| Interview

Kurschilgen: „Keine Angst vor weniger Medaillen“

Im Rahmen der Spitzensport-Tagung haben sich in der vergangenen Woche unter Leitung von Thomas Kurschilgen mehr als 120 Spitzensport-Experten im Bundesleistungszentrum in Kienbaum versammelt. Im Interview lässt der Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) die Veranstaltung noch einmal Revue passieren, berichtet von den Herausforderungen auf dem Weg nach Rio 2016 und verrät, welche strategischen Veränderungen im Bereich des Sprints und Langsprints beschlossen wurden.
Silke Morrissey

Thomas Kurschilgen, drei Tage Spitzensport-Tagung in Kienbaum liegen hinter Ihnen. Wie lautet Ihr persönliches Fazit der Veranstaltung?

Thomas Kurschilgen:

Die Tagung in Kienbaum war von hohem Engagement und Fachkompetenz aller Beteiligten gekennzeichnet – wie im Übrigen schon die Arbeit im gesamten Saisonverlauf. Den Trainerkollegen auf allen Ebenen ist bewusst, dass es nur in einem gemeinsamen, konstruktiven und vertrauensvollen Miteinander gelingt, herausragende Talente im internationalen Weltmaßstab zum Erfolg zu führen. Der Olympischen Leichtathletik im DLV kommt hier eine nicht unbedeutende Führungs- und Steuerungsaufgabe zu. Sie muss mit größtmöglichem Know-how die Akteure im Leistungssport von der Richtigkeit ihrer Strategien, Konzepte und Maßnahmen überzeugen.

In Kienbaum sind mehr als 120 Bundes-, Disziplin- und Heimtrainer sowie Experten aus Leistungssport, Sportwissenschaft, Medizin und Psychologie zusammengekommen. Wie war die Stimmung?

Thomas Kurschilgen:

Teambildung findet nicht nur in der Nationalmannschaft statt. Sie ist für Cheftrainer Idriss Gonschinska und mich ein Grundprinzip unserer täglichen Arbeit. Teams zu formieren gelingt nicht von heute auf morgen. Wir haben seit 2009 konsequent versucht, an den Bundestützpunkten kompetente Trainer- und Expertenteams zu entwickeln und unsere Kommunikation step by step zu verstärken, in Zusammenarbeit mit den Landesverbänden, den Olympiastützpunkten und den spitzensportfördernden Vereinen.

All das setzt hohe Flexibilität und Mobilität voraus. Auf unsere Partner zuzugehen, vor Ort sein ist ein Schlüssel des Erfolgs. Diesen Weg verfolgt besonders unser Cheftrainer. Die Aktivitäten setzen sich in unseren Trainingslager-Maßnahmen bis hin zum diesjährigen TopTeam-Lehrgang in Südafrika fort. Wenn jeder etwas von seinem spezifischen Wissen einbringt, schaffen wir Mehrwerte als Team und agieren als Mannschaft. Um es vor diesem Hintergrund auf den Punkt zu bringen: Die Stimmung in Kienbaum war außergewöhnlich gut.

Auf der Tagesordnung stand unter anderem eine Bilanz des Leichtathletik-Jahres 2014. Welche Höhen und Tiefen haben Sie ausgemacht?

Thomas Kurschilgen:

Wir waren bei den Olympischen Jugendspielen in Nanjing mit acht Medaillen die leistungsstärkste Teilmannschaft im Olympiateam. Bei den U20-Weltmeisterschaften in Eugene haben die Leichtathleten in der Nationenwertung eine Top-Drei-Platzierung belegt. Das DLV-Team der Männer und Frauen ist in Braunschweig mit großer Ausstrahlung und höchsten Sympathiewerten Team-Europameister geworden. Bei den „großen“ Europameisterschaften haben wir 167 Nationenpunkte und 43 Endkampfplatzierungen gesammelt, so viele wie seit 2002 in München nicht mehr. Sicherlich: Medaillen hätten wir uns alle mehr gewünscht. Aber wer um die Volatilität der Medaillen in einer Sportart mit über 200 Nationen in der Welt und um die hohe Wettbewerbsdichte weiß, der darf auch keine Angst vor keinen oder weniger Medaillen haben.

Das Jahr 2014 markiert auch die Halbzeit im Olympiazyklus 2012 bis 2016. Müssen auf dem Weg nach Rio Weichen neu gestellt werden?

Thomas Kurschilgen:

Neue Weichen müssen nicht gestellt werden. Stichtagsbezogene Ereignisse dürfen und sollten unsere Strategieansätze nicht beeinflussen. Wir stehen im Leistungssport für Kontinuität im Handeln und verfallen nicht in öffentlichkeitswirksamen Aktionismus. Es gilt weiterhin Kernstrategien zu verfolgen, die unter Führung der Leitenden Bundestrainer auf der operativen Ebene in den verschiedenen Disziplingruppen in Kienbaum erarbeitet wurden und in konkreten Maßnahmen umgesetzt werden.

