Julian Weber - Speerwerfer ohne Handbremse
Vor vier Jahren hing die Sportkarriere von Julian Weber am seidenen Faden. Aber der Mainzer hat sich nach Verletzungen immer wieder zurückgekämpft - so auch am Donnerstag in Gau-Algesheim: Nicht einmal zwei Monate nach einem Daumenbruch schleuderte der 18-Jährige den Speer auf 72,45 Meter und hakte damit die Norm für die U20-EM in Rieti (Italien; 18. bis 21. Juli) ab. Druck kennt er nicht – nur Spaß am Werfen.

Knapp vier Jahre, einen Fuß- und einen Daumenbruch später, kann sich der heute 18-Jährige berechtigte Hoffnungen machen, als bester U20-Speerwerfer in Deutschland zur U20-EM nach Rieti zu fahren. Eine Entwicklung wie ein Drehbuch für einen Motivationsfilm.
Katapult-Karriere
Es gibt da diese schönen Geschichten über Weber und sein besonderes Talent. Bei den Bundesjugendspielen flogen seine Bälle bis auf den Parkplatz, über Zäune und Mauern. Wenn Weber warf, dann tat er das richtig, und weil die äußeren Umstände nicht immer für weite Würfe geeignet waren, landeten die Bälle und Kugeln in Fensterscheiben und Autos.
Eine Karriere in der Leichtathletik? Lange keine Option. Als Schüler verließ Weber den USC, konzentrierte sich aufs Handballspielen. Erst vor zweieinhalb Jahren kehrte er zurück. Stephan Kallenberg, Speerwurftrainer bei den Mainzern, seit einem Jahr auch Abteilungsleiter, sah das ungenutzte Potenzial. „Er wird immer besser“, sagt Kallenberg auch jetzt noch, nach zwei Saisons, in denen Weber im Schnelldurchlauf zur nationalen Spitze aufschloss.
Platz zehn bei der U18-DM im Jahr 2011, mit 59,98 Metern. Zweimal Platz vier bei den U20-Meisterschaften im vergangenen Jahr, 64,47 Meter im Winter, 68,53 Meter im Sommer. Dann die diesjährige Wintersaison: Deutscher U20-Meister im Winterwurf mit 72,68 Metern, Länderkampfsieger in Ancona (Italien) mit 75,49 Metern. Eine Katapult-Karriere, sagt die Leistungskurve. „Schon geil“, sagt Julian Weber.
Comeback nach Daumenbruch
Im Frühjahr kam mal wieder eine Verletzung: Beim Handball, A-Jugend-Oberliga, brach sich der 18-Jährige den Daumen. Knapp zwei Monate später ist er wieder da. Überlegt noch, ob er wirklich schon im Wettkampf antreten soll, tut es dann einfach – und übertrifft bei den Verbandsmeisterschaften die U20-EM-Norm (68,50 m) gleich zweimal, wirft bis auf 72,45 Meter. „Es hört sich doof an, aber das überrascht mich nicht“, sagt Trainer Kallenberg.
Weber sagt, dass er nicht so viel nachdenke. Die jüngste Verletzung habe ihn „ganz schön geknickt. Aber ich habe das einfach verdrängt, nie negativ gedacht“, erläutert er. „Es gibt so viele, die sich verbeißen und total angespannt sind“, denkt Weber. Er lässt Druck nicht zu.
„Keine angezogene Handbremse“
Doch im Moment, in dem der Wettkampf beginnt, ist die Konzentration da. „Julian kann unheimlich viel Energie abrufen, ist motiviert bis in die Haarspitzen“, nennt Trainer Kallenberg als Erfolgsindikatoren. „Er kennt keine angezogene Handbremse, sondern nur Vollgas bergab. Das ist ein schmaler Grat – denn er muss gleichzeitig die Kontrolle bewahren“.
Nach der Verletzung hat Weber die Technik umgestellt: Zangengriff mit nur drei Fingern, längerer Anlauf, den Weber nun wie die meisten anderen Werfer mit dem Speer oberhalb des Kopfs beginnt, und dadurch „viel mehr Speed“. Weber habe eine extrem schnelle Schulter bekommen, „eine richtige Schleuder“, sagt Kallenberg.
Schon jetzt total zufrieden
Weber ist ein Teamplayer, der es nicht gerne hört, dass sich Leute in seinem Umfeld, die ihm vom Handballspielen abgeraten haben, nach der Verletzung bestätigt sehen. Der 18-Jährige, so scheint es, profitiert von seiner gesund gewählten Mischung aus Entspannung und Ehrgeiz. Dazu passt auf der einen Seite der Traum von Olympia, auf der anderen Seite das Gefühl, dass sich schon alles gelohnt hat, dass er jetzt schon „total zufrieden“ sein kann mit dem, was er erreicht hat.
Wer hätte das auch gedacht? Nur ein Klinikwechsel machte Julian Weber damals, nachdem der erste Arzt vom Ende gesprochen hatte, wieder Mut. Ein Sommer im Gips, Hoffnung auf die Rückkehr, dann ein Unfall im Herbst: Beim Sprint zum Bus brach er sich den Fuß. Weber kam wieder, er scheint irgendwie immer wiederzukommen. „Es hat schon öfters schlecht ausgesehen. Und es hat immer wieder geklappt.“