| Hallen-EM

Kristin Gierisch - Gekämpft wie eine Löwin

So vieles richtig gemacht und am Ende doch so knapp vorbei an einer Medaille: Dreispringerin Kristin Gierisch war nach ihrem vierten Platz bei der Hallen-EM im tschechischen Prag einfach nur körperlich und mental geschafft. Mit 14,46 Metern hatte sie nebenbei am deutschen Rekord gekratzt, das war in dem nervenzehrenden Wettkampf aber nur Nebensache.
Jan-Henner Reitze

Am Abschlusstag der Hallen-EM kochte die Stimmung in der O2-Arena, ohrenbetäubender Lärm flammte mehrfach auf. Eine Herausforderung, sich zu konzentrieren, wenn die Tschechen ihre Landsleute zu Medaillen brüllten. Dazu kamen viele Unterbrechungen wegen Siegerehrungen, die Hochspringer kreuzten den Anlauf der Dreispringerinnen und Kristin Gierisch (LAC Erdgas Chemnitz) startete ihren langen Anlauf auch noch auf der Rundbahn, so dass sie nicht antreten konnte, wenn dort andere Wettbewerbe liefen.

Alles in allem ein Nervenspiel, das eben dazu gehört zu so einem Finale einer Hallen-EM. Und obwohl diese Situation neu war, meisterte Kristin Gierisch diese mit Bravour. Mit 14,26 Metern in Runde drei setzte sie einen Sprung in die Grube, der ihre Vorleistungen bestätigte und mit dem sie sogar zwischenzeitlich auf Rang drei lag.

Nicht die Nerven verlor die Deutsche Meisterin auch, als ihre Anlaufmarkierung plötzlich verschwunden war - die Kampfrichter hatten nach dem Ende des Hochsprungs der Männer zu gründlich aufgeräumt. Neu ausmessen mitten im Wettkampf war angesagt. "Natürlich belastet das alles", sagte Kristin Gierisch über den bisher aufregendsten Wettkampf ihrer Karriere. "Aber ich war psychisch ganz stabil, konnte den Stress unterdrücken und habe mir gesagt: Kiri, cool bleiben." Das wird ihre Psychologin, die ehemalige Speerwurf-Europameisterin Tanja Damaske, gerne hören. Die Zusammenarbeit trägt Früchte.

Drei Zentimeter fehlen zu Bronze

Die Athletin funktionierte in der Ausnahmesituation: Im vierten Durchgang folgte Bestleistung Nummer eins an diesem Nachmittag: 14,32 Meter. Vor dem abschließenden Versuch war aber klar: Für Edelmetall muss noch eine Steigerung her.

Wieder musste Kristin Gierisch wegen eines Finals auf der Rundbahn lange warten,  bevor sie Anlauf nehmen konnte. Dennoch gelang es ihr, den bisher weitesten Satz ihrer Karriere auszupacken: 14,46 Meter.

Diese Bestweite löste aber keinen Jubelsturm aus, fehlende drei Zentimeter zu Bronze schmerzten zu sehr. "Es tut einfach weh, wenn man so nah dran ist", erklärte Kristin Gierisch kurz nach dem Wettkampf in der Mixed Zone und konnte sich noch nicht freuen über das, was sie gerade geleistet hatte. "Man will bei den Europameisterschaften seinen allerbesten Sprung zeigen. Der war nicht dabei - auch nicht die 14,46 Meter." Ganz nebenbei fehlte auch nur ein Zentimeter zum deutschen Hallenrekord von Katja Demut (LC Jena) aus dem Jahr 2011.

Basis für Olympia gelegt

Zu gerne hätte sich Kristin Gierisch mit einer Medaille bei ihrem Trainer Harry Maurusch bedankt – für schon zwölf Jahre Zusammenarbeit durch Dick und Dünn. "Egal wie schlecht es mir ging, hat er mich immer wieder aufgefangen", erzählte die 24-Jährige. "Er ist so etwas wie ein zweiter Vater für mich."

Gemeinsam hat das Gespann über die Jahre nicht nur eine solide Grundlage für den Dreisprung gelegt, sondern mit diesem Winter einen entscheidenden Schritt Richtung Olympia gestellt, wo auch mit Weiten knapp über 14 Meter kein Blumentopf zu gewinnen sein wird. Kristin Gierisch ist hungrig auf mehr. "Vor der Hallensaison habe ich schon gesagt: Ich habe keine Lust mehr auf 13-Meter-Sprüng. Vor dem letzten Versuch in Prag dachte ich mir: Ich habe keine Lust mehr auf 14,20 Meter.“

Grenzen austesten

Die Chemnitzerin möchte ihre Grenzen austesten. „Es gibt noch so viele Fehler: Dagegenschieben, nicht von oben arbeiten. Einfach so viel Mist, den ich fabriziere." Angetrieben wird sie von der Frage: Kann ich es bis ganz nach oben schaffen? Dieser Ansporn hat auch bei mancher Verletzung oder anderen Rückschlägen keinen Gedanken ans Aufgeben zugelassen.

EM-Vierte. Das soll nur eine Durchgangsstation sein. "Ich muss einfach besser werden, stabiler, vielleicht noch mehr springen. Noch mehr investieren. Dann kann es bis Rio gut werden. Die anderen werden auch arbeiten. Aber dann muss man eben noch härter trainieren als alle anderen", so Kristin Gierisch kämpferisch.

Lob von Chef- und Bundestrainer

Auch wenn die Gefühle in Prag auf Achterbahnfahrt geschickt wurden und erst einmal der Eindruck überwiegt, trotz aller Anstrengungen so knapp an Edelmetall vorbeigeflogen zu sein: Die Vorstellung in der tobenden O2-Arena steht für eine Menge Fortschritte: Biss und Kampfgeist, inklusive der Fähigkeit in einem großen Finale Bestleistung zu springen, sind auf der Habenseite.

Das schätzt auch DLV-Cheftrainer Idriss Gondschinska so. "Ich muss ihr gegenüber den allergrößten Respekt einbringen", sagte er. Dreisprung Bundestrainer Tamas Kiss stimmt zu: "Was sie gemacht hat, ist großartig, wie sie mit den Störungen des Wettkampfverlaufes fertig geworden ist. Großes Lob an sie und ihren Trainer. Ich bin sicher, dass sie sich in der Weltklasse etablieren kann und uns in den nächsten beiden Jahren viel Freude machen wird."

Und auch die noch vom Gefühl des undankbaren vierten Platzes übermannte Kristin Gierisch selbst weiß, dass nicht nur die Energie für neue Aufgaben nach dem kräftezehrenden Wettkampf schnell zurückkommen wird, sondern auch die gute Laune. "Heute Abend heule ich noch und morgen lacht wieder die Sonne."

<link btn>Mehr zur Hallen-EM

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024