| Inklusion: Best Practice-Beispiel

Kiel-Lauf-Organisatoren: "Rollstuhlfahrer können auf allen Strecken starten"

Zum 31-jährigen Jubiläum des Kiel.Lauf’s, dem größten Lauf-Event Schleswig-Holsteins, gab es erstmals einen inklusiven Lauf bei dem Läufer und Rollstuhlfahrer im selben Starterfeld gemeinsam die 10,4 Kilometer lange Strecke absolvieren konnten. Wie es zu der Aktion kam und wie der Kiel.Lauf das Konzept zukünftig weiter verfolgen wird, berichten die Organisatoren Rainer Ziplinsky und Elske Döring im Interview.
Bettina Andres

Elske Döring, Rainer Ziplinsky, der Kiel.Lauf ist das größte Lauf-Ereignis Schleswig Holsteins. Die Laufstrecken sind dabei nicht die einfachsten. Dennoch haben Sie in diesem Jahr erstmals ein gemeinsames Starterfeld für Läufer und Rollstuhlfahrer organisiert. Wie kam es zu der Idee?

Elske Döring, Rainer Ziplinsky:

Ehrlicherweise kam die Initialzündung nicht von uns selbst. Wir wurden von einem Rollstuhlfahrer, der gerne am Kiel.Lauf teilnehmen wollte, quasi mehr oder weniger in die Situation gebracht, uns damit zu beschäftigen. Er vertrat die Meinung, dass es ja nicht sein dürfe, dass er als Rollstuhlfahrer nicht an der größten Lauf-Veranstaltung Schleswig-Holsteins teilnehmen könnte. Zuerst dachten wir, dass wir ja einen Rollstuhlwettbewerb machen könnten, aber das wollte er nicht.

Was war das Anliegen des Rollstuhlfahrers?

Elske Döring, Rainer Ziplinsky:

Es ging ihm darum, dass er gemeinsam mit allen anderen Läufern im selben Lauf starten kann. Wir haben den Unterschied am Anfang gar nicht verstanden und wir dachten, dass er einfach einen Wettbewerb im Zuge dieser großen Veranstaltung absolvieren möchte. Aber ihm ging es um das geteilte, alltägliche Miteinander – auch in so einer Veranstaltung. Nachdem wir diesen Unterschied begriffen hatten und gesagt haben, dass wir auch Rollstuhlfahrer mit Begleitperson am Start zulassen wollen, gab es das nächste Problem. Durch eine vorgeschriebene Begleitperson entstünde das Bild, dass Rollstuhlfahrer nicht selbstbestimmt seien. Da die Strecke nicht ganz einfach ist, hatten wir jedoch Bedenken bezüglich der Sicherheit.

Was gab es noch zu bewältigen?

Elske Döring, Rainer Ziplinsky:

Eine weitere Frage war auch, wo wir die Rollstuhlfahrer starten lassen: ganz vorne, in der Mitte oder hinten? Letztlich haben sich vier Rollstuhlfahrer angemeldet. Nach vielen Gesprächen und Abwägungen haben wir schließlich kurz vor der Veranstaltung gesagt, dass eine Begleitperson keine Voraussetzung ist, sondern freiwillig und ohne verbundene Mehrkosten und dass die Rollstuhlfahrer starten sollen von wo sie wollen.

Wie werden Veranstaltungen dieser Art zukünftig geplant?

Elske Döring, Rainer Ziplinsky:

Zukünftig werden wir Rollstuhlfahrern die Anmeldung auf allen Strecken ermöglichen. Wir haben ein Anmeldeportal und über dieses können sich künftig alle, egal ob mit oder ohne Rollstuhl anmelden. Die Version für 2019 ist, dass wir das jetzt komplett offen gestalten. Man braucht keine Begleitperson, die wir aber empfehlen, und man kann sich für die Laufstrecke anmelden, die einem am besten liegt. Wir behandeln die Rollstuhlfahrer wie alle anderen Läufer. Allerdings nehmen wir die Rollstuhlfahrer natürlich nicht in die Läuferwertung auf, da wir keinen Wettbewerb daraus machen wollen. Wir nehmen zwar die Zeiten, führen die Liste dann aber alphabetisch auf.

Könnten Sie einmal den Begriff Inklusion in Ihren eigenen Worten erklären?

Elske Döring, Rainer Ziplinsky:

Inklusion heißt, dass man als Gruppe oder Veranstalter allen Menschen, nicht nur Rollstuhlfahrern, sondern zum Beispiel auch blinden Menschen, Menschen aus anderen Ländern, Frauen und Männern und so weiter, die gleiche Möglichkeit gibt am gemeinschaftlichen Leben teilzuhaben.

Was betrachten Sie als die wichtigsten Etappen in der Organisation eines inklusiven Sportevents?