Welche Arbeitsschwerpunkte werden Sie in den kommenden Monaten setzen?

Thomas Kurschilgen:

Unsere Trainingslager- und Kompetenzteam-Maßnahmen sollen im Jahresverlauf eine weitere Strukturierung und Systematisierung erfahren. Wir müssen die Ressourcen im Teammanagement ausbauen, um die Maßnahmen zentral und hochprofessionell zu organisieren und durchzuführen. Aspekte eines modernen Ernährungstrainings werden in all diese Maßnahmen ebenso einfließen wie eine regelmäßige Leistungsdiagnostik und Erkenntnisse unserer Trainingswissenschaftler. Hieran arbeiten wir gemeinsam mit unseren Partnern am IAT in Leipzig und an den Olympiastützpunkten.

Im Gesundheitsmanagement wollen wir die bisher eingeleiteten Maßnahmen im gesamten Jahrestrainingsprozess weiter ausbauen. Dies beinhaltet die Betreuung unserer Spitzenathleten bei internationalen Meetings, den systematischen Einsatz unserer Mediziner und Physiotherapeuten in die komplexen Trainingslagermaßnahmen bis hin zu optimierten präventiven Betreuung unserer Spitzenathleten im täglichen Trainingsprozess. Das erfordert Überzeugungskraft auf allen Ebenen – und auch weitere finanzielle Ressourcen.

In der Nachwuchsarbeit müssen wir die Interaktion und Kommunikation mit den Landesverbänden weiter konsequent fortführen. Unser Ziel ist es, unsere talentiertesten  Nachwuchsathleten über die unterschiedlichen Ausbildungsetappen qualifiziert in die Spitze zu entwickeln. Darüber hinaus wollen wir in Trainerteams an unseren Bundesstützpunkten junge Nachwuchstrainer in Zusammenarbeit mit erfahrenen Trainern als Investition in die Zukunft weiter zu entwickeln.

Wie ist es um die Finanzierung dieser ja doch sehr vielschichtigen Maßnahmen bestellt?

Thomas Kurschilgen:

Insgesamt bedarf es in der Spitzenleichtathletik – trotz der bisherigen positiven finanziellen Entwicklungen in der Zusammenarbeit mit dem DOSB und dem BMI – weiterer Anstrengungen und Bemühungen, die ökonomischen Ressourcen auf Bundes- und Landesebene auszuweiten, um in einer Traditionssportart mit größter Konkurrenz in der Welt weiterhin erfolgreich bestehen zu können.

Auch die strategische Personalplanung war Thema der Spitzensport-Tagung. Können Sie hier schon Neuigkeiten vermelden?

Thomas Kurschilgen:

Eine strategisch-strukturell wichtige Weichenstellung haben wir im Sprintbereich der Männer und Frauen vorgenommen, in Abstimmung mit DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska und dem Leitenden DLV-Bundestrainer Volker Beck. Die Kollegen werden die Nachwuchs-Kader im Sprint und Langsprint unter einem Verantwortungsbereich zusammenführen. Es gilt, die Unterdistanz-Leistungsfähigkeiten zu entwickeln sowie veränderte Periodisierungsansätze und Technikmodelle zum Tragen zu bringen.

Der Erfolg im Sprint der Männer sollte uns Mut machen, neue innovative Konzepte und Wege anzugehen. Gemeinsame Maßnahmen und Lehrgänge in den DLV-Nachwuchstrainerteams werden umgesetzt und die Zusammenarbeit mit den persönlichen Trainern an den Bundes- und Landesstützpunkten sowie die Kopplung an den A/B-Kader intensiviert. Dieser Aufgabe werden sich Thomas Kremer und Jörg Möckel unter Integration der weiteren DLV-Trainer dieser Disziplingruppe widmen. Die Gesamtverantwortung für den Kurzsprint der Männer und Frauen wird in der kommenden Saison DLV-Bundestrainer Ronald Stein übernehmen.

Zudem müssen wir im Nachwuchsbereich die Zusammenarbeit mit den Leitenden Landestrainern, den Eliteschulen des Sports und den Lehrertrainern im Rahmen der entwickelten Regionalkonzepte inhaltlich-methodisch intensivieren. Dieser Aufgabe werden sich die Nachwuchstrainer im U18/20-Bereich, Jörg Peter und Dietmar Chounard verstärkt stellen. Weitere und noch in der Disziplingruppe Lauf abzustimmende Modifikationen wird es bis zur Kaderberufung im Oktober geben.

<link news:36774>Kienbaum drei Tage im Zeichen des Spitzensports

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