Kristin Gierisch - Neue Wege Richtung Zürich
Nur fünf deutsche Dreispringerinnen sind jemals weiter gesprungen als Kristin Gierisch (LAC Erdgas Chemnitz). Doch zuletzt verhinderten Anlauf- und Rückenprobleme Sprünge jenseits der 14-Meter-Marke. Mit Pilates, psychologischer Hilfe sowie Übungen aus dem Volleyball und einem Abstecher zum Weitsprung will sich die 23-Jährige jetzt fit machen für das EM-Finale.

Doch so ganz konnte sie auch dort nicht von ihrem Sport lassen: Nebenbei wurde trainiert, schließlich stand schon am vergangenen Wochenende der erste Wettkampf des Jahres auf dem Programm. Beim Hallenmeeting ihres Vereins LAC Erdgas Chemnitz erreichte Gierisch am Samstag im Weitsprung 6,10 Meter und lag damit nur einen Zentimeter hinter der Siegerin Annika Gärtz (LV 90 Erzgebirge).
Dass die 22-Jährige dort nicht in ihrer Spezialdisziplin an den Start ging, war kein Zufall. Gierisch will in diesem Winter verstärkt im Weitsprung starten, um sich dort die Sicherheit im Anlauf zu holen, die ihr zuletzt häufig fehlte. „Bislang waren 70 Prozent meiner Versuche ungültig. Ich muss lernen, das Brett richtig zu treffen“, erklärt die Chemnitzerin und ergänzt: „Wenn ich den Sprung aufs Brett kriege, kann danach nicht mehr so viel schiefgehen.“
Im Weitsprung mitmischen
Der Ausflug zum Weitsprung ist in erster Linie Mittel zum Zweck, um sich im Dreisprung zu verbessern, doch Gierisch hat natürlich auch den Ehrgeiz, die Spezialistinnen zu ärgern. „Wenn ich etwas mache, dann will ich darin auch gut sein“, sagt sie.
Dass sie das Zeug dazu hat, im Weitsprung eine gute Rolle zu spielen, bewies sie schon vor zwei Jahren bei der Hallen-DM in Karlsruhe: Mit 6,41 Metern holte sie in der Europahalle überraschend Bronze. Gierischs erster Auftritt im Dreisprung ist in diesem Jahr für den 30. Januar beim PSD Bank Meeting in Düsseldorf geplant.
WM-Norm zum Greifen nah
In der Halle hat die Bundespolizistin ihre bislang größten Erfolge erzielt. 2012 holte sie den nationalen Meistertitel, als sie in Karlsruhe 14,19 Meter sprang – bis heute ihr weitester Sprung überhaupt. Drei ihrer vier besten Versuche stammen aus dem Winter. Die Hallenleistungen schürten Erwartungen für den Sommer, die Gierisch in den vergangenen beiden Jahren allerdings nicht erfüllen konnte. Zuletzt plagte sie sich mit Rückenproblemen herum, die sie über weite Strecken der Freiluftsaison außer Gefecht setzten.
Die Deutschen Meisterschaften 2013 in Ulm waren ihr erster Wettkampf nach sechs Wochen Pause. Fast hätte es trotzdem noch mit dem Sprung zur WM nach Moskau (Russland) geklappt: Im letzten Versuch gelang Gierisch ein weiter Satz. Sie jubelte schon, als sie das Raunen des Publikums vernahm und den Kampfrichter die rote Fahne heben sah. Übertreten. Statt einer Ehrenrunde gab es bittere Tränen. Die Biomechaniker stellten später fest, dass der Sprung 14,46 Meter weit gewesen wäre – sechs Zentimeter über der WM-Norm.
Zu allem Überfluss zog sich Kristin Gierisch bei diesem Sprung in Ulm auch noch eine Fersenprellung zu. Trotzdem unternahm sie beim Meeting in Dillingen einen letzten Anlauf auf die Norm, den sie jedoch schon nach dem ersten Durchgang abbrechen musste.
Abgeschaut vom Volleyball
Mittlerweile sind die Rückenschmerzen überwunden – dank Pilates und dank neuer Kräftigungsübungen, die sich Gierischs Coach Harry Marusch bei den Volleyballern abgeschaut hat.
Auch sein Schützling lässt nichts unversucht, um wieder an alte Glanzzeiten anzuknüpfen. Seit diesem Winter trainiert Gierisch beispielsweise zusätzlich die tiefe anstatt wie bislang lediglich die halbe Kniebeuge – von dieser Maßnahme erhofft sie sich neue Reize für die Muskulatur. Außerdem hat sie sich mit einer Sportpsychologin zusammengesetzt. „Ich hatte früher große Probleme damit, einen Wettkampf zu eröffnen. Wenn ich als erste Springerin dran war, konnte man zu 90 Prozent davon ausgehen, dass das nichts wird“, erzählt sie.
Lob vom Weltmeister-Trainer
Technisch ist die 22-Jährige hingegen trotz ihres jungen Alters schon ziemlich ausgereift. Die Hüfte ist im Sprung stabil, der Oberkörper bleibt ruhig, „nur mein Schwungbein könnte noch ein bisschen schneller kommen“, findet Gierisch.
Sogar Anatoliy Boyko, der Trainer der einstigen Welt- und Europameisterin Olha Saladuha (Ukraine), bescheinigte ihr im vergangenen Jahr ein außergewöhnliches Potenzial. „Er hat meine Technik gelobt und gesagt, dass ich einfach noch ein bisschen Zeit brauche“, sagt sie.
Die meisten Dreispringerinnen würden erst mit 26, 27 Jahren richtig gut, so die Springerin vom LAC Erdgas Chemnitz. „Es sind eben drei Sprünge, die man hinbekommen muss, und nicht bloß einer wie beim Weitsprung.“ Außerdem müsse man erst lernen, dass sich eine Mondobahn anders anfühlt als eine Federsprungbahn und seine Sprünge entsprechend anpassen. „Das ist ein Unterschied wie zwischen High-Heels und Turnschuhen“, erklärt Gierisch.
Ziel: EM-Finale
Nach Erfolgen als Jugendliche – Platz sechs bei der U18-WM 2007, Platz fünf bei der U20-EM 2009 – und der Teilnahme an der Hallen-WM 2012 will sie in diesem Sommer endlich auch unter freiem Himmel ihre Nationalmannschaftspremiere bei den Aktiven feiern. Ein Start bei den Europameisterschaften ist fest eingeplant. 14,20 Meter sind dafür gefordert.
Doch Kristin Gierisch will nicht bloß bei der EM dabei sein – sie möchte im Letzigrund auch ins Finale. „Ich will beweisen, dass ich zu den besten Springerinnen Europas gehöre“, sagt sie. Es wäre das erste Mal seit 1994, dass eine deutsche Dreispringerin wieder den Sprung ins EM-Finale schafft. Damals gelang das sogar gleich zwei Athletinnen: Ramona Molzan (OSC Berlin/Siebte) und Helga Radtke (LAC Quelle Fürth/Achte).
Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift