Keine finanziellen Zweckgemeinschaften
Das olympische Jahr beginnt für Vereine und Athleten in der Leichtathletik am ersten Dezember. Mit diesem Stichtag ist der Trubel um die Wechselbörse beendet, und jeder kann sich nun mehr oder weniger sorgenfrei auf den Saisonhöhepunkt vorbereiten. leichtathletik.de blickt auf die spektakulärsten Veränderungen zurück und fasst das Wechselgeschehen in den Vereinen zusammen.
Julian Reus läutete in diesem Jahr die Wechselbörse ein. Mit seinem Wechsel vom Erfurter LAC zum TV Wattenscheid 01 sorgte der junge Sprinter bereits Ende Juli für die ersten Schlagzeilen im Wechselkarussell. „Julian ist ein junger Mann, der den deutschen Sprint in den nächsten Jahren dominieren kann. Wir wollen ihn auf jeden Fall lange an uns binden, er wird auch seinen Wohnsitz nach Wattenscheid verlegen. Nach dem Karriere-Ende von Marc Blume werden wir allein für unsere Staffel einen weiteren starken Sprinter brauchen“, kommentiert 01-Sportwart Michael Huke die Entscheidung für Julian Reus, den sein Erfurter Trainingskollege Chris Gleichmann nach Wattenscheid begleiten wird.Außerdem konnte der Großverein aus dem Ruhrpott für die kommende Saison mit Sabine Zimmer (SC Potsdam), Denise Hinrichs (SC Neubrandenburg), Denise Krebs (TSG Heilbronn), Pamela Dutkiewicz (LG Baunatal-Fuldabrück) und Philipp Bastians (SC Magdeburg) weitere fünf Bundeskaderathleten verpflichten. Sabine Zimmer ist außerdem die einzige A-Kaderathletin des DLV, die für die Olympiasaison den Verein wechselt.
Der Tradition treu geblieben
In Wattenscheid bleibt man mit dieser Einkaufspolitik der Tradition der vergangenen Jahre treu. „Gestärkt werden auch im kommenden Jahr wieder unsere traditionell guten Disziplinen Sprint, Lauf und Wurf, in denen wir hauptamtliche Trainer beschäftigen“, erklärt Michael Huke die Transferpolitik des Vereins, zu der auch die räumliche Nähe der Athleten zum Verein zählt.
„Hürdensprinter Kai Doskoczynski ist einer von ganz wenigen TV 01-Athleten, die nicht in Wattenscheid oder der näheren Umgebung wohnen. Unsere Neuzugänge sind allesamt nach Wattenscheid gezogen. Auf diese räumliche Nähe zum Verein legen wir normalerweise großen Wert.“ Dieser Trend hat sich mittlerweile in der Transferpolitik aller Großvereine fest etabliert, so dass finanzielle Zweckgemeinschaften kaum noch zu finden sind. „Wenn sich die Gemeinsamkeit nur noch auf eine Bankverbindung reduziert, gibt es für einen Traditionsverein sicherlich bessere Möglichkeiten, sich im Sinne der Leichtathletik zu engagieren“, kommentiert Helmut Breuer, Präsident des ASV Köln, die Trennung von Stabhochsprung-Ass Tim Lobinger im November diesen Jahres.
Tim Lobinger jetzt ein echter Münchner
Der EM-Zweite kehrte im November seiner langjährigen sportlichen Heimat den Rücken und wechselte vom ASV Köln zur LG Stadtwerke München, die ihrerseits auch großen Wert auf die räumliche Bindung zu Verein und Stadt legt. Bereits seit einem Jahr lebt der deutsche Rekordhalter in der bayerischen Metropole.