Elske Döring, Rainer Ziplinsky:

Wir glauben am wichtigsten war es die anderen Teilnehmer zu informieren und für Transparenz zu sorgen. Wir mussten ja nichts an der Veranstaltung verändern. Was wir gemacht haben, war die Strecke nochmal mit Unterstützung eines Rollstuhlfahrers abzufahren und eine Streckenbeschreibung zu erstellen, damit alle wissen, was sie erwartet. Denn da, wo ein Läufer vielleicht mal drüber springen kann, kann ein Rollstuhlfahrer vielleicht nicht so einfach drüber fahren. Sonst hat uns die Öffnung des Laufs für Rollstuhlfahrer keine weiteren Aufwendungen gebracht und wir haben auch kein extra Personal gebraucht. Das ist eigentlich auch der Gedanke der Inklusion, dass alles genauso ist, wie wenn ein Läufer kommt.

Was muss man noch bedenken?

Elske Döring, Rainer Ziplinsky:

Man muss ganz allgemein aber natürlich auch auf die Begleitumstände schauen. Gibt es geeignete Parkplätze, Rampen und behindertengerechte WCs? Wie sind die Kabel abgedeckt? Das meiste war bei uns schon gegeben. Aber das ist natürlich eine Voraussetzung, das sind Eckpfeiler über die man sich Gedanken machen muss.

Welche positiven Erlebnisse konnten Sie aus dem diesjährigen Kiel.Lauf gewinnen?

Elske Döring, Rainer Ziplinsky:

Die Reaktion war tatsächlich sehr neutral und ohne großes Feedback, was ja im Zweifelsfall völlig okay ist. Die ganze Situation wurde von allen Teilnehmern und Zuschauern als selbstverständlich wahrgenommen. Und das sehen wir durchaus positiv.

Wo liegen bzw. lagen die größten Herausforderungen?

Elske Döring, Rainer Ziplinsky:

Da diese Anfrage des Rollstuhlfahrers leider direkt über öffentlichen Stellen kam und der Druck demnach sehr hoch war, war die Situation am Anfang nicht einfach. Schnell mussten wir zudem feststellen, dass es für solche Laufveranstaltungen noch keine passenden Vorgaben gab, an denen wir uns hätten orientieren können. Wir haben daher einen langen Lernprozess hinter uns, den man sich künftig aber natürlich sparen kann. Die größten Hürden lagen im ersten Moment sicherlich im Kopf selbst. Die Umsetzung einer Veranstaltung, nachdem man sich der Sache gedanklich wirklich geöffnet hat, ist dann eigentlich der einfachste Schritt.

Wie wurde und wird das Angebot angenommen von behinderten und nicht behinderten Sportlern?

Elske Döring, Rainer Ziplinsky:

Wie schon erwähnt gab es relativ wenig Rückmeldungen. Von den Rollstuhlfahrern wurde das Angebot natürlich sehr positiv aufgenommen und wir freuen uns, dass die Anzahl der Anmeldungen von Rollstuhlfahrern für nächstes Jahr schon jetzt höher ist als die in diesem Jahr und wir rechnen noch mit weiteren Anmeldungen.

Was würden Sie anderen Organisationen empfehlen, die ihr Angebot inklusiv gestalten wollen? Welche Tipps haben Sie?

Elske Döring, Rainer Ziplinsky:

Einfach machen! Wenn möglich, sollte man mit einem Rollstuhlfahrer, beziehungsweise einem Betroffenen das Konzept gemeinsam erarbeiten. So treffen sich die unterschiedlichen Sichtweisen, und man sieht, was geht oder was eben nicht geht. Rollstuhlfahrer und Läufer sollten wissen, was auf sie zukommt, wie die Strecke aussieht und ob es ein gemeinsames Läuferfeld gibt. Gute Rahmenbedingungen sollte man idealerweise generell versuchen zu gewährleisten, auch für die Zuschauer. Aber alles in allem erfordert das alles keinen großen Mehraufwand. Veranstalter brauchen davor jetzt keine Angst zu haben. Auch wenn es am Anfang, unserer Situation geschuldet wirklich nicht einfach war, hat es eine gute Entwicklung genommen. Es ist ein Prozess und die größten Barrieren liegen sicherlich in den Köpfen.

Wird das Inklusionsangebot finanziell gefördert und wenn ja in welcher Höhe?

Elske Döring, Rainer Ziplinsky:

Nein, es wird nicht extra gefördert. Wir haben aber auch keine Mehrkosten. Vielleicht könnte man in der Öffentlichkeitsarbeit noch etwas machen. Aber man muss das Geld nicht verschwenden, wenn wir es auch so hinbekommen und andere Projekte davon mehr Nutzen hätten.

Wie verteilt sich die Zuständigkeit für das inklusive Projekt zwischen Ihnen und weiteren Akteuren?

Elske Döring, Rainer Ziplinsky:

Wir arbeiten mit der Stadt Kiel zusammen, vor allem mit dem Amt für Sportförderung, die uns oft zur Seite stand. Da das Konzept nun aber steht, wird es künftig weniger Berührungspunkte geben. Wobei die Stadt den Kiel.Lauf an sich, zum Beispiel durch abgestimmte Baustellen unterstützt und auch der Bürgermeister ist ein großer Fan des inklusiven Aspekts des Laufes. Mal sehen, was zukünftig noch kommen wird.

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