Julian Reus - Überstunden fürs schnelle Glück
Im Sprint der deutschen Männer tut sich was. Allen voran sind es die jungen Wilden, die für frischen Wind sorgen. Einer von ihnen ist der 20-jährige Julian Reus, der vor zwei Wochen beim Europacup in München seinen Einstand in der Nationalmannschaft der "Großen" feierte und der jetzt auf die U20-Europameisterschaft in Hengelo (Niederlande; 19. bis 22. Juli) blickt.

Julian Reus: Leidenschaft sprinten (Foto: Krebs)
Der dritte Platz in der Europacup-Staffel, für Julian Reus ist es erst der Anfang seiner sportlichen Karriere. Er kennt seine Ziele und setzt sie ganz bewusst Schritt für Schritt um. Auch in zusätzlichen Trainingseinheiten auf dem Weg nach Hengelo (Niederlande). Den größten Spaß hat Julian Reus ohnehin beim Sprinten. Das ist seine ganze Leidenschaft: "Ab dem Startschuss an nichts denken zu müssen, einfach für zehn Sekunden frei und gedankenlos zu sein", so beschreibt er das Gefühl bei seiner Lieblingsbeschäftigung.
Probleme, Schmerzen in der Muskulatur – alles vergessen. Ein Blick auf die digitale Anzeige der Uhr im Ziel reicht und die Glücksgefühle breiten sich aus. Bisher sah man Julian Reus fast immer mit erhobenen Armen und einem zufriedenen Gesichtsausdruck durchs Ziel laufen. Die großen leuchtend gelben Zahlen auf der Anzeige stimmten ihn zufrieden.
Sportliches Highlight 60 Meter
So steht die persönliche Stoppuhr des Athleten vom Erfurter LAC bei 10,44 Sekunden über die 100 Meter und 20,96 Sekunden über die doppelte Distanz. Auf die Frage, welche Strecke ihm besser liegt, folgt ein kurzes Schweigen. "Die 200 Meter sind anstrengender, deshalb laufe ich wohl lieber die 100 Meter." Unter trainingstechnischen Aspekten sieht er jedoch größere Reserven beim Lauf durch die Kurve: "Mit zunehmendem Alter wächst die taktische Erfahrung und Tempohärte, über die 100 Meter zählt allein die Spritzigkeit."
Und über die scheint er zu verfügen. Bei den Deutschen Jugend-Hallenmeisterschaften in Sindelfingen rannte er im Winter die 60 Meter in 6,64 Sekunden, knackte die DLV-Norm für die Hallen-EM und setzte sich zunächst mal an die Spitze der deutschen Top-Ten. Auch über die 200 Meter gewann er die Goldmedaille. Ein Fingerzeig und eine Nachricht an die Adresse der DLV-Routiniers.
Ein halbes Jahr später bezeichnet der sympathische Thüringer diesen Lauf als sein bisheriges sportliches Highlight. Auf die europäischen Titelkämpfe unterm Hallendach verzichtete er dennoch zugunsten der Vorbereitungen auf das Abitur sowie um einen längeren Trainingsaufbau für den Sommer zu absolvieren. Zweifel an dieser Entscheidung kamen nie auf: "Ich nehme an, dass dies nicht meine letzte Chance war, bei einer Hallen-EM zu starten."
Medaillen-Traum in Hengelo
Inzwischen ist das Abitur erfolgreich abgeschlossen ("Ich bin zufrieden, Mathe war ganz cool") und es gilt, neue Taten zu verrichten, in Hengelo bei den U20-Europameisterschaften. Bei den Junioren-Weltmeisterschaften im letzten Jahr in Peking (China) verpasste er in 21,30 Sekunden als Neunter ganz knapp den Einzug ins 200-Meter-Finale. "Das war sehr ärgerlich, in dem Moment habe ich mir vorgenommen, es im nächsten Jahr besser zu machen", erklärt der Deutsche Jugendmeister über diese Strecke.
Der Einzug ins Finale ist nun das Minimalziel. Tief in seinem sportlichen Inneren liebäugelt Julian Reus aber mit einer Medaille. "Ich will mich allerdings nicht zu sehr unter Druck setzten, eine neue Bestleistung um die 10,35 Sekunden wäre auch nicht schlecht", spricht der am Neujahrstag geborene Sprinter zurückhaltend über die Vorgaben.
In Hengelo heißt es auch Daumendrücken für seine Freundin Anne Neubauer (ASV Erfurt), die im Dreisprung an den Start geht. Ein Doppelzimmer ist aber nicht reserviert.
"Von mir selbst verwöhnt"
Vorbilder hat der Blondschopf keine. Einzig den ein Jahr älteren Christian Blum, mit dem er sich schon so manch spannendes Duell geliefert hat, nimmt er als Ansporn. "Wir verstehen uns gut und durch seine Erfolge sehe ich, dass man auch mit 20 Jahren schon sehr schnell sein kann. Da bin ich im Training gleich engagierter."
Frei nach seinem persönlichen Motto: "Wenn man Erfolg haben will, muss man auch ein bisschen mehr tun." Gemeint sind damit freiwillige Einheiten in Athletik, Stabilisation und der Nachbereitung. Besonders viel Wert legt er auf die Kräftigung im Hüftbereich.
Diesen Elan galt es für Trainer Gerhard Jäger schon manchmal zu bremsen. Seit fünf Jahren bilden die beiden ein erfolgreiches, spaßhabendes Duo und haben die gesetzten Ziele fast alle erreicht. "Ich bin bisher von mir selbst verwöhnt", lautet das bisherige sportliche Fazit. Neben seiner ehrgeizigen Einstellung zeichnet den Halbfinalisten der U18-WM (2005) über die 200 Meter eine weitere Eigenschaft aus, Julian Reus hinterfragt die Trainingsinhalte, bringt seine eigenen Vorstellungen ein und diskutiert diese mit dem Trainer.
Geographische Erkundungen
Seit 1999 lernt und trainiert der gebürtige Hanauer nun schon am Erfurter Sportgymnasium. Doch die Wege werden sich wohl im Winter trennen. Julian Reus ist auf der Suche nach einer leistungsstarken Trainingsgruppe, in Wattenscheid gäbe es sie. Auch bei dieser Entscheidung denkt er professionell. Wo die Bedingungen für sportliche Höchstleistungen stimmen, zieht es ihn hin.
Davor gilt es, noch andere Stationen auf der Landkarte zu erkunden. Nach dem Europacup erscheint auch ein Start in der 4x100 Meter-Staffel bei den Weltmeisterschaften in Osaka (Japan; 25. August bis 2. September) realistisch: "Wenn es klappt, freue ich mich sehr und nehme diese Erfahrung gerne mit".
Vor allem aber will er einfach nur glücklich ins Ziel rennen. Eine Medaille in Hengelo könnte dieses Stimmungshoch sicher noch erhöhen. Und die Überstunden zum glücklichen Schnellsein hätten sich positiv ausgezahlt.