| Interview der Woche

Katharina Heinig: "Viele Dauerläufe unter Tränen"

Aus deutscher Sicht hat Katharina Heinig die Geschichte des 43. BMW Berlin-Marathons geschrieben. Die Frankfurterin steigerte nach einer langen Lauf-Misere voller Selbstzweifel am Sonntag ihre Bestzeit um über fünf Minuten und lief in 2:28:34 Stunden auf Rang fünf in Berlin, auf Rang zwei der deutschen Jahresbestenliste und verdrängte Lisa Hahner vom 15. Platz der ewigen deutschen Bestenliste im Marathonlauf.
Christian Ermert

Katharina Heinig, wie haben Sie Ihr Rennen in Berlin erlebt?

Katharina Heinig:

Ich war vor dem Start unglaublich aufgeregt, aber dann habe ich sofort meinen Schritt gefunden. Ich war in einer schönen großen Gruppe. Mona Stockhecke war dabei, meine Tempomacher und ein großes Männerfeld. Bei fünf Kilometern waren wir voll in der Zeit, bei 10 Kilometer auch …

… und so ging das ja dann weiter bis fast ins Ziel.

Katharina Heinig:

Ja, bei Kilometer 35 habe ich dann gedacht: Wann kommt denn der Schmerz? Aber es rollte immer noch und ich habe es einfach genossen. Als dann mein letzter Pacemaker ausgestiegen ist, ging auch schon das Einsammeln los, ich habe einen Läufer nach dem anderen überholt. Und das Publikum in Berlin ist einfach der Hammer. Die Leute haben einen getragen mit der tollen Stimmung. Kurz vor dem Ziel habe ich dann realisiert, dass ich einen deutlichen Zeitpuffer habe, um unter 2:30 zu bleiben. Ab da bin ich Richtung Brandenburger Tor geflogen.

Nach der kältebedingten Aufgabe beim Zürich-Marathon (Schweiz) und einer wegen einer Lebensmittelvergiftung verpatzten Halbmarathon-EM in Amsterdam (Niederlande), war Berlin Ihr erster läuferischer Glücksmoment seit langer Zeit, oder?

Katharina Heinig:

Das kann man so sagen. Nach Amsterdam war ich schon ziemlich im Keller. Das Training vorher war bombastisch gelaufen und dann wirst du wegen eines verdorbenen Abendessens 55. Da fragt man sich dann schon, warum man das alles macht. Als Läufer quält man sich ja nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Man ist so lange Zeit im Trainingslager, ist weit weg von der Familie und vom Lebenspartner, trainiert am Limit und muss auf vieles verzichten, das Freunde genießen können. Man sagt Geburtstagsfeiern ab, geht nicht mit zum Klettern oder so. Und wenn man alles dem Laufen unterordnet und dann nichts zurückbekommt, das tut schon verdammt weh.

Und wie sind Sie Ihre Lauf-Zweifel wieder losgeworden?

Katharina Heinig:

Mit dem Erfolg beim Berlin-Marathon.

Das heißt, diese Zweifel haben Sie bis zum Start geplagt?

Katharina Heinig:

Ja. Unmittelbar nach der EM hatte ich gar keine innere Motivation zum Training mehr. Ich bin ins Höhentrainingslager nach Davos gefahren, weil ich es musste, weil das Laufen mein Job ist. Schließlich werde ich als Angehörige der Sportfördergruppe der hessischen Polizei dafür bezahlt.

Aber man kann doch nicht das härteste Lauftraining absolvieren, ohne dafür motiviert zu sein?

Katharina Heinig:

Das geht schon. Mein Antrieb war, dass der Plan ja stand, in Berlin Marathon zu laufen. Und ich wollte die Trainingswochen nicht verlieren. Denn darüber hätte ich mich sehr geärgert, wenn die Lust am Laufen dann doch irgendwann wieder da ist. Deshalb habe ich in dieser Phase meinen Trainingsplan einfach abgearbeitet. Auch wenn viele Dauerläufe dabei waren, die ich nur unter Tränen gemacht habe.

Wer hat Ihnen denn geholfen, diese Krise zu überwinden?

Katharina Heinig:

Vor allem meine Mutter und mein Freund, im Trainingslager haben aber auch die vielen Gespräche mit Gesa Krause geholfen, mit der ich mir meistens ein Zimmer teile. Es wurde dann nach und nach besser. Vor allem der letzte 35 Kilometer lange und schnelle Lauf lief richtig gut, aber noch in Berlin hatte ich große Zweifel an mir. Ich hatte mehr Angst, dass es wieder schief geht, als Vertrauen in mich selbst und mein Training.

Mit solchen Selbstzweifeln kann man doch eigentlich gar keine Leistung bringen …

Katharina Heinig:

… mir haben dann vor allem die Gespräche mit meiner Mutter geholfen, die Zweifel zu besiegen und in Berlin an den Start zu gehen.

Als ehemalige Weltklasseläuferin kann sich Katrin Dörre-Heinig sicher besser in Ihre Situation versetzen als jeder andere, oder?

Katharina Heinig:

Ja, sie hat mir immer wieder in Erinnerung gerufen, was ich im Training und in zwei guten 10-Kilometer-Rennen dieses Jahr schon geschafft habe. Und sie erzählt mir immer von den Tiefs, die sie in ihrer Laufbahn hatte. Es hilft sehr, zu wissen, dass auch so erfolgreiche Athletinnen wie sie ähnliche Situationen voller Selbstzweifel erleben.

Aber irgendwann im Lauf des Rennens von Berlin sind dann die Zweifel ja verflogen.

Katharina Heinig:

Ja, ich habe mir vom Start weg immer wieder selbst gesagt: Genieße den Lauf und guck dir die Stadt an. So habe ich auch ganz viel vom Geschehen am Rand der Strecke mitbekommen. Kostümierte Fans, die uns angefeuert haben. Ein altes Mütterchen auf einem Balkon im zweiten Stock, das mit einer Rassel Lärm gemacht hat. Und das hat funktioniert. Ich habe es genossen, meine Bestzeit um über fünf Minuten gesteigert und einen Riesenschritt aus dem Loch heraus gemacht, in dem ich seit Amsterdam gesteckt habe.

Wie es mit Ihnen als Marathonläuferin mit diesem Erfolg als Rückenwind jetzt weiter geht, wissen Sie noch nicht, oder?

Katharina Heinig:

Ne, jetzt gönne ich mir erstmal ein großes Eis und dann geht es zusammen mit meinem Freund in den Urlaub nach Kalifornien. Danach planen wir Training und Wettkämpfe für die nächste Saison.

Mehr:

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