Tim Lobinger führte für seinen Vereinswechsel persönliche Gründe an: „Nach mehr als einem Jahr in Giesing ist nun auch die sportliche Entscheidung gefolgt. München bietet mir einzigartige Voraussetzungen für meinen Sport. Die Anlagen um das Olympiastadion sind modern und wunderschön. Sowohl die neue Leichtathletikhalle als auch das gesamte Olympiagelände liefern eine perfekte sportliche Infrastruktur. Der Olympiastützpunkt München ist Dreh- und Angelpunkt meines täglichen Sportlerlebens.“
Auch seine Freundin Alina Baumann kommt aus München. Die LG Stadtwerke München hat mit der Verpflichtung von Tim Lobinger nun die Chance, zusammen mit ihren Top-Athleten Sebastian Hallmann, André Green, Franziska Bertenbreiter und Katharina Naumann in die Phalanx der bayerischen Großvereine vorzudringen.
Umbruchstimmung in Bayern
Zusammen mit dem TV Wattenscheid 01 liegt im Bezug auf Neuverpflichtungen von Kaderathleten ein anderer bayerischer Verein ganz vorne. Das LAC Quelle Fürth/München 1860 konnte ebenfalls sechs Kaderathleten dazu gewinnen. Man hat sich in Franken für die nächste Saison vor allem im Nachwuchsbereich verstärkt, wobei der Laufbereich weiblich und der Sprint männlich den Schwerpunkt bilden. Hier sollen besonders die Mannschaften und Staffeln zu Erfolgen geführt werden. Lea Süß vom LA Team Oberfranken ist dabei die leistungsstärkste verpflichtete Läuferin. Den Wechsel von Hürdensprinterin Carolin Bogenrieder zur MTG Mannheim gilt es beim LAC Quelle Fürth/München 1860 zu verschmerzen.
Auch in Regensburg tut sich einiges. Mit neuem Sponsor, neuem Namen, und neuem Trikot will man in der Domstadt in den kommenden Jahren nach Titeln und Erfolgen greifen. Nach der Aufkündigung des langfristigen Sponsorenvertrages mit der Domspitzmilch eG ist nun die Telis Finanz AG der neue Partner der Leichtathletik Gemeinschaft. Das Regensburger Unternehmen unterstützt die bisherige Vereinsphilosophie und freut sich auf eine ähnliche Erfolgsgeschichte wie in den letzten Jahren. Auf ihr gewohntes Rot werden die Leichtathletinnen und Leichtathleten aus der Domstadt aber verzichten müssen. Das Team wurde in einer Großaktion komplett auf Blau umgerüstet.
Junge Hoffnungsträger für Regensburg
Anlässlich einer Pressekonferenz unmittelbar vor der Domspitzmilch-Jahresfeier unterzeichneten Direktor Herrmann Goss von der Brauerei Bischofshof und der neue LG-Präsident Gregor Neumann zudem einen neuen Sponsoring-Vertrag mit der größten Regensburger Brauerei. „Wir sind sehr regional aufgestellt und versuchen, auch die regionale Wirtschaft mit einzubinden“, kommentiert der stellvertretende Vorstand Kurt Ring die Partnerschaft. Über Art und Höhe des Sponsorings wurde Stillschweigen vereinbart.
Trotz dieses Trubels mischte man auch in Regensburg kräftig in der Wechselbörse mit. Mit den Bundeskader-Athleten Christina Muckenthaler (VfL Murnau), Philip Pflieger (VfL Sindelfingen), Stefan Matula (SV Obetraubling) und Manuel Ziegler (DJK St. Martin Neustadt) konnte man junge Hoffnungsträger für sich gewinnen. „Allerdings ist Regensburg kein Verein, der einkauft. Es ist nicht unsere Art, offensiv an Leute heranzugehen. Wir wurden in diesem Jahr viel von jungen Athleten angesprochen – selbst sprechen wir nur den ein oder anderen an“, erklärte Kurt Ring die Personalpolitik. Den Rücktritt der „Grande Dame“ Karin Ertl, mit der der Verein ein wichtiges Zugpferd und eine erfolgreiche Athletin verliert, gilt es im kommenden Jahr zu kompensieren.
