelsäule verletzt hatte. Annika Becker ist wieder gesund geworden, körperlich, geblieben ist die Angst. Höher als 4,20 Meter ist sie nicht mehr gesprungen nach dem schweren Trainingsunfall, ein halbes Jahr danach beendete Annika Becker insgeheim ihre Karriere.
„Stabhochsprung, das ist ein Spiel mit dem Risiko, was zu einem Teil auch den Reiz ausmacht“, hat DLV-Disziplintrainer Trainer Herbert Czingon einmal gesagt. Und anders als bei Annika Becker, die einfach nur unglaubliches Pech hatte, weiß Julia Hütter, dass sie „etwas falsch gemacht hat.“ Nämlich „im ungünstigsten Moment den Stab losgelassen.“
Gemeinsame Aufarbeitung
Dr. Jakob Lötzbeyer weiß um die möglichen psychischen Nachwirkungen des Sturzes von Regensburg, er spricht von „einem Manko“. Womöglich stoße er bei der Aufarbeitung an Grenzen, das räumt er ein. „Aber ich traue es mir zu.“ Und Julia Hütter sagt: „Stabhochsprung ist eine Kopfsache. Aber es ist gut für meinen Kopf, dass ich weiß: Ich habe es selbst verschuldet.“
Dr. Jakob Lötzbeyer, der promovierte Chemiker und Stabhochsprung-Autodidakt, hat mit seiner Athletin die nächste schwere Aufgabe vor sich. Zwölf Jahre nach den ersten Sprüngen von Julia Hütter im Jahr 1996.
Autodidakt holt sich „Nachhilfe“
Nach dem Abitur, im Jahr 1954, hatte er in Mainz bei Berno Wischmann eine ganze Menge über die Methodik des Stabhochspringens gelernt, mit dem Stahlstab überquerte er seinerzeit 3,60 Meter und wurde Vierter bei den Deutschen Hochschulmeisterschaften. Als Julia Hütter dann immer höher und höher sprang, eignete sich der spät berufene Coach bei Dr. Dieter Kruber aus Zweibrücken weiteres Wissen an.
Belächelt in der Szene wurde das Erfolgsgespann dennoch hin und wieder, richtig etwas zugetraut hat dem lange Zeit verkannten Perfektionisten kaum jemand. Doch die Erfolge sprachen für sich. „Wir haben unseren Zielen alles andere untergeordnet“, hat Julia Hütter im Herbst 2007 in einem Beitrag über ihren Trainer geschrieben. Jetzt steht das Duo vor seiner womöglich größten Herausforderung.