Leicht springt höher?
Ohne zusätzliches oder intensiveres Training eine höhere Leistung erreichen? Eine verlockende Konstellation. Außerdem eine geringere Verletzungsanfälligkeit in Training und Wettkampf und sich gleichzeitig noch besser fühlen? Der Traum eines jeden ambitionierten Sportlers. In der letzten Zeit haben einige Weltklasse-Athleten vornehmlich weiblicher Herkunft aus dem Hochsprung-Bereich mit Gewichtsreduktion und daraus resultierenden Leistungsexplosionen für Furore gesorgt.
Durch die herausragenden Erfolge der weiblichen Gilde mit diesem Thema, wurden natürlich auch die Männer auf den Plan gerufen und experimentieren immer mehr mit einer Reduktion des Körpergewichts, um einen leistungssteigerden Effekt zu erzielen. Aber ganz so leicht haben es die Herren nicht, denn Männer und Frauen sind auf Grund ihrer biologischen Vorrausetzungen zu verschieden. Dabei wird sich in fast allen Sportarten, in denen die elementaren Bewegungsformen im Vordergrund stehen, in Grenzbereiche vorgetastet.Dennoch geht es vor allem im Hochsprung schlichtweg auch um physikalische Gesetze. Und da heißt es ganz klar: Je weniger Masse der Erdanziehung entgegen gebracht wird, desto höher hinaus geht es. Voraussetzung dafür ist neben einer optimalen Technik, natürlich ein ideales Kraft-Masse-Verhältnis.
Mit weniger Kilos zum Olympiasieg
Dies unterstreicht auch die Meinung der Olympiateilnehmerin und DLV-Disziplintrainerin im Hochsprung Brigitte Kurschilgen: „Es ist nicht nur bei den Frauen, sondern auch bei den Männern so, dass über eine Reduzierung des Gewichts eine Leistungssteigerung erreicht werden soll.“
So haben beispielsweise eine Reihe von aktuellen Topstars ihre Leistung durch Gewichtsreduktion entscheidend steigern können. Etwa Olympiasiegerin Tia Hellebaut (Belgien) soll fünf Kilogramm abgenommen haben. Auch die Frankfurterin Ariane Friedrich nannte als einen Grund für ihre Steigerung auf 2,03 Meter ein gesenktes Körpergewicht.
Nach Krankheit stärker zurück
Der kroatischen Weltmeisterin Blanka Vlasic, die schon seit der Saison 2001 in der erweiterten Weltklasse mitmischt, gelang erst vor drei Jahren der ganz große Durchbruch. Im Jahre 2005 litt die Kroatin an einer so genannten subklinischen Hyperthyreose. Einer Hormonstörung auf Grund einer Schilddrüsenerkrankung, die hauptsächlich Frauen treffen kann.
Mit der einhergehenden einjährigen Wettkampfpause verlor Blanka Vlasic stark an Gewicht. Nach erfolgreicher Behandlung kam sie danach in der Saison 2006 sogar wesentlich stärker als zuvor zurück ins Wettkampfgeschehen. Erst nach ihrem Comeback gelang es der heute 25-Jährigen konstant, Höhen jenseits der Zwei-Meter-Marke zu überqueren, was schließlich am 7. August 2007 in ihrer persönlichen Bestleistung von 2,07 Meter gipfelte.
Lediglich für Weltrekordlerin Stefka Kostadinowa (Bulgarien) und Ex-Weltmeisterin Kajsa Bergqvist (Schweden) ging es schon höher hinaus. Dass Blanka Vlasic die Gewichtsreduktion nicht geschadet hat, unterstreicht ihre beeindruckende Siegesserie von 34 Erfolgen bis zu den Olympischen Spielen 2008, bei denen sie Silber holte.
Dennoch bemerkt Brigitte Kurschilgen: „Es kann mentaler Stress sein, sich immer an der Gewichtsgrenze zu bewegen.“ Trotzdem sind all die positiven Praxisbeispiele von Athleten, die mit einer Abnahme des Gewichts gute Erfahrungen gemacht haben, vorwiegend weiblicher Herkunft.
Bei Männern nicht ganz so einfach zu realisieren
Bei den Männern ist dies auf Grund von schwererem Knochenbau und einer generell größeren Körperhöhe nicht ganz so einfach. Der Shootingstar des Jahres, Raul Spank (Dresdner SC), sagt dazu: „Man muss ganz klar zwischen Männern und Frauen differenzieren. Männer sind von Natur aus schwerer und haben einen größeren Muskelapparat als Frauen. Daher kann man im Männerbereich keinen so großen Leistungszuwachs durch Gewichtsabnahme erwarten.“
„Im Hochsprung braucht man ein möglichst optimales Kraft-Last-Verhältnis. Für mich persönlich ist ein ideales Wohlfühlgewicht wichtiger“, meint der Dresdner, der seine Bestleistung im Laufe dieses Jahres um acht Zentimeter steigerte.