Aderlass bei den Top-Athleten in Leverkusen
Beim deutschen Vereins-Spitzenreiter TSV Bayer 04 Leverkusen ist in diesem Jahr die Liste der prominenten Abgänge länger, als die der namhaften Neuverpflichtungen. Mit Nils Winter, Charles Friedek, Bianca Achilles und Sonja Oberem verlassen vier langjährige Leistungsträger den Verein. Nachdem Bayer-Trainer Bernd Knut in Ruhestand gegangen war, mussten sich seine Schützlinge Nils Winter und Charles Friedek neu orientieren.
Ihre Zusammenarbeit mit dem Sportwissenschaftler Sebastian Hess, der kein offizieller Bayer-Trainer ist, passte beim TSV Bayer 04 Leverkusen nicht ins sportliche Konzept. Dass renommierte Traditionsvereine heute selbst namhafte Leistungsträger nur unterstützen, wenn sie vor Ort bei den Vereinstrainern trainieren, machte auch die Vereinssuche des Dreiergespanns zu keinem leichten Unterfangen. Somit suchten sich die drei einige Sponsoren und gründeten Ende November einen eigenen Verein, für den sie die Olympiasaison und die kommenden Jahre bestreiten werden, das Team Referenznetzwerk Leverkusen.
Alle anderen Top-Athleten des Vereins, wie Speer-Europameisterin Steffi Nerius, Hallen-Europameister Danny Ecker und die EM-Vierte im Siebenkampf, Jennifer Oeser, verlängerten ihre Verträge.
Langfristige Nachwuchsförderung
Um die zahlreichen Abgänge seiner Erfolgsträger zu verschmerzen, setzt man in Leverkusen große Stücke auf die langfristige Nachwuchsförderung. „Die Leichtathletikabteilung des TSV Bayer 04 Leverkusen ist ihrer erklärten Linie treu geblieben und hat in der Wechselphase 2007 nur junge Athleten neu verpflichtet“, sagt Leichtathletik Geschäftsführer Paul Heinz Wellmann. „Wir setzen unser Nachwuchskonzept weiter konsequent um. Uns ist natürlich auch klar, dass das ein langer Weg ist.“
Dem Klub angeschlossen haben sich die Mittel- und Langstreckler Christina Kröckert (OSC Waldniel), Thomas Busch (TSV 1860 Hagen), Patrick Jäger (TV Refrath) und Christian Königstein (TV Jahn Bad Driburg), die Hochspringer Carolina Dressler (LG Kaufbeuren), Benjamin Ellerbrock (LG Elmshorn) und das Zwillingspaar Marc und Carsten Dittmann (TSV Bayer Dormagen) sowie der 400-Meter-Läufer Jannik Engel (LG Bernkastel/Wittlich).
Zuwachs beim Erfurter LAC und bei Nils Schumann
Es fällt auf, dass es in diesem Jahr einige noch sehr junge Athletinnen und Athleten weg von Zuhause zu einem für sie passenden sportlichen Umfeld verschlagen hat. So zog es die Chemnitzerin Cindy Roleder in die Hürdenhochburg Leipzig, wo sie in der starken Trainingsgruppe von Cheick-Idriss Gonschinska optimale Vorraussetzungen findet. Auch die junge Denise Krebs wechselte Verein und Wohnsitz, um sich der Wattenscheider Laufgruppe anzuschließen.
Nicht um junge aufstrebende, sondern ganz besonders um etablierte Athleten kümmerte man sich dieses Jahr beim Erfurter LAC. Nachdem der Verein Julian Reus nach Wattenscheid verabschieden musste, konnte man mit Olympiasieger Nils Schumann einen erfahrenen Athleten für sich gewinnen, der in der Olympiasaison noch einmal angreifen will. Ein neues Umfeld und ein neuer Trainer, sowie die Schwangerschaft seiner Freundin Korinna Fink könnten den 29-Jährigen für einen Weg nach Peking (China) beflügeln. Sein alter Verein, die LG Eintracht Frankfurt, formuliert nach dem Weggang von Nils Schumann und Korinna Fink andere Ziele.
