Kenenisa Bekele ist wieder fit
Mit Verlaub, der Junge, ein gewisser Kenenisa Bekele, ist süchtig. Süchtig nach Siegen! Einige vergleichen ihn bereits mit Haile Gebrselassie, den Wunderläufer. "Haile ist mein Vorbild", verkündete der kecke Bursche aus dem fernen Äthiopien, der bei der Cross-WM in Lausanne-La Broye am Wochenende die Rolle des Hauptdarstellers innehat, "ich möchte eines Tages so werden wie er." So berühmt und so erfolgreich.
Noch ist nicht sicher, ob Kenenisa Bekele, die Titelverteidigung auf beiden Strecken in Angriff nimmt. (Foto: Chai)
Wer, bitte schön, ist Kenenisa Bekele? Ein Naturtalent. Sicherlich. Als Junior wurde er Vize-Weltmeister über 5000 Meter im Sommer 2000 und Cross-Weltmeister im Winter 2001. Aber das waren andere vor ihm auch, denn bei den Afrikanern ist es ein ständiges Kommen und Gehen. Gar viele sind in jungen Jahren verheizt worden und hinterher spurlos von der Bildfläche verschwunden. Folglich nahm die Fachwelt ebenso viel Notiz von ihm wie der Schulhof von einem Dreikäsehoch, der schmalbrüstig und lauthals herumposaunt, er werde sich den Goliath zur Brust nehmen. Sie würden ihn beizeiten in Grund und Boden rennen, die Großen der Zunft.Wild entschlossen schnappte er sich zwei Mal Gold
Aber im März vergangenen Jahres düpierte der kleine David die Branche endgültig. In Dublin auf der Pferderennbahn, die von den Einheimischen "Leopardstown" gerufen wird, kämpfte er wie ein Löwe in freier Natur um seine Beute. Wild entschlossen schnappte er sich Gold erst auf der Mittel- und tags darauf auch auf der Langstrecke. So ein Double hatte es nie zuvor gegeben! Äthiopien jubilierte. Kenia, die Läufer-Nation Nummer eins, trug Trauer. "Dieser Junge", klagte Mike Koskei, Cheftrainer der kenianischen Auswahl, "war für uns zu stark." Er hatte sie geradezu vorgeführt, dass selbst ein Richard Limo und ein Charles Kamathi, der eine Weltmeister über 5000 Meter, der andere über 10.000 Meter, von diesem unerschrockenen Tempobolzer gedemütigt wurden.
Wer ist dieser Bekele? Ein Mann zwischen den Welten in jedem Fall. Zwischen der Vergangenheit, die in Äthiopien liegt, wohin er immer wieder zurückkehren wird, weil hier seine Wurzeln liegen, und der Gegenwart in Holland, wo ihn der einstige Weltklasse-Läufer Jos Hermens betreut, der auch der Manager von Haile Gebreselassie ist.
Training in Addis Abeba unter Profibedingungen
In der südlich gelegenen Region Arsi, etwa 300 km von Addis Abeba entfernt, ist Kenenisa Bekele mit fünf Geschwistern aufgewachsen. Wie Haile Gebrselassie und Derartu Tulu, beide Doppel-Olympiasieger über 10.000 Meter. Dort wohnen seine Eltern auch heute noch. Sie leben wie 85 % der Bevölkerung von der Landwirtschaft. Doch ihr Sohnemann, gerade 20 Jahre jung, hat mit Ackerbau und Viehzucht nichts im Sinn. Er ist stattdessen nach Addis Abeba, in die Drei-Millionen-Hauptstadt, gezogen, trainiert hier mit seinem jüngeren Bruder unter Profi-Bedingungen und will bei der Cross-WM in Lausanne wieder zuschlagen.
"Welche Strecke er da laufen wird, steht noch nicht fest: ob kurz oder lang oder beide. Abwarten", meinte Dr. Woldemeskel Kostre, der Nationalcoach des Äthiopischen Leichtathletik-Verbandes mit einem leisen Lächeln, "gesund ist er ja wieder." Dr. Aylew Tilahun, der "Doc" des Nationalteams, hat sein Okay gegeben.