Höheres Gewicht nicht unbedingt ein Nachteil
Daher wird bei ihm im Training auch kein besonderes Augenmerk auf das Körpergewicht gelegt. „Der Athlet sollte aktiv mitdenken und generell selbst für eine professionelle, gesunde Ernährung sorgen. Dennoch ist dies nicht das ganze Jahr über hinweg möglich, außerhalb der Wettkampfphase muss ein höheres Körpergewicht nicht unbedingt einen Nachteil für mich darstellen.“
Außerdem sei sein Prozess des Muskelaufbaus, der ja meist mit einer Erhöhung des Körpergewichts einhergeht, vorwiegend in der Jugend geschehen und mittlerweile abgeschlossen. Daher soll im Wintertraining für die kommende Saison mit Schwerpunkt Heim-WM in Berlin vor allem der Technik Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Gewichts-Problematik ständig präsent
Bei den besten deutschen Athleten gibt es zu diesem Thema also generell geteilte Meinungen. Astrid Fredebold-Onnen, Trainerin des Europacupsiegers von 2007, Eike Onnen (LG Hannover), hält auch bei Männern eine Gewichtsreduktion für erfolgversprechend: „Diese Problematik ist in unserem Training ständig präsent, weil mein Sohn Eike zu den schwereren Athleten gehört, die sehr leicht Muskelmasse aufbauen und durch seine Verletzungsproblematik am Fuß das 'leichte' Gewicht besonders wichtig ist.“
Sie sagt: „Nach meiner Einschätzung macht eine Gewichtsreduktion auch bei Männern durchaus Sinn und wird praktiziert. Dabei erfolgt eine Reduktion nicht nur über die Ernährung. Wir trainieren zum Beispiel beim Krafttraining in der Wettkampfphase nur in 1er-Sätzen bei Kniebeuge und Reißen, um die Maximalkraft bei schlanker werdender Muskulatur zu erhalten. Von anderen Springern weiß ich, dass sie über längere aerobe Läufe versuchen, die Muskulatur schlank zu halten. Ein allgemein gültiges Rezept wird es nicht geben, da die Springer in ihrer Veranlagung zu verschieden, eben einzigartig sind.“
Auch in anderen Disziplinen und Sportarten wird experimentiert
Auch im Langstreckenlauf ist das Thema Gewichtsreduktion seit jeher ein Gegenstand der Diskussion. Denn je weniger der Athlet wiegt, desto geringer ist auch sein Sauerstoffbedarf für die arbeitende Muskulatur, was dann indirekt ein höheres Lauftempo zulassen würde. Daher reduzieren Spitzenmarathonläufer auf Grund ihres hohen Trainingsumfangs und spezieller Ernährung ihren Körperfettanteil teilweise auf unter fünf Prozent. Jedoch sind sie dadurch auch wesentlich anfälliger für Infektionskrankheiten und klagen häufiger über eine verminderte Kraftausdauer.
Bei Langstreckenläufern ist allerdings eine Gewichtsreduktion durch vermehrtes Fettstoffwechseltraining wesentlich einfacher zu realisieren als bei Hochspringern. Diese benötigen in ihrer Disziplin in erster Linie schnellkräftige Muskelfasern, die durch Fettstoffwechseltraining wie beispielsweise längere Dauerläufe oder Radfahrten abnehmen würden. Ein Konflikt, der nicht einfach zu lösen ist.
Tendenz zu leichteren Skispringern
Ferner hat sich die Wissenschaft auch in anderen Sportarten außerhalb der Leichtathletik mit der Optimierung des Körpergewichts beschäftigt. Vor allem im Skispringen, einer von den physikalischen Gesetzen her ähnlichen Sportart wie dem Hochsprung, geht die Tendenz zunehmend zu leichteren Sportlern.
So wurde beispielsweise der ehemalige Vierschanzentournee-Sieger Sven Hannawald zu seiner aktiven Zeit des Öfteren mit Magersucht in Verbindung gebracht. Später wurde eine Regeländerung durchgeführt, die das Verhältnis zwischen Body Mass Index und Skilänge regelt. So soll verhindert werden, dass sich die Athleten bis in gesundheitsgefährdende Bereiche hungern. Ähnliche Regelungen sind in der Leichtathletik derzeit nicht denkbar.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Auch in Zukunft wird es immer wieder um die Frage des optimalen Gewichtes bei Sportlern, gleich welcher Disziplin, intensive Debatten geben. Denn für Spitzenathleten zählt der maximale Erfolg, und dafür ist nicht nur Training gefordert, sondern auch eine gute Körperstatur. Der Athlet versucht dabei in allen Bereichen Optimierungen vorzunehmen, wie weit dabei jeder Sportler geht, liegt letztlich in seiner eigenen Verantwortung.
In technisch anspruchsvollen Sportarten wie dem Hochsprung können körperliche Defizite, wie ein leicht erhöhtes Gewicht oder eine geringere Körpergröße, durchaus mit Talent und optimaler Technik wettgemacht werden. Dabei wird man wohl nie allgemeingültige, wissenschaftliche Regeln aufstellen können, wie viel Leistungszuwachs pro abgenommenem Kilogramm Körpergewicht möglich ist.
Denn das beste Gegenbeispiel sind die beiden schwedischen Top-Hochspringer Stefan Holm, 1,81 Meter groß, 70 Kilogramm schwer und mit einer persönlichen Hallen-Bestleistung von 2,40 Metern, und Linus Thörnblad (1,80 m/76 kg/ Hallen-Bestleistung 2,38 m). Beide haben es trotz ihres relativ hohen Body Mass Index von 21,4 beziehungsweise 23,5 geschafft, in die absolute Weltklasse vorzustoßen.