Der Liebe hinterher
Abteilungsleiter Bernd Thomas sieht es in Zukunft lieber, wenn sich die Leistungsträger im Verein von unten herauf entwickeln: „Sie sollen einen Bezug zum Verein haben und wissen, warum sie für uns starten.“ Aushängeschild des Vereins bleibt weiterhin Hammerwurf-Weltmeisterin Betty Heidler.
Auch Zehnkämpfer Dennis Leyckes zog es nach Thüringen. Er verließ mit dem LAV Bayer Uerdingen/Dormagen seine langjährige sportliche Heimat. Der U20-Weltmeister von 2000 schließt sich dem Erfurter LAC und damti dem Verein seiner Freundin, 400 Meter Hürden-Läuferin Ulrike Urbansky, an. Betreut wird der Vierte der Hallen-EM künftig von Konrad Ackermann. Eberhard König, DLV-Disziplintrainer 400 Meter Hürden, wird ihn im Hürdentraining unterstützen.
leichtathletik.de sagt zum Abschied leise „Servus“
Abschließend sollen vier Athleten nicht unerwähnt bleiben, die die Leichtathletikbühne im kommenden Jahr verlassen werden. Mit Stabhochspringerin Yvonne Buschbaum (TuS Saulheim) gab es im November den wohl Aufsehen erregendsten Rücktritt des Jahres. „Im Wesentlichen erfolgt meine Entscheidung aufgrund meines seelischen Ungleichgewichts. Seit vielen Jahren befinde ich mich gefühlsmäßig im falschen Körper. Wer mich kennt, erkennt einen klaren Makel. Ich fühle mich als Mann und muss mein Leben im Körper einer Frau leben“, erklärt Yvonne Buschbaum den Entschluss, ihre leistungssportliche Karriere zu beenden. Mit dem Bekenntnis zu ihrer Transsexualität als Hauptursache für ihren Rücktritt hat die 27-Jährige ein immer noch vorherrschendes Tabu gebrochen und für viel Wirbel gesorgt.
Mit Sprinter Tim Goebel muss man schweren Herzens einen noch jungen und aussichtsreichen Athleten aus dem Wettkampfgeschehen verabschieden. Ausschlaggebend hierfür seien allerdings nicht die zahlreichen Verletzungen, die den Leverkusener seit Jahren immer wieder zurückwarfen. Vielmehr besteht ein familiärer Hintergrund. „Seine Mutter ist seit Monaten sehr schwer krank und Tim muss sich nunmehr um die Familie kümmern“, erklärte sein Trainer Gerd Osenberg.
Auch Karin Ertl und Susanne Keil verabschieden sich
Auch Siebenkämpferin Karin Ertl möchte der Familie Priorität einräumen. „Der Aufwand ist zu groß geworden. Ich musste große Entbehrungen hinnehmen. Meine Familie ist mir jetzt wichtiger“, sagt die 33-Jährige zu ihrem Abschied von der Leichtathletik. Als Vierte im Bunde wird man im Olympiajahr Susanne Keil (TSV Bayer 04 Leverkusen) vermissen. Die 29-jährige, die als Vorreiterin der jetzigen Hammerwurf-Generation diese Disziplin in Deutschland attraktiv und sehenswert machte, nennt Motivationsprobleme als Grund für ihren Rücktritt. „Als vor einigen Wochen die Vorbereitung auf die neue Saison beginnen sollte, ist es mir schwer gefallen, mich aufzuraffen. Da wurde mir klar, ich habe nicht mehr den nötigen Ehrgeiz. Hammerwerfen macht zwar immer noch Spaß, aber das alleine reicht nicht.“
Bleibt diesen vier Athleten zu wünschen, dass sie in den kommenden Jahren nicht das „tiefe Loch“ nach dem Leistungssport erwartet, sondern dass sie sich in ihrem Leben außerhalb der harten, aber auch funkelnden Welt des Sports wohl fühlen und verwirklichen können